Krankenhaus-Seelsorger Walter Koll war immer da, um Trost zu spenden

18 Jahre rufbereit

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:58 Uhr – Von Gerlind Schabert – Lesedauer: 
Krankenhausseelsorger Walter Koll am Bett einer Patientin.
Bild: © KNA
Serie: Nächstenliebe

Fast zwei Jahrzehnte war Krankenhausseelsorger Walter Koll rund um die Uhr gesprächsbereit und hat jeden Tag bewegende Momente erlebt.

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Die umtriebige Außenwelt der Bonner Universitätsklinik und ihre innersten Befürchtungen sind gerade meilenweit voneinander entfernt. Lässt sich diese Lücke irgendwie schließen? Zwanzig Minuten später sitzt Walter Koll am Bett der Patientin. Der Mann mit kurzem silbernen Bürstenhaarschnitt und gepflegtem dunkelgrauen Bart trägt keinen weißen Kittel und er ist auch nicht in Eile.

Statt eines Stethoskops hängt um seinen Hals ein schlichtes Lederband mit Bronzekreuz: Walter Koll ist Klinikseelsorger. Es ist der jungen Frau anzumerken, wie gut es ihr tut, nun ein geduldiges Gegenüber zu haben. Ihre Sorgen in Worte fassen zu können und alles auszusprechen, was sie umtreibt. Zum Schluss des Gesprächs bittet sie den katholischen Pfarrer um eine Krankensalbung. "Ich bin zuversichtlich, dass ich alles überstehe", erklärt sie ihm, "aber wenn nicht, möchte ich gerüstet sein."

„Ich war krank, und ihr habt mich besucht.“

—  Zitat: Mt25, 36

Walter Koll erinnert sich gerne an diese Patientin zurück. Nicht nur, weil ihre OP so gut verlaufen ist und sie schon wenige Tage später das Krankenhaus glücklich verlassen konnte, sondern, weil ihn ihre Lebens- und Glaubens-Einstellung so beeindruckt hat. Beinahe zwei Jahrzehnte lang hat der sportliche Katholik, dem man seine 61 Jahre beim besten Willen nicht ansehen kann, als Krankenhausseelsorger gearbeitet, hat Lebensgeschichten angehört oder still beim Schweigen begleitet, Hände gehalten, Mut gemacht und getröstet. Tausende von Menschen hat er dabei kennengelernt – ratlose, ängstliche, verzweifelte, traurige oder wütende - immer in persönlichen Extremsituationen.

Wie tröstet man richtig?

Wie ist es bei einer solchen Verschiedenartigkeit der Schicksale überhaupt möglich, Trost zu spenden? Wie kann ein Krankenhausseelsorger wissen, was tröstlich auf eine Krebspatientin oder einen Beinamputierten wirkt? Was sagt man Eltern, die eben ein Kind verloren haben? Walter Koll hat die Erfahrung gemacht, dass zuverlässige Anteilnahme entscheidend ist: "Trost hat den gleichen Wortstamm wie Treue. Und so verstehe ich das Trösten: Treu an der Seite der Menschen zu bleiben. Sie spüren zu lassen, dass jemand zu ihnen steht und sie in schwierigen Situationen nicht verlässt oder bequatscht. Jemand, bei dem sie Halt finden und an den sie sich wenden können."

Zu "bequatschen" oder "frommen Schmu" zu verbreiten, liegt dem gebürtigen Kölner überhaupt nicht. "Seelsorgende sind im Krankenhaus die einzige Berufsgruppe, die man auch wieder wegschicken kann", stellt er mit einem leisen Schmunzeln fest. Dann rückt er seine fast unsichtbare randlose Brille zurecht und fügt ernster hinzu: "Und das ist auch richtig so. Denn die wichtigste Ausgangsbasis für einen seelsorgerischen Kontakt ist die Freiheit." Umso mehr hat es ihn jedes Mal gefreut, wenn nach einer Bettkanten-Andacht mit Gebeten oder Liedern im Krankenzimmer auch der Nicht-Katholik im Nachbarbett feststellte: "Das hat jetzt aber gut getan".

Im Juli ist Walter Koll mit einem Gottesdienst und vielen guten Wünschen als Seelsorger der Bonner Uniklinik verabschiedet worden. Es gab Blumen und Geschenke, viele freundliche Worte und Grußkarten. "Sie waren eigentlich immer da", schrieb ihm eine Ärztin der Intensivstation anerkennend. Ein großes Kompliment.

Walter Koll sitzt in der Sonne auf seiner Terrasse
Bild: ©katholisch.de

Walter Koll war 18 Jahre lang in Rufbereitschaft als Krankenhausseelsorger.

18 Jahre Rufbereitschaft

Und doch ist dieses "Immer-da-sein" zugleich der Grund dafür, dass der Naturliebhaber und begeisterte Bergwanderer Koll nun an neue geistliche Wirkungsstätten wechselt. Grob überschlagen, hat er in 18 Jahren Dienstzeit jeden Tag mindestens eine bestürzende Katastrophe miterlebt und die Sorgen der Menschen zuverlässig zu den seinen gemacht. Bei Konzerten und Geburtstagspartys im Freundeskreis war er ebenso in Rufbereitschaft wie beim heimeligen Weihnachtsfest mit Vater und Bruder.

Ein Dauereinsatz, der auch dann viel Kraft kostet, wenn man ihn gerne leistet. "Ein guter Freund hat das für mich so ausgedrückt", schildert Koll mit warmen Baritonstimme und in leicht rheinischem Tonfall: "Letztlich ist von jeder dieser existentiellen Begegnungen ein Tropfen innerlich hängen geblieben. Und dann ist das innere Fass irgendwann voll. Das ist ein Bild, in dem ich mich wirklich gut wiederfinde."

Seit frühster Kindheit ist Singen die Leidenschaft von Walter Koll. Sechs Jahre lang probte und sang er als hochmotivierter Chorknabe - und das nicht in irgendeiner Dorfkirche, sondern unter dem beeindruckend prächtigen Deckengewölbe des Kölner Doms. Eigentlich war es auch das Singen, das ihm seine Berufung vor Augen geführt hat: Als junger Jurastudent begann Koll, einen Kirchenchor zu leiten. Während der zahlreichen und ganz verschiedenen Messen, zu denen er mit "seinem" Chor beitrug, spürte er bald, dass er seine Lebensziele noch einmal überdenken wollte. "Da hat der liebe Gott mich sehr deutlich an der Schulter berührt."

Freude im Singen

Heute, 40 Jahre später, spürt Koll beim Singen noch immer die gleiche Freude. Auf der Übungsliste seines Gesangsunterrichts steht neben Schubert-Liedern und Arien aus der Zauberflöte natürlich auch die Matthäuspassion. Und es freut ihn sehr, dass er als neuer Pfarrvikar der Bonner St. Petrus Gemeinde nun auch beruflich wieder die Gelegenheit zum Singen hat.

Seit September bekleidet er eine halbe Stelle dort und ist für Gottesdienste genauso zuständig wie für die Seelsorge, die Sakramente und die Veranstaltung von Exerzitien. Die andere Hälfte seiner Zeit wird der kommunikative Rheinländer als geistlicher Begleiter für Pastoral- und Gemeindereferenten im Erzbistum Köln arbeiten – ganz ohne Rufbereitschaft.

Von Gerlind Schabert