Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen hat 2021 Arbeit aufgenommen

Zwei Jahre UKA: Die schwierige Frage nach dem Geld für Betroffene

Veröffentlicht am 04.02.2023 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Seit rund zwei Jahren bearbeitet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen Anträge von Missbrauchsbetroffenen – und entscheidet über die jeweilige Höhe der Zahlungen. Mit der Schaffung der Kommission waren große Hoffnungen verbunden – erfüllt wurden diese längst nicht immer.

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Seit zwei Jahren gibt es sie nun: die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Sie sorgt dafür, dass Betroffene sexuellen Missbrauchs Geld von der katholischen Kirche erhalten. Dafür müssen sie sich zunächst an die unabhängigen Ansprechpersonen der jeweiligen Diözesen und Ordensgemeinschaften wenden. Die wiederum leiten die Anträge an die Geschäftsstelle der UKA weiter. Hier wird schließlich die Höhe der Anerkennungsleistungen festlegt und die Auszahlung an Betroffene direkt angewiesen. Doch so einfach das Verfahren klingt, so konfliktreich ist es mitunter seit seinem Beginn am 1. Januar 2021.

Die UKA ist dabei nicht das erste Gremium, das sich im Auftrag der Bischöfe mit den Anerkennungsleistungen beschäftigt. Grundlage dafür ist die neue "Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids", die der Ständige Rat der Bischofskonferenz am 24. November 2020 beschlossen hat. Zuvor war ab 2011 die Zentrale Koordinierungsstelle (ZKS) dafür zuständig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine materielle Leistung erfüllt sind. Zudem sprach sie eine Empfehlung über die Höhe der Leistung an die betroffene kirchliche Körperschaft aus. Bis zu ihrer Auflösung im Dezember 2020 bearbeitete die ZKS auf diese Weise insgesamt 2.430 Anträge und empfahl zusammengenommen rund 11,5 Millionen Euro an Leistungen. Im Unterschied zur ZKS spricht die UKA nun nicht mehr bloß Empfehlungen aus, sondern legt die Höhe verbindlich fest und ordnet die Auszahlung direkt an.

Dieser: "Die Anerkennung ihres Leids ist zentral"

"Wir alle wissen, dass hinter jedem Antrag die Leiderfahrungen eines Menschen stehen", sagte Bischof Helmut Dieser am Freitag zum vorgestellten Tätigkeitsbericht der UKA. Der Aachener Bischof ist erst seit September Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). "Die Anerkennung ihres Leids ist zentral und der Ausdruck der Verantwortung, die die Bischöfe für erlittenes Unrecht und Leid übernehmen." Insgesamt hat die UKA bis Ende des vergangenen Jahres über 40 Millionen Euro an Anerkennungsleistungen angewiesen. Zusätzlich zu bereits erfolgten früheren Zahlungen in Höhe von 7,2 Millionen Euro – die von den festgelegten Beträgen abgezogen werden – wurden 2021 und 2022 also rund 32,9 Millionen Euro gezahlt.

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Generell hat sich die Leistungshöhe geändert: Erhielten Betroffene bis Ende 2020 durchschnittlich eine Zahlung von 5.000 Euro, orientiert sich die von der UKA festgelegte Leistungshöhe am "oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgelder", heißt es wörtlich in der Verfahrensordnung. "Dieser Zahlungsrahmen sieht Leistungen bis 50.000 Euro vor." Zusätzlich können Kosten für Therapiesitzungen oder Paarberatung erstattet werden.

Über diese Summe von 50.000 Euro ist Ende des vergangenen Jahres Verwirrung aufgetreten: In einer Pressemitteilung Anfang Dezember betonte die UKA-Vorsitzende Margarete Reske, es gebe keine Obergrenze von 50.000 Euro. Dies sei lediglich die Grenze des Betrages, ab welchem in besonders schweren Fällen eine Zustimmung der kirchlichen Gremien zur Höhe der Anerkennungsleistung erforderlich sei. Diese Genehmigung ist nach Auskunft der Kommission bisher aber immer erteilt worden.

Vor allem Frauen von schwerem Missbrauch betroffen

Tatsächlich wurden laut neuestem Tätigkeitsbericht in den vergangenen zwei Jahren in insgesamt 24 Fällen sogar jeweils über 100.000 Euro beschieden. Die Quote der Leistungen über 50.000 Euro lag demnach bei knapp unter acht Prozent. Der weitaus größte Teil der Fälle wird dagegen mit Leistungshöhen von 10.000 Euro oder weniger beschieden. Mehr als die Hälfte der Betroffenen (54,2 Prozent) bekamen im Zeitraum 2021 bis 2022 unter 15.000 Euro. Interessant ist dabei, dass zwar etwa drei Viertel der bisher beschiedenen Anträge von Männern eingereicht wurde und nur ein Viertel von Frauen. Bei den Leistungshöhen von 50.000 bis 75.000 Euro stammten laut Tätigkeitsbericht dagegen schon rund 35 Prozent von Frauen. Bei der Leistungshöhe zwischen 75.000 und 100.000 Euro waren es 63 Prozent und bei über 100.000 Euro sogar zu über 83 Prozent Frauen. Aus den Zahlen der UKA lässt sich damit ableiten, dass vor allem Frauen von besonders schweren Missbrauchsfällen betroffen sind.

Allgemeine Kritik an der Höhe der ausgezahlten Beiträge gibt es vom Betroffenenbeirat der DBK. "Niedrige und enttäuschende Leistungshöhen wohnt ein erhebliches Retraumatisierungspotential inne", kritisiert deren Sprecher, Johannes Norpoth. Das werde jedoch oft weder verstanden noch eingestanden. Denn der Missbrauch in der katholischen Kirche bestehe nicht nur aus den Taten selbst, sondern auch in der institutionellen Komponente, etwa durch Vertuschung und Täter- und Institutionenschutz. "Dabei sind viele Verantwortungsträger bis heute nicht bereit, dem erlittenen Leid eine Anerkennung folgen zu lassen, die Ausdruck einer wirklich tätigen Reue ist und die für die Opfer eine befriedende und entschädigende Wirkung entfalten kann", so Norpoth.

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Kritik kommt auch von anderer Seite: In ihrem Zwischenbericht schrieb die Vorsitzende der Unabhängigen Aufklärungskommission im Erzbistum München und Freising, Michaela Huber, dass "eine große Gruppe von Betroffenen in Anerkennung ihres Leids letztlich nur einige Tausend Euro bekommt, wird von den Betroffenen erneut als Kränkung erlebt".

Der stellvertretende Vorsitzende der UKA, Ernst Hauck, verteidigte dagegen die Leistungshöhen gegen die Kritik, dass in Strafverfahren höhere Summen im Raum stünden: Das Verfahren der UKA schließe nicht aus, auch einen Rechtsanspruch geltend zu machen. Zudem könne Betroffenen so relativ schnell und ohne ein mit weiteren Belastungen verbundenes öffentliches Verfahren Leistungen zuerkannt werden. "Das Gesamtresümee für uns lautet bisher: Das Verfahren bietet mehr Nutzen als Schaden", so Hauck am Freitag.

Kritik an Dauer der Verfahren

Und auch an einem weiteren Punkt gibt es von Anfang an Kritik: Schon im Herbst 2020 – also noch vor dem Start der UKA – habe der Betroffenenbeirat vor den Risiken des Systems gewarnt, dass etwa die erste Antragswelle zu einer starken Überlastung der Organisation und damit zu extremen Verfahrensdauern führen würde, so Norpoth. Im Juni 2021 verschickten die Betroffenenvertreter Patrick Bauer und Jens Windel einen als "Hilferuf" formulierten Brief an die Bischöfe und Generalvikare der deutschen Diözesen. Darin berichteten sie von den Rückmeldungen Betroffener, die gekennzeichnet seien von "Enttäuschung über die Höhe der Anerkennung, von Ärger über die Bearbeitungsdauer und von Frustration über die Art der Kommunikation". Laut Bauer und Windel fehlte es den Betroffenen an Empathie seitens der Kirche sowie an Transparenz und Gerechtigkeit. Die Bischöfe hätten im Rahmen ihrer Vollversammlung im "große Hoffnungen auf eine wertschätzende und zeitnahe Anerkennung des Leids bei allen Betroffenen geweckt – auch Hoffnungen darauf, einen guten Schritt in Richtung Versöhnung gehen zu können, um endlich den inneren Frieden finden zu können", so die Betroffenenvertreter. Diese Hoffnungen seien wieder einmal zerstört worden. Sie riefen sogar dazu auf, das Verfahren zu stoppen.

