Wie der Glaube in beunruhigenden Zeiten Trost spenden kann

Unsere Zeit ist beunruhigend. Von Verlusten und Unsicherheiten ist unser Leben geprägt. Das macht etwas mit unserer Seele. Die Unruhe unserer Zeit geht nicht einfach spurlos an uns vorbei. Unserem Leben, so der ZEIT-Autor Volker Weidermann, fehlt eine existenzielle Geborgenheit, ein gutes Sich-aufgehoben-Fühlen.[1] Ist es das Gefühl der Verlässlichkeit, der Sicherheit und des Vertrauens, das fehlt? Vielleicht ist es auch Trost, der fehlt. Wirklicher Trost ist nicht Vertröstung oder gar das Erteilen von einfachen Ratschlägen. Wirklicher Trost reicht tiefer. Das Wort Trost kommt vom Wort "treue" und meint so viel wie Standfestigkeit. Das ist eine schöne Bedeutung: Jemand ist an meiner Seite, er oder sie ist einfach da und hört zu. Er gibt keine Ratschläge, sondern hält meine Ohnmacht, meine Verzweiflung, meine Hoffnungslosigkeit aus. Gerade in diesen unsicheren Zeiten spüren viele, wie gut es tut, wenn jemand einfach mal zuhört und da ist. Mit seinen Ängsten und Unsicherheiten gesehen zu werden, das kann trösten.
Mit Anfang 30 kommt die Diagnose: Krebs
Die Suche nach Trost und das Finden von Trostmomenten ist ganz unterschiedlich. Es verbindet Menschen. Davon schreibt die Journalistin Madeleine Hofmann in ihrem neuesten Buch "Trost. Was wir alle brauchen". Madeleine Hofmann steht mit Anfang 30 mitten im Leben. Sie hat viel vor. Doch dann die Diagnose: Brustkrebs. Ihr Leben verändert sich plötzlich. Madeleine Hofmann sucht in dieser Zeit nach Trost. Sie unterscheidet leeren Trost von wirklichem Trost. Trostmomente erfährt sie in Begegnungen, in kleinen Ritualen im Alltag, in Musik, in Sprache und Literatur. Diese Momente kamen oft unverhofft in ihr Leben. Sie trugen sie in dieser schweren und anstrengenden Zeit. Jedes Leben, so Madeleine Hofmann, erfährt irgendwann schwere Zeiten und Ereignisse, in denen wir zutiefst trostbedürftig sind. In berührender Weise teilt Hofmann ihre Trostinseln und nimmt den Lesenden mit auf diese Reise. Sie erfährt Trost auch in einer spirituellen Offenheit nach dem Größeren, das über das Leben hinaus weist. Sind es diese kleinen Momente der Offenheit und des Lauschens nach dem Größeren, in denen ich mich als Mensch in einer unsicheren und schweren Zeit geborgen und getröstet erfahren kann? Sind das die kleinen Herbergen nach wundgelaufenen Wegstrecken?
Können tiefen Trost bieten: die Psalmen.
Die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs findet in den Worten der Psalmen "Nachtherbergen für die Wegwunden" [2]. Das ist ein berührendes Bild für das, was das Leben kennt: Wunden an Leib und Seele. Das Leben braucht Trostinseln und Herbergen, in denen wir Zuflucht und Wärme finden. Die Menschen, die diese alten jüdischen Gebete, die Psalmen, verfasst haben, kannten das Leben in seiner ganzen Breite. Sie haben alles selbst erlebt: Trauer, Freude und Dank, Klage und Bitte und den Jubel über die Schönheit des Lebens. Die Worte der Psalmen können der Seele eine Herberge sein. Das ganze Leben in all seinen Facetten haben die Psalmbeter vor Gott gebracht. Nichts anderes ist mit "Spiritualität" gemeint: Es ist ein Leben in Verbundenheit mit Gott. Diese Begegnung geschieht mitten im banalen Tag, mitten im Leben. Es ist ein Aufmerksamsein für Gottes Gegenwart in allem. Diese Aufmerksamkeit, so der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han in seinem neusten Buch "Sprechen über Gott. Ein Dialog mit Simone Weil", kann verloren gehen. Er meint, dass es eine Krise der Aufmerksamkeit ist, die unsere Zeit bestimmt. Der Zwang zum stetigen Konsumieren und einem Immer-Mehr macht Aufmerksamkeit unmöglich. Das Leben wird rastlos. Byung-Chul Han widmet sich auch der religiösen Aufmerksamkeit. Diese ist vom Schauen und Lauschen geprägt. Stille und Leere braucht es: Der Mensch entleert sich und betrachtet die Dinge, die ihn umgeben, ohne zu verzwecken, zu verdinglichen und nutzbar zu machen. Die Leere ist offen für Gott. In der Leere kann eine Ahnung für das Mehr des Lebens aufsteigen. Die Leere schafft Stille. So kann der Mensch ganz gegenwärtig sein. Zeiten der Leere schaffen auch Raum für Fragen, die sonst oft verschüttet sind: Was will ich leben? Welche Lebensspur will ich in diese Welt eingraben? Was zählt letztlich? Was tröstet mich? Was lässt mich dankbar leben?
