Co-Sprecher Markus Gutfleisch im Interview

Katholisches LSBT+ Komitee: Kirchenvertreter sollten uns mehr zuhören

Veröffentlicht am 19.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Recklinghausen ‐ "Wir wollten uns nie in einer gemütlichen Ecke am Rande der Kirche versammeln und uns selbst genügen", sagt Markus Gutfleisch. Im katholisch.de-Interview erklärt der Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, was passieren muss, damit die Kirche zum Schutzraum für queere Menschen wird.

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"Es würde auch der Kirche guttun, wenn wir an Bord sind", sagt Markus Gutfleisch. Er bezeichnet sich selbst als queerer Aktivist und ist Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees. Das ist ein Arbeitsbündnis aus verschiedenen queeren christlichen Gruppierungen. Im katholisch.de-Interview spricht Gutfleisch über die ambivalenten Aussagen der Kirche und "Pinkwashing".

Frage: Herr Gutfleisch, in den vergangenen Jahren sind in vielen Bistümern neue Beauftragte für Queerpastoral berufen worden. Mittlerweile gibt es Ansprechpersonen in 20 von 27 Bistümern. Beobachten Sie derzeit ebenfalls einen großen Aufbruch in diesem Bereich?

Gutfleisch: Wir beobachten einen kleinen Aufbruch, der immer weitere Kreise zieht. Und das finden wir sehr gut.

Frage: In der queeren Community gibt es gleichzeitig ein erhebliches Misstrauen gegenüber kirchlichen Angeboten. Woran liegt das?

Gutfleisch: Das liegt daran, dass die katholische Kirche sich mit queeren Menschen nach wie vor schwertut. Die kirchliche Lehre, die auch Papst Franziskus nicht angerührt hat, ist immer noch verletzend und führt dazu, dass queere Menschen den Eindruck haben: Ich bin in der Kirche eine randständige Person. Der Papst sagt auf der einen Seite, die Kirche ist für alle, auf der anderen Seite betont er aber, dass Homosexualität Sünde ist und nicht gesegnet werden kann, zudem kennt er nur zwei Geschlechter und lehnt Transition ab. Da blicken wir nicht mehr durch. Menschen, die das kirchliche Geschehen nicht so verfolgen, klinken sich dann aus und erwarten von der Kirchenleitung nichts mehr. Wir beobachten gleichzeitig, dass es Gemeinden gibt, die an der Basis Initiativen entwickeln, die wiederum die Bistumsebene pushen können – also von unten nach oben.

Frage: Sie haben die lehramtliche Position der Kirche angesprochen. Beim Thema Todesstrafe hat Papst Franziskus den Katechismus der Katholischen Kirche geändert. Angenommen, er würde das auch im Hinblick auf Homosexualität tun – wäre dann alles gut?

Gutfleisch: Es wäre ein ganz wichtiger Meilenstein, der dann auch in der Kirche gelebt werden müsste. So einfach geht das jedoch nicht: Es gibt nach wie vor Bischöfe in der Weltkirche, die die Diskriminierung, Ausgrenzung und strafrechtliche Verfolgung queerer Menschen in ihren Ländern sogar unterstützen. Wenn man jahrelang einen bestimmten Kurs fährt, kann man den aber nicht eben so ändern und denken, dass dann alles gut ist. Es gibt eine Verletzungs- und Schuldgeschichte der Kirche. Eine Änderung des Katechismus wäre die Basis, um den Umgang im kirchlichen Leben zu verändern.

„Wir wollten uns nie in einer gemütlichen Ecke am Rande der Kirche versammeln und uns selbst genügen.“

—  Zitat: Markus Gutfleisch

Frage: Der Papst äußert sich mitunter durchaus ambivalent in Hinblick auf das Thema Homosexualität. Wie gehen Sie damit um?

Gutfleisch: Der Papst betont immer wieder, dass er Homosexuelle weiterhin als Sünder sieht. Das macht eine Verständigung und auch eine Inklusion schwer, wenn wir nur als Sünder am Tisch Jesu willkommen sein sollen. Wer möchte denn da gerne Platz nehmen?

Frage: Nun deutet sich derzeit nicht an, dass der Papst den Katechismus in naher Zukunft ändern wird. Was können denn die Kirche und Seelsorgende hier in Deutschland tun, um der Situation zu begegnen?