Die UKA indes verteidigte sich gegen die Kritik, die "jeder Grundlage" entbehre. "Die pauschale Wertung, durch die Entscheidung der UKA werde 'weder das tatsächlich erlittene Leid widergespiegelt, noch eine genugtuende, wertschätzende Anerkennungsleistung erbracht', nimmt die professionelle und engagierte Arbeit der Unabhängigen Kommission nicht zur Kenntnis", hieß es damals. Einig war sich die UKA mit Bauer und Windel dagegen bei der Einschätzung, dass die Verfahren "in der Anlaufzeit der letzten Monate zu lange gedauert haben".

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Um diesen Umstand zu beheben, bekam die UKA im Januar 2022 gleich drei neue Mitglieder. Dadurch werde es möglich sein, "noch zügiger und effizienter Anträge auf Anerkennungsleistungen zu entscheiden", hieß es Anfang des Jahres in einer Pressemitteilung der Kommission. Und tatsächlich stieg der Anteil der beschiedenen Anträge stetig an: Waren Ende Januar 2022 von 1.598 Anträgen erst 685 und damit rund 43 Prozent bearbeitet, stieg dieser Wert im Laufe des Jahres an auf 1.839 beschiedene von 2.112 eingegangen Anträgen – also rund 87 Prozent. Deutlich wird aber auch, dass die Anzahl der neu eingereichten Anträge stetig abnimmt. "Die von uns eingeleiteten und durchgesetzten Maßnahmen zur Verkürzung der Wartezeit bis zu einer Entscheidung für die Betroffenen haben allesamt gegriffen", resümierte Reske am Freitag mit Blick auf den Tätigkeitsbericht 2022. Die Bearbeitungsdauer liege derzeit bei unter vier Monaten und könne voraussichtlich noch weiter verkürzt werden.

Weitere Arbeit für die UKA?

In den kommenden Monaten könnte dabei allerdings noch einiges an Arbeit auf die Kommission zukommen. Denn erst am Dienstag teilte die DBK überraschend mit, dass Betroffene ab dem 1. März 2023 einmalig Widerspruch gegen die Entscheidung der UKA über die Leistungshöhe einlegen und zudem Akteneinsicht beantragen können. Der Betroffenenbeirat rechnet damit, dass viele Betroffene von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch machen werden, die eine zentrale Forderung des Beirats war. "Das Recht auf Widerspruch und Akteneinsicht muss für die Betroffenen in überschaubaren Bearbeitungszeiten umgesetzt werden", betonte Norpoth. "Der Betroffenenbeirat erwartet, dass die Deutsche Bischofskonferenz die notwendigen Kapazitäten für das Verfahren und die Akteneinsicht zur Verfügung stellt, um Antragsstaus wie zu Beginn des UKA-Verfahrens zu vermeiden."

Bei der Vorstellung des Tätigkeitsberichts reagierte Reske dagegen gelassen. Sie sei nicht pessimistisch, dass die Arbeit ab dem 1. März nicht mehr zu schaffen sei. Zudem müsse man abwarten, wie viele Anträge es insgesamt geben werde. Auch aufgrund der geringen Zahl der noch zu bearbeitenden Anträge sei die UKA gut gerüstet. Und noch eine weitere Arbeitsquelle könnte in den kommenden Monaten auf die Kommission zukommen: In der Pressekonferenz deuteten die Verantwortlichen bereits an, dass weitere Träger in der katholischen Kirche Interesse daran haben, sich dem UKA-Verfahren für Anerkennungsleistungen anzuschließen.

Von Christoph Brüwer