Gott als Lebensgrund
Die christlichen Mystikerinnen und Mystiker haben ihre spirituelle Herberge in Gott gefunden. Auch ihr Heimweh haben sie in besonders berührenden Texten zur Sprache gebracht. Zweifel und Gottesferne prägen auch das spirituelle Leben. Der Mystiker Meister Eckhart hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Gott dem Menschen nahe ist. Gott ist im Grund jeder Seele da. Im Inneren des Menschen ist Gott anwesend. So schreibt Eckhart: "Man soll Gott nicht als außerhalb von einem selbst erfassen und ansehen, sondern als mein Eigen und als das, was in einem ist; … Gott und ich, wir sind eins."[3] In einer ungewöhnlichen Sprache beschreibt Meister Eckhart die Erfahrungswelt der Mystik. Diese religiöse Sprache ist auch eine poetische Sprache, die sich nach dem Geheimnis ausstreckt und sich jedoch dabei dem nur annähern kann. Sie kann diese innere Gottesbegegnung nie ganz erklären und gar verfügbar machen. Sie würde ihr Gewalt antun, würde sie danach streben. Meister Eckhardt erinnert in seinen Predigten und Reden seine Zuhörenden immer wieder daran, dass sie sich Gottes Nähe gewiss sein sollen. Gott ist mit dem Menschen verbunden. Er ist der Lebensgrund. Aus diesem Lebensgrund zu leben, davon ist Meister Eckhardt überzeugt, wirkt Gott selbst in dieser Welt. Diese Verbundenheit löst den Menschen aus Vereinzelung und Entfremdung. Verbunden aus diesem Lebensgrund zu leben bringt Menschen miteinander zusammen. Das ist in unserer Zeit so wichtig und dringend.
Gott ist unser Lebensgrund, schreiben Anselm Grün und Günter Hänsel.
Meister Eckhardts Rede vom Seelengrund verbindet Menschen untereinander und verbindet den Menschen mit seiner inneren Quelle. Johannes Tauler, ein Schüler von Meister Eckhardt, deutet das Gleichnis von der verlorenen Drachme so: Wenn der Mensch sich in seiner irdischen Welt eingerichtet hat und sich selbst dabei verloren hat, dann macht es Gott wie die Frau im Gleichnis, die etwas sucht. Sie stellt die Stühle auf den Tisch, sie verrückt die Schränke, um die verlorene Drachme zu suchen. Gott bringt den Menschen, der sich allzu sicher eingerichtet hat in seiner Welt, ins Gedränge, um ihn in den Seelengrund zu führen. Nur wenn er aus diesem Seelengrund heraus lebt, wird sein Leben gelingen, wird er sich selbst finden, wird er zu dem heiligen Raum auf dem Grund seiner Seele vordringen, in dem er frei ist von den Erwartungen und Bewertungen der Menschen, in denen er ganz er selber ist, frei von dem Druck, sich darstellen, sich beweisen, sich rechtfertigen zu müssen. Die Menschen sehnen sich danach, sie selbst zu sein. Aber zugleich haben sie Angst, durch all das Chaos in ihrem Inneren durchzustoßen in den Seelengrund, in den heiligen Raum im Seelengrund, in dem sie wahre Freiheit und wahres Leben erfahren könnten. Jesus nennt dieses wahre Leben ewiges Leben. Es ist ein Leben, das auch durch den Tod nicht zerstört werden kann.
Schönheit als Zuflucht und Trost
Im Schönen tut sich so etwas wie ein Zufluchtsmoment auf. Der russische Dichter Dostojewski meinte einmal, er müsse wenigstens einmal im Jahr die Schönheit der sixtinischen Madonna anschauen, um sein hartes Leben bewältigen zu können. Die Schönheit ist also keine Flucht vor der Realität, sondern Zuflucht, damit wir die oft so trostlose Wirklichkeit bestehen können. Für die evangelische Theologin Dorothee Sölle gehören Mystik und Schönheit zusammen. Im Schönen liegt auch Trost. Nicht als Verdrängung in schwieriger Zeit, sondern als Herberge mitten in der Welt. Die Schönheit in der Welt zu loben, darin liegt für Dorothee Sölle ein Wahrnehmen des Glanzes Gottes in allem. Sie ermutigt, das Gespür für das Schöne zu bewahren und diese Wahrnehmung gelingt erst, "...wenn Menschen die Schönheit erfahren und besingen. In diesem Sinn sind wir alle Hüterinnen der Freude und dafür verantwortlich, dass die Schönheit des Lebens sichtbar und hörbar wird."[4] Im Schönen können wir Gottes Gegenwart erspüren und erahnen. Ein Spaziergang durch den Wald kann zu einem Weg wie durch eine Kