Ausstellung beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Fragen und aktuellen Trends

"Mittendrin": Ungewöhnliche Krippen holen Weihnachten ins Heute

Veröffentlicht am 26.12.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Telgte ‐ Vor etwas mehr als 2.000 Jahren wurde Jesus Christus geboren. Viele Krippenszenen versuchen sich an dieser Zeit zu orientieren. Doch wie würde Weihnachten aussehen, wenn es im Heute stattgefunden hätte? Die aktuelle Telgter Krippenausstellung wagt diesen Versuch unter dem Motto "Mittendrin".

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Gott wird Mensch – das ist die Botschaft von Weihnachten. Was das heruntergebrochen auf den Alltag bedeuten kann, versucht das Museum "RELíGIO" in Telgte bei Münster in seiner aktuellen Krippenausstellung künstlerisch ins Heute zu übertragen. In seiner 82. Schau moderner und traditioneller Darstellungen der Geburt Jesu werden Kunstwerke gezeigt, die sich am Motto der Ausstellung orientieren: "Mittendrin". Einige der teilnehmenden Künstler verlegen die Ankunft des Gottessohnes in die Gegenwart, indem sie Maria und Josef auf einer ukrainischen Landkarte rund um die Region Kharkiv aufstellen oder eine Krippendarstellung im Zentrum einer deutschen Musterstadt platzieren, in der gerade Demonstranten vor einer Kirche für den Synodalen Weg und die Reformbewegung Maria 2.0 werben.

Die Heilige Familie inmitten der Transformationsprozesse der Gegenwart zu zeigen, macht nach Ansicht von Anja Schöne eindeutig einen Schwerpunkt der derzeitigen Krippenausstellung aus. "Gerade die politischen Fragen werden mit der christlichen Weihnachtsbotschaft vom friedlichen und gerechten Zusammenleben der Menschen verbunden", sagt die Leiterin von "RELíGIO – Westfälisches Museums für religiöse Kultur". So würden etwa die Themen Flucht, Krieg, Klimawandel und Nachhaltigkeit in den Beiträgen vieler Künstler verarbeitet. 

Als weiteren, besonders hervorstechenden Aspekt der Schau, die Werke von professionellen und Hobby-Künstlern zeigt, nennt Schöne die Verbindungen zum Do-it-yourself-Trend (DIY). "Während Corona hatten Menschen wieder Zeit, sich mit dem Thema des Selbermachens zu befassen", sagt die Museumsleiterin. Sie sieht eine Verbindung zum Umweltschutz, einem Punkt, der für viele Menschen eine viel größere Bedeutung bekommen habe: "Die DIY-Bewegung ist mit einer kritischen Konsumhaltung verknüpft, sodass Nachhaltigkeit und Upcycling eine wichtige Rolle spielen."

Gefängniskrippe
Bild: ©Stephan Kube, Greven

Maria und Josef beim Familienbesuch im Gefängis. Dieses Kunstwerk der aktuellen Krippenausstellung im "RELíGIO"-Museum in Telgte verlegt Weihnachten in die Gegenwart.

Das fällt beim Blick auf die Kunstwerke im Telgter Museum sofort ins Auge: So wurden etwa die Figuren einer Krippe aus Plastiktüten gehäkelt, leere Tuben zu einem Mobile verarbeitet sowie Glasflaschen geschmolzen und mit modellierten Tonköpfen zu Krippenfiguren umgestaltet. Oder die Figur des neugeborenen Jesuskindes wurde zwischen altem Geschenk drapiert, sodass sie fast in dem Panorama aus bunten Schnipseln verschwindet. Auch ein während der Pandemie 2020 entstandenes Projekt einer westfälischen Pfarrei, das aus einzelnen Holztafeln zusammengesetzt wurde und ein Kirchenfenster mit einer Weihnachtsdarstellung zeigt, ist Teil der Ausstellung. Da es sich um eine über die Zeit zusammengetragene Arbeit vieler Menschen handelt, wird der DIY-Aspekt auf diese Weise mit dem Thema Gemeinschaft verbunden.

