Standpunkt

Die Kirchenkrise ist auch eine Glaubenskrise

Veröffentlicht am 05.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Andreas Püttmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Wenn in einer Gesellschaft knapp die Hälfte christlichen Bekenntnisses ist und davon nur ein Viertel überzeugt glaubt, ist nicht erklärungsbedürftig, warum 'so viele' aus der Kirche austreten, sondern: warum es so wenige tun", so Andreas Püttmann.

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Laut einer INSA-Pfingstumfrage wollen 15 Prozent der Kirchenmitglieder "sicher" aus ihrer Kirche austreten, weitere 21 Prozent "vielleicht", nur die Hälfte "voraussichtlich nicht". Die geschrumpften Kirchen könnten kurz- bis mittelfristig nochmals bis zu einem Drittel ihrer Mitglieder verlieren. Ernüchternd auch die Hauptgründe zu bleiben: "Persönliche Überzeugung" nannte gut jeder Vierte (27 Prozent), jeder Zehnte "berufliche/ehrenamtliche Tätigkeit" (6 Prozent) oder politische Motive (4 Prozent). Jeder Dritte bleibt nur "aus traditionellen Gründen (Elternhaus usw.)".

Wenn in einer Gesellschaft knapp die Hälfte nominell christlichen Bekenntnisses ist und davon nur ein Viertel überzeugt glaubt, ist nicht erklärungsbedürftig, warum "so viele" aus der Kirche austreten, sondern: warum es so wenige tun. Dies gilt erst recht im Blick auf Selbstaussagen zu zentralen Glaubensinhalten: "Dass Gott zugleich Vater, Sohn und Heiliger Geist ist", teilen nur je 43 Prozent der Protestanten und Katholiken, übrigens auch nur 54 Prozent der Freikirchler, die doch im Ruf vitalerer Frömmigkeit stehen. Mit einem Drittel Trinitätsgläubigen heben sogar die Muslime leicht den Schnitt der Gesamtbevölkerung.

Die Kirchenkrise dürfte weit mehr Glaubenskrise sein als viele Kirchenreformer sich eingestehen. Sie trifft den als moderner und menschenfreundlicher geltenden Protestantismus ebenso wie die Zeitgeist-obstinatere "Papstkirche". Wer meinte, mit dem Synodalen Weg könne der deutsche Katholizismus seine Erosion stoppen oder bremsen, dürfte einem Irrtum erliegen. Was nicht heißt, dass alle Vorschläge der Versammlung müßig oder falsch sein müssen. Nur sollte man kein Akzeptanzkalkül damit verbinden, sondern sich darauf einrichten, dass christlicher Glaube auch bei veränderter Kirchengestalt und Sexualmoral für sehr viele "Torheit" und "Ärgernis" (1 Kor 1,23) bleiben wird. Skandale mögen dies verstärken, bieten aber oft nur eine wohlfeile Begründung für tiefer wurzelndes Befremden und Ressentiment.

Manche Aggression erweckt sogar den Eindruck von Glaubensneid. Nicht jeder hält ein Sinnvakuum und eine Todesperspektive ohne Jenseits-Hoffnung gelassen aus. Zugleich staunt man, welchen Unfug Menschen zahlreich zu glauben bereit sind: Esoterisches, Chemtrails, Chippen durch Impfen, "Volkstod" durch Zuwanderung, Demokratie als "Diktatur". Ängste und Hetze allenthalben. Nicht überraschend nach Emanuel Geibel: "Glaube, dem die Tür versagt, / steigt als Aberglaub' ins Fenster. / Wenn die Götter ihr verjagt, kommen die Gespenster." Dann doch lieber mit Paulus bescheiden christlich glauben: "Feststehen in dem, was man erhofft, und Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht" (Hebr 11,1).

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.