Zuhören statt Verurteilen

Frage: Papst Franziskus hatte schon im Herbst 2013 einen Fragebogen zu Themen rund um Partnerschaft, Ehe und Familie herausgegeben. Warum war Ihrer Meinung nach eine weitere Umfrage nötig?
Sarah Delere: Also "unbedingt nötig" ist vielleicht der falsche Ausdruck. Uns ging es vor allem darum, dass wir einen verständlichen, für alle gut ausfüllbaren Fragebogen entwickeln. Es war uns wichtig, ländervergleichend zu arbeiten. Dazu mussten wir andere sozialwissenschaftliche Methoden anwenden als die, welche der Vatikan gewählt hat. In unserem Fragebogen steht beispielsweise auch nur eine Frage und nicht wie in den vatikanischen Fragebögen ein Block an Fragen. Dann können die Teilnehmer ankreuzen: Ja - Eher ja - Eher nein - Nein - Keine Antwort. Das haben Sie so im vatikanischen Fragebogen nicht.
Anna Roth: Zudem haben wir Daten wie Alter, Geschlecht und Zivilstand abgefragt. Damit wir am Ende vergleichen können, ob es zum Beispiel Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen gibt.
Frage: Wie kam die Umfrage zustande?
Anna Roth: Wir haben den Fragebogen von Papst Franziskus gesehen und ihn für eine großartige Idee gehalten. Wir wollten versuchen, möglichst viele Personen anzusprechen, um so an der Initiative mitzuarbeiten. Uns war natürlich klar, dass uns als Studenten die Erfahrung fehlt, da wir so etwas noch nicht in der Form durchgeführt haben. Das heißt, wir haben uns für jede Frage, die in der Konzeptionierung und Durchführung aufkam, Experten gesucht, die uns beraten haben. Für das Konzept des Fragebogens war es das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften GESIS.

Anna Roth, Sarah Delere und Tobias Roth präsentieren die Ergebnisse ihrer Umfrage. Die Studie wurde in den "Stimmen der Zeit" veröffentlicht.
Frage: Wenn Sie jetzt ein kurzes Fazit zu den Umfrageergebnissen ziehen…
Sarah Delere: Ich denke, man kann drei große Trends herausstellen. Erstens gibt es keinen Generationenkonflikt. Nur beim "Zusammenleben auf Probe" vor der Ehe und bei der Frage nach der Anerkennung, Segnung oder kirchlichen Heirat von Homosexuellen unterscheiden sich die Meinungen der jüngeren und der älteren Generation. Zweitens werden die umstrittenen, im Fragebogen angesprochenen Themen nicht allein in Westeuropa diskutiert. Debatten gibt es ebenso in Asien sowie in Lateinamerika oder im nordamerikanischen Raum. Drittens gibt es eine starke Forderung nach Gradualität, also einem menschlichen, aufrichtigen Umgang mit der Spannung zwischen Realität und Ideal. Viele Gläubige wünschen sich, dass ihre Lebensrealität und damit auch andere Formen als das Ideal von der Kirche anerkannt werden.
Frage: Sind diese Trends für Sie überraschend?
Sarah Delere: Dass es keinen Generationenkonflikt gab, war für mich schon überraschend.
Tobias Roth: Die Deutlichkeit der Trends hat uns überrascht. Sie war statistisch sehr ausgeprägt. Wir sehen zum Beispiel eine sehr hohe Akzeptanz des kirchlichen Ehe- und Familienideals. Auf der anderen Seite steht eine deutliche Ablehnung des momentanen Umgangs mit wiederverheiratet Geschiedenen. Daneben haben wir uns auch über die insgesamt sehr gute Resonanz und die Ausführlichkeit der Antworten besonders gefreut.
Frage: Menschen aller Konfessionen und Weltanschauungen können mitmachen. Sind die Ergebnisse repräsentativ für die katholische Kirche?
Tobias Roth: Römisch-katholisch sind 94,4 Prozent der Befragten aus Deutschland.
Anna Roth: Das Thema Repräsentativität ist für andere Studien wichtiger. Wenn man Katholiken befragt, ist es aber nicht passend. Das liegt daran, dass man den Begriff "Katholik" näher definieren müsste. Das ist aber schwierig. Heißt "Katholisch sein", dass man einen Taufschein hat, dass man Kirchensteuer zahlt, dass man sonntags in den Gottesdienst geht oder dass man sich selbst als gläubig beschreibt? Tatsächlich können wir aber sagen, dass wir die für die Debatte kirchlich relevante Gruppe erfasst haben. Wir haben nämlich vor allem kirchlich engagierte Katholiken befragt. So geben beispielsweise 80 Prozent der Befragten an, mehr als einmal im Monat den Gottesdienst zu besuchen. Die Ergebnisse kommen also mitten aus der Kirche und nicht vom Rand.
Frage: Die kirchliche Lehrmeinung deckt sich in weiten Teilen nicht mit der Ansicht der Katholiken, die Sie befragt haben. Aber kann denn über die Lehre der Kirche demokratisch abgestimmt werden?
Tobias Roth: Das Ideal der Kirche wird sehr stark geteilt. Das kirchliche Ehe- und Familienideal trifft auf sehr hohe Zustimmung. Die Zukunft der Kirche ist unseren Befragten enorm wichtig.
Anna Roth: Eine demokratische Abstimmung ist weder unser Anliegen noch das Anliegen der Befragten. Es geht lediglich darum, hinzuhören und die Lebenswirklichkeit der Gläubigen zu erfassen. Und dies soll dann systematisch aufgearbeitet in den Synodenprozess mit hineingenommen werden. Das hat mit einer demokratischen Abstimmung nichts zu tun.
Frage: Was haben Sie mit den Umfrageergebnissen nun vor?
Sarah Delere: Wir hatten das große Glück, in der letzten Woche mit Bischof Franz-Josef Bode, der an der Familiensynode im Herbst teilnehmen wird, reden zu können. Das war ein sehr langer, sehr guter Austausch über die wissenschaftlichen Ergebnisse. Da haben wir auch besprochen, dass die Studie mit nach Rom genommen werden soll, damit sie in die Synode einfließen kann. Wir freuen uns, dass wir auf diese Weise die Stimmen der Gläubigen weiterleiten werden. Gespannt sind wir auf die möglicherweise nun beginnende Debatte.
Frage: Welche Konsequenzen sollte die Kirche Ihrer Meinung nach aus der Studie ziehen?
Tobias Roth: Wichtig ist, dass Zuhören eine ganz zentrale Rolle einnimmt. Es ist eine Herausforderung für die Kirche, von der verurteilenden Kirche, wie sie weithin wahrgenommen wird, wegzukommen zu einer zuhörenden Kirche. Wenn unser Beitrag bei der Synode ernstgenommen wird, haben wir viel erreicht. Die Tatsache, dass Papst Franziskus selbst die Idee hatte, die Gläubigen nach ihrer Meinung zu befragen, zeigt, dass man auf kirchlicher Seite keine Angst vor der Realität hat. Dieses Zeichen aus dem Vatikan wurde sehr positiv wahrgenommen und wird von unseren Befragten als wegweisendes Signal hin zu einer dialogischen Kirche verstanden.