Nächstenliebe ist eine zutiefst christliche Tugend

Ein Ergebnis der Tat

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:58 Uhr – Von Björn Odendahl – Lesedauer: 
Serie: Nächstenliebe

"Was ist eigentlich christliche Nächstenliebe?" Redakteur Björn Odendahl kommt beim Antworten ins Schleudern.

  • Teilen:

Also hole ich nun weiter aus. Ist es schon christliche Nächstenliebe, wenn ich meiner Großmutter bei Einkäufen helfe, die sie alleine nicht mehr erledigen kann? "Sicher ist es das", wäre die Bauch-Antwort gewesen. Doch greift die natürlich zu kurz. Christliche Nächstenliebe ist weit mehr. Das lehrt Jesus selbst, wenn er sagt: "Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?" (Mt 5,46)

Christliche Nächstenliebe beschränkt sich demnach nicht nur darauf, der Familie oder Freunden zu helfen, also denen, die uns wortwörtlich "nahe" oder sogar "am nächsten" sind. Doch es kann der Anfang sein, sozusagen Nächstenliebe für Einsteiger. Wie sonst sollte man es sonst nennen, wenn ich einem Freund beim Umzug helfe, für ihn schwere Kisten oder eine Waschmaschine trage? Naja. Ein Philosoph – oder meinetwegen auch ein Verhaltensbiologe – würde vielleicht antworten: "Rationaler Altruismus".

"Wie bitte?" - Das wäre auch meine natürliche Reaktion gewesen, hätte ich es nicht nachgeschlagen. Zur Erklärung: Als Altruismus bezeichnet man zunächst eine Uneigennützigkeit oder Selbstlosigkeit, die – nach Auguste Comte – "einem Individuum zugunsten eines anderen Individuums mehr Kosten als Nutzen einbringt". Klingt kompliziert, aber irgendwie auch stark nach christlicher Nächstenliebe. Auguste Comte wollte davon nichts wissen. Nur der Vollständigkeit halber: Er war Religionskritiker.

Rationaler Altruismus?

Um "rationalen Altruismus" würde es sich handeln, wenn ich beim Umzug des Freundes dann noch mit (bösem) Hintergedanken geholfen hätte. Denn auch ich könnte ja einmal eine schwere Waschmaschine zu tragen haben. Ein meiner Meinung nach durchweg trauriges Menschenbild, das dieser Theorie zugrunde liegt. Fernab davon, dass ich nie soweit vorausdenken würde, glaube ich noch an das Gute im Menschen. Von solchen Theorien sollte man sich aber sowieso nicht beirren lassen. Denn Nächstenliebe ist ein Ergebnis der Tat, nicht des Wortes.

Sich im Ehrenamt engagieren, fremden Menschen helfen, in einen Streit eingreifen, wenn Schwächeren Schaden zugefügt wird: Das ist eine Form der Nächstenliebe, die noch etwas schwieriger zu leben ist. Sie verlangt einen noch größeren Willen zur Aufopferung, weil sie nicht die Menschen betrifft, die man liebt. Aber wenn Jesus sagt "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40), könnte das ja schon ein kleiner Anreiz sein, es einmal auszuprobieren. Dadurch soll jedoch der Wert der Hilfsbereitschaft gegenüber Freunden und Familie nicht geschmälert werden.

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“

—  Zitat: Mt 5,43.44

Natürlich ist das alles auch ohne den Glauben an Gott oder seinen menschgewordenen Sohn möglich. Also Gutes tun und seinen Nächsten lieben, meine ich. Doch ist es für mich – salopp gesagt – viel leichter, in Jesus Christus einem konkreten Vorbild statt irgendeiner abstrakten Theorie zu folgen. Auch wenn es zugegebenermaßen manchmal deprimierend und schwierig sein kann. Denn Jesus ist eben der Sohn Gottes und hatte auch zu irdischen Zeiten irgendwie den Hang zur Perfektion.

Oder was ist davon zu halten, wenn er sagt "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen" (Mt 5,43.44)? Das gibt er uns also auch noch die höchste Form der Nächstenliebe mit: die Feindesliebe. Wir können nur versuchen, nach ihr zu streben. Die meisten von uns sind aber zu sehr Mensch, um jede erlittene Ungerechtigkeit zu verzeihen, um denen, die sie uns zugefügt haben, sogar noch Gutes zu tun. Das macht uns aber nicht direkt zu schlechten Menschen. Denn jeder fängt ja einmal klein an, zum Beispiel mit Einkaufstüten und Waschmaschinen.

Von Björn Odendahl