Studie: Mindestens 103 Betroffene und 36 Beschuldigte

Missbrauch bei den Pfadfindern – Fast nur Männer beschuldigt

Veröffentlicht am 29.02.2024 um 12:41 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Eine wissenschaftliche Studie zu sexualisierter Gewalt im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder wurde veröffentlicht – und nennt mindestens 103 Betroffene und 36 Beschuldigte in 30 Jahren. Was daraus folgen soll.

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Der interkonfessionelle und überparteiliche Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) in Deutschland hat sich seiner dunklen Vergangenheit gestellt. So gab es im Untersuchungszeitraum von 1976 bis 2006 mindestens 103 Betroffene sexualisierter Gewalt. Der Taten beschuldigt werden 36 überwiegend männliche Personen, wie eine am Donnerstag im Münchner Presseclub vorgestellte Studie ergab. Diese wurde vom Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) und dem Berliner "Dissens – Institut für Bildung und Forschung" durchgeführt.

Als Datengrundlage dafür dienten 56 qualitative Interviews mit 60 Personen, davon 26 Betroffene, 22 Zeitzeugen, 7 Schlüsselpersonen und 5 Experten, wie es heißt. Außerdem sei Aktenmaterial aus verschiedenen Archiven des Verbands ausgewertet worden. Beziehe man auch die Taten mit ein, die zeitlich beziehungsweise verbandlich nicht genau zugeordnet werden könnten, erhöhe sich die Zahl auf 50 Beschuldigte und 123 Betroffene.

Die mutmaßlichen Tatzeiträume sind der Untersuchung zufolge besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren gelegen. Betroffen gewesen seien vor allem Mädchen und Jungen. Unter den fast ausschließlich männlichen Beschuldigten habe es zwei Prototypen gegeben: den älteren erwachsenen Pfadfinder und den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, der seine Stellung als Leitungsfigur benutzt habe, um Jüngere sexuell auszubeuten.

Strukturelle Risikobedingungen

Als strukturelle Risikobedingungen im Jugendverband machten die Forscher mangelnde Kontrolle und Anleitung von jungen Führungspersonen aus. Hinzu seien informelle Machtasymmetrien und starke Loyalitäten von Kindern und Jugendlichen zu ihrem Stamm gekommen. Als problematisch habe sich überdies die ausgeprägte Abhängigkeit einiger Ortsgruppen von besonders engagierten Leitungsfiguren erwiesen, die ihre Machtpositionen entsprechend ausgenutzt hätten.

Wie Peter Caspari vom IPP sagte, wurde oft eine vielfältige Mitwisserschaft ausgemacht. Dennoch sei weiter über sexualisierte Gewalt geschwiegen worden, weil es, wie auch in der Kirche, keine Sprache dafür gegeben habe und keine kommunikative Atmosphäre für das Thema. Eine Besonderheit des BdP im Gegensatz zu anderen Institutionen, die in den vergangenen Jahren die Problematik aufgearbeitet hätten, gebe es aber auch: So seien dort sehr junge Menschen früh in Verantwortungspositionen gekommen und dabei durchaus mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt befasst gewesen. Zum Teil seien diese aber auch selbst Betroffene von Übergriffen gewesen.

Vertreter des BdP-Bundesvorstands nannten die Ergebnisse "schmerzhaft" und kündigten an, sich ihrer moralischen Verantwortung stellen zu wollen. Der Verband sei dabei, die von den Forschern empfohlenen Präventionsmaßnahmen auszubauen. Zugleich wolle man mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt sprechen und mit ihnen nach individuellen Lösung für das erlittene Leid suchen, sagte Dustin Schmidt. – Der BdP wurde 1976 gegründet und erreicht nach eigenen Angaben rund 30.000 Kinder und Jugendliche. (KNA)