Müller erwartet von G7 Vorleistungen für Klima und Entwicklung

"Von Elmau muss ein klares Signal ausgehen"

Veröffentlicht am 01.06.2015 um 17:30 Uhr – Von Christoph Scholz und Anna Mertens (KNA) – Lesedauer: 
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU)
Bild: © KNA
Entwicklungshilfe

Berlin ‐ Am Sonntag beginnt der G7-Gipfel - nach dem Willen der deutschen Regierung der erste Meilenstein im "Entwicklungsjahr 2015". Bundesminister Gerd Müller hat viele Erwartung an die Konferenz - und erhofft sich einen stärkeren Blick auf die Rolle der Religionen in der Entwicklungshilfe.

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KNA: Herr Minister Müller, die Erwartungen an das Treffen in Elmau sind hoch. Womit können vor allem die ärmeren Länder rechnen?

Müller: Der in New York angestrebte Weltzukunftsvertrag mit nachhaltigen Entwicklungszielen wird oberste Priorität haben. Die Bundeskanzlerin hat die Themen gesetzt: eine gerechtere Globalisierung, der Kampf gegen Hunger und Unterernährung, weltweite Umwelt und Sozialstandards, die Stärkung der Frauen, eine bessere Gesundheitsversorgung und starke Impulse für den Klimagipfel.

KNA: Die SDGs nehmen erstmals auch die Industrienationen in die Pflicht. Was nehmen sich die G7-Staaten vor?

Müller: Wenn unsere Wachstums- und Konsummuster der G7 weltweiter Maßstab würden, bräuchten wir drei Erden. Wir müssen aus Eigeninteresse durch Innovation und neue Technologien wirtschaftliches Wachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln. Die Abholzung der Regelwälder in Brasilien betrifft uns in Berlin oder Dortmund ebenso wie die Produktionsweise in Indien oder der Energiehunger der Bevölkerung in Nigeria. Von Elmau soll das Signal ausgehen, dass wir weltweit verbindliche Regeln bei Produktion, Handel und Konsum brauchen. Dazu sind ökologische und soziale Mindeststandards nötig: Wie bauen wir Erze ab, wie nutzen wir die Ozeane oder Tropenhölzer.

„Die Welthandelsorganisation muss eine Fair-Handelsorganisation werden. Das heißt verbindliche Vorgaben für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer.“

—  Zitat: Minister Gerd Müller

KNA: Was bedeutet das konkret für die G7?

Müller: Die Industrieländer müssen sich vor allem auf einen fairen Handel verpflichten. Nehmen sie Liberia, eines der ärmsten Länder der Welt, obwohl es unglaublich reich ist: Es exportiert Gold, Mineralien, Kakao, Kautschuk und Obst. Von den Gewinnen bleibt aber praktisch nichts für die Bevölkerung übrig. Wir bezahlen den Plantagenarbeitern noch keine fairen Preise. Die Welthandelsorganisation muss eine Fair-Handelsorganisation werden. Das heißt verbindliche Vorgaben für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer. Gerade Afrika bietet unzählige Möglichkeiten. Wir müssen den schwarzen Kontinent zu einem grünen machen.

KNA: Ist das durchsetzbar?

Müller: Nicht nur die Entwicklungsländer machen Druck mit Blick auf New York. Wir zeigen mit dem von uns initiierten Textilbündnis, dass nachhaltige Produktion einer gesamten Wertschöpfungskette vom Baumwollfeld bis zum Kleid am Bügel möglich ist, mit ökologischen Standards etwa beim Färben mit Chemikalien und existenzsichernden Löhnen. Entwicklungsländern bietet das eine enorme Chance.

Schloss Elmau
Bild: ©picture alliance/Chris Wallberg

Auf Schloss Elmau tagen Anfang Juni 2015 die G7-Staaten, ein Zusammenschluss der sieben wichtigsten Industrienationen ohne Russland. Themen sind Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Klima, Umwelt und Bildung.

KNA: Deutschland sieht sich mit Frankreich auch beim Klimawandel in einer Vorreiterrolle.

Müller: Von Elmau muss das Signal für Paris ausgehen: Ja, wir Industriestaaten wollen das Zwei-Grad-Ziel als Limit der Klimaerwärmung einhalten - Amerika und Japan mit eingeschlossen. Das verlangt verbindliche nationale Minderungsziele und ein funktionierendes Überprüfungssystem.

KNA: Die Entwicklungsländer machen die Zustimmung zu Paris auch von finanziellen Zusagen abhängig.

Müller: Dazu haben wir den "Green Climate Fund" aufgelegt. In Elmau müssen nun die G7-Staaten zeigen, wie sie ihrer Verpflichtung gerecht werden, bis 2020 die jährlich 100 Milliarden Euro für Anpassung und Folgen des Klimawandels in den ärmeren Ländern aufzubringen. Ferner wollen wir 500 Millionen Menschen über eine Klimaschutzversicherung vor Katastrophenrisiken absichern. Auch das ist ein neues Instrument.

KNA: Ein weiteres G7-Thema ist Gesundheit. Die Ebola-Epidemie hat das Problem mangelhafter Gesundheitssysteme drastisch vor Augen geführt.

Müller: Das Ebola-Virus ist nur sieben Flugstunden von uns entfernt. Seuchenvorsorge ist daher ein globales Thema. Es ist bereits vieles geschehen, etwa durch die Impfallianz Gavi, durch die bereits 500 Millionen Kinder geimpft werden konnten, oder eine Stärkung der Mutter-Kind-Gesundheit. Die G7 müssen sich an diesen Stellen weiter einsetzen und in den Aufbau globaler Gesundheitsstrukturen investieren. Es ist zynisch, wenn Zehntausende an Infektionen sterben, für die wir Impfstoffe haben.

KNA: Bei der Ebola-Epidemie hat allerdings die Hilfe der Industrieländer versagt. Sie kam zu spät und unkoordiniert.

Müller: Die Kritik ist angebracht. Wir brauchen eine bessere Vernetzung. In Deutschland setzen wir das Konzept der "Weißhelme" um, das die Einsatzkräfte der Nothilfe, medizinischen Versorgung, Technik und Logistik koordiniert. Bei der nächsten Epidemie muss eine medizinische Station in zehn Tagen und nicht erst in drei Monaten einsatzbereit sein.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar, gleich ob er in Berlin oder im Südsudan lebt. Das muss die gemeinsame Basis sein.“

—  Zitat: Minister Gerd Müller

KNA: Sie machen sich für eine werteorientierte Entwicklungspolitik stark, die auch die Rolle der Religion stärker einbezieht. Entwicklungsorganisationen setzten vorrangig auf eine menschenrechtsbasierte Entwicklungspolitik.

Müller: Das ist für mich kein Widerspruch, im Gegenteil. Die Würde des Menschen ist unantastbar, gleich ob er in Berlin oder im Südsudan lebt. Das muss die gemeinsame Basis sein. In den meisten Ländern der Erde glauben die Menschen an einen Schöpfer, an ein Leben nach dem Tod. Sie beziehen aus der Religion ihre Lebensstrukturen, ihren Lebenssinn. Das müssen wir achten und religiöse Toleranz sowie den interreligiösen Dialog stärken.

KNA: Religion kann aber auch Grund für Gewalt sein, wie sich in der islamischen Welt derzeit zeigt.

Müller: Mir geht es darum, die gemeinsamen humanen Werte in diesen Religionen zu stärken. In vielen Ländern orientieren sich die Menschen an Traditionen, Kulturen und religiösen Werten. Sie geben ihnen Halt und Sinn. Islamische Staaten haben nicht unser Modell von Kirche und Staat. Dennoch können wir die verbindende Werte der Religion unterstützen und im Sinne eines gemeinsamen Ethos aufwerten.

Von Christoph Scholz und Anna Mertens (KNA)