Gutfleisch: Sie müssen erstmal rausgehen aus kirchlichen Räumen und reingehen in die Treffpunkte und Netzwerke von queeren christlichen Menschen. Sie müssen zuhören und spüren, in welcher Situation queere glaubende und suchende Menschen leben, welche Bedürfnisse sie haben und wo da eine Brücke zur Kirche, zur Gemeinschaft möglich ist. Dieses Zuhören muss am Anfang stehen. Und es ist wichtig, dass sich Kirchenvertreterinnen und -vertreter nicht nur aus Interesse oder pastoraler Betroffenheit um uns kümmern, sondern dass das eine partnerschaftliche Zusammenarbeit wird und dass unser ehrenamtliches Engagement dort Unterstützung erfährt. Wir wollen gemeinsam vorankommen und die Kirche verändern.

Frage: Seit mehr als 40 Jahren organisieren sich christliche queere Menschen in Netzwerken, zum Teil findet dort untereinander auch Seelsorge und theologische Bildung statt. Wenn sich Menschen in diesen Kreisen wohlfühlen und es ihnen dort gutgeht, kann doch eigentlich alles so bleiben, oder?

Gutfleisch: Das könnte man so sagen – wenn man sich das Thema vom Leib halten möchte. Wir wollten uns nie in einer gemütlichen Ecke am Rande der Kirche versammeln und uns selbst genügen. Wir sind ein Segen füreinander, unsere Arbeit ist segensreich, aber es ist schon ein Wunsch von vielen, auch durch Hauptamtliche in einer Liturgie den Segen Gottes zugesprochen zu bekommen. Es würde auch der Kirche guttun, wenn wir an Bord sind. Dafür muss es Kontakt und Vertrauen geben. Dazu braucht es aber auch die Bereitschaft vonseiten der Kirche, sich mit uns an einen Tisch zu setzen.

Markus Gutfleisch, Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees
Bild: ©Privat

Was sich Markus Gutfleisch, Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, in Zukunft von Kirchenvertretern wünscht? "Mein Wunsch wäre, dass sie in Zukunft auf die Idee kommen, mit uns zu sprechen, bevor es Äußerungen zum Thema Queerness gibt – etwa um zu fragen, welche Konsequenzen das für uns hat."

Frage: Die Kirche hat den Anspruch, ein Schutzraum für ausgegrenzte Menschen zu sein. Was müsste denn passieren, damit sie auch ein Schutzraum für queere Menschen wird? 

Gutfleisch: Sie muss sensibel sein und ihre eigenen Strukturen überdenken. Es wäre gut, wenn sie selbst aufmerksam ist und diese Arbeit nicht allein uns überlässt. Bis die Kirche ein Schutzraum für uns ist, braucht es noch viele Aktivitäten. Vor kurzer Zeit hat uns eine Person gesagt: "Es ist ja schön, wenn die Regenbogenfahne an der Kirche hängt. Aber wie verletzend ist kirchliche Sprache und was ist beispielsweise mit Toiletten für nichtbinäre Menschen?" Das kann man jetzt natürlich als Randphänomen betrachten. Es hat uns aber zum Nachdenken angeregt. Und wir weisen immer wieder auf die Themen hin.

Frage: Inwiefern?

Gutfleisch: Man ist dann schnell beim sogenannten "Pinkwashing", also dem Vorgeben einer Unterstützung der LSBTIQ-Bewegung, um selbst modern und tolerant zu wirken. Eine Fahne ist schnell aufgehängt, aber ist das nachhaltig? Ist das etwas, was die Gemeinde als Ganzes lebt, die Hauptamtlichen, die Gruppierungen? Natürlich sind queere Menschen da sensibel, wenn das Gefühl entsteht, sie sollen vereinnahmt werden.

Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von den Verantwortlichen in der Kirche?

Gutfleisch: Mein Wunsch wäre, dass sie in Zukunft auf die Idee kommen, mit uns zu sprechen, bevor es Äußerungen zum Thema Queerness gibt – etwa um zu fragen, welche Konsequenzen das für uns hat. Vielleicht gibt es ja Dinge, die sie mit ihrem bischöflichen oder Seelsorgeamts-Blick nicht auf dem Schirm haben können. Und natürlich brauchen die Beauftragten für Queerpastoral ein robustes Mandat vonseiten der Bistümer, damit deutlich wird, dass das etwas ist, das ernst gemeint ist. Für diese wichtige Aufgabe darf die Kirche auch mal Geld in die Hand nehmen.

Von Christoph Brüwer