Keine Vertuschung beabsichtigt

Kardinal Koch räumt Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfall ein

Veröffentlicht am 01.10.2023 um 12:23 Uhr – Lesedauer: 

Zürich/Rom ‐ Keine Anzeige, keine kirchliche Untersuchung: Die Schweizer Missbrauchsstudie weist dem heutigen Kardinal Kurt Koch Versäumnisse in einem Missbrauchsfall in seiner Basler Zeit nach. Nun äußert sich Koch erstmals dazu.

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Kurienkardinal Kurt Koch räumt erstmals Versäumnisse im Umgang mit einem Missbrauchsfall im Bistum Basel ein. Gegenüber dem Schweizer "SonntagsBlick" wies der Kardinal aber zurück, absichtlich vertuscht zu haben. Koch hatte laut der Schweizer Missbrauchsstudie 2002 als Bischof von Basel versäumt, einen Verdachtsfall an die Staatsanwaltschaft zu melden und eine kirchenrechtliche Voruntersuchung zu beginnen. "Von heute aus betrachtet muss ich eingestehen, dass dieses Vorgehen nicht zufriedenstellend funktioniert hat und dass es ein Fehler gewesen ist, die vorgesehenen Massnahmen nicht ergriffen zu haben. Ich bedaure dies vor allem im Hinblick auf die Opfer, wenn dieses Vorgehen bei ihnen den Eindruck erweckt haben sollte, von uns nicht ernst genommen worden zu sein", erläutert Koch. Dafür bitte er um Entschuldigung.

Koch ist heute Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen. Bevor er 2010 in den Vatikan wechselte, war er von 1995 an Bischof von Basel. Sein Nachfolger hatte in dem fraglichen Fall nichts weiteres unternommen: "Bischof Felix Gmür ist davon ausgegangen, dass der damalige Bischof Kurt Koch alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe", teilte das Bistum dem SonntagsBlick mit. In einem anderen Fall hatte Gmür Mitte August Versäumnisse eingeräumt.

Fallbeispiel für Vertuschung durch Versetzung

Bei dem in der Schweizer Studie als Fallbeispiel einer Versetzung über Landesgrenzen hinweg dokumentierten Vorgang, zu dem Koch sich nun äußerte, geht es um einen 1945 in Rumänien geborenen Priester, der ab 1985 im Bistum Basel inkardiniert war, also kirchenrechtlich dem Basler Bischof unterstand. 2005 wurde er wieder in einem rumänischen Bistum inkardiniert. Der in der Studie als "K.S." bezeichnete Priester war aber weiterhin in der Schweiz tätig. "Zwei Jahre vor dem Bistumswechsel hatte sich ein Betroffener beim Bistum Basel gemeldet und von mehreren sexuellen Missbräuchen sowohl bei sich zuhause als auch im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Jungwacht und als Ministrant durch K. S. berichtet", heißt es in der Studie. Nachdem der Priester gegenüber dem Bistum eine Erklärung abgegeben hatte, dass es nie "in irgendeiner Form zu sexuellen Kontakten zwischen ihm und Kindern/Jugendlichen gekommen" sei, war der Fall für das Bistum ohne weitere Konsequenzen erledigt.

Ab 2005 meldeten sich weitere Betroffene, die von Übergriffen auf Minderjährige berichteten. Aufgrund der Inkardination in Rumänien und der Untätigkeit des dortigen Bischofs konnte Koch den Priester nicht anweisen, das Gebiet seines Bistums zu verlassen. Nach einer weiteren Betroffenenmeldung forderte das Bistum den Priester auf, sich selbst anzuzeigen. "K. S. hatte zuvor den Betroffenen bereits um Vergebung gebeten und seine Taten eingestanden. Mit der Versicherung von K. S., dass er sich selbst angezeigt habe, endet das Dossier des Fachgremiums Basel", heißt es dazu in der Studie. Ob er sich tatsächlich selbst angezeigt hat, geht aus den für die Studie zur Verfügung stehenden Dokumenten nicht hervor.

Mitte September wurde bekannt, dass der Vatikan gegen mehrere amtierende und ehemalige Schweizer Bischöfe und weitere Geistliche wegen des Verdachts auf Vertuschung ermittelt. Koch war nicht unter den genannten. Mit der Untersuchung wurde der Churer Bischof Joseph Bonnemain beauftragt. Kurz darauf wurden die Ergebnisse einer Pilotstudie im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz vorgestellt. Die Forschenden von der Universität Zürich identifizierten dabei 1.002 Fälle, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Dies sei allerdings wohl nur "die Spitze des Eisbergs". Zahlreiche Aktenbestände, etwa von katholischen Schulen und Heimen, konnten noch nicht ausgewertet werden. Nach der Veröffentlichung kündigten die Schweizer Bischöfe mehrere Maßnahmen an, darunter einen veränderten Umgang mit Archivakten und die Einrichtung eines nationalen kirchlichen Strafgerichts. (fxn)