Die große Vielfalt der Exponate von mehr als 100 Künstlern aus ganz Deutschland, Tschechien und Frankreich stellt einen besonderen Reiz der Krippenausstellung dar: Zeichnungen von Schulkindern sind neben Figuren von anerkannten Bildhauern zu sehen, Kunst aus Bügelperlen steht an der Seite von Emailarbeiten, unter der Lupe ausgesägte Miniaturarbeiten beeindrucken genauso wie Kunstinstallationen, die einen eigenen Raum ausfüllen. In diesem Jahr wird die traditionelle Ausstellung zudem von orthodoxen Weihnachtsdarstellungen aus dem Ikonen-Museum in Recklinghausen ergänzt.

Das Thema der diesjährigen Krippenausstellung "Mittendrin" habe dazu geführt, dass mehrere großformatige Werke entstanden seien, so Schöne. Denn wenn es eine Mitte gebe, bedeute das in vielen Fällen auch, dass die Künstler darstellen wollten, was den Kern außerhalb umgebe. Deshalb sei es notwendig gewesen, die Schau in mehr Räume des Museums als üblich auszudehnen. Eine weitere Beobachtung der Museumsleiterin: Es gebe immer mehr Arbeiten, die sich nicht mehr unmittelbar mit dem Weihnachtsgeschehen an der Krippe und dem christlichen Glauben befassten. "Damit bildet die Ausstellung gesellschaftliche Realität ab", weiß Schöne. In mehreren Arbeiten sind jedoch eindeutige Aussagen zum christlichen Glauben zu erkennen. So steht etwa auf einem Plakat der Demonstranten in der bereits erwähnten Stadtszene ein Slogan, der gleichzeitig ein religiöses Bekenntnis ist: "Salvator Mundi – Jesus Christus, unser Hoffnungsträger".

Rilke-Verse auf Darstellung der Heiligen Familie
Bild: ©Stephan Kube, Greven

Diese Darstellung der Heiligen Familie ist von Versen umgeben, die aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke stammen.

Ein weiteres Beispiel für ein bewusstes Aufgreifen des christlichen Glaubens ist ein rundes Sandsteinrelief von einem Meter Durchmesser. Es zeigt in seiner Mitte eine Darstellung der Heiligen Familie, die vergoldet wurde. Umgeben ist sie von Versen aus einem Gedichtzyklus von Rainer Maria Rilke: "Sieh, der Gott, der über Völkern grollte, macht sich mild und kommt in dir zur Welt. Hast du dir ihn größer vorgestellt?" Unter der Mitte des Reliefs steht, ebenfalls aus dem Gedicht, die Frage "Was ist Größe?", gemeinsam mit stilisierten Köpfen einer Gruppe von Menschen. Ebenso beeindruckend ist ein Kunstwerk, das ein Kreuz und eine Darstellung der Krippe durch eine Lichtinstallation verbindet: Der Schatten der Strohhalme, die aus dem Futtertrog hervorstechen, erscheinen als Dornenkrone über dem Kreuzbalken. Auf diese Weise spielt der Künstler auf die Verbindung von Geburt und Tod Jesu an.

Am treffendsten wird das Motto "Mittendrin" wohl durch die Krippendarstellungen in Szene gesetzt, die die Geburt Jesu in die Gegenwart verlegen, wie etwa die Ahrtalkrippe. Unter einer zerstörten Steinbrücke sind Maria, Josef und Jesus zwischen einem Feuerwehrmann und Menschen in Arbeitskleidung zu sehen, die die Region gerade von den Folgen der zerstörerischen Kraft der Flutwellen reinigen. Im Hintergrund ist ein stilisiertes Ahrtal zu erkennen. Oder auch die Krippendarstellung, die die Heilige Familie bei einem Besuch im Gefängnis zeigt. "Von Weihnachtsidylle ist da nichts zu spüren", so Schöne. Doch sie führt vor Augen, was die Menschwerdung Gottes in letzter Konsequenz bedeutet: Er ist "mittendrin" im Alltag.

Von Roland Müller

Die 82. Telgter Krippenausstellung

Die 82. Krippenausstellung im Telgter Museum "RELíGIO" ist noch bis zum 22. Januar 2023 zu sehen. Das Museum, das eine der größten Krippensammlungen Deutschlands beherbergt, ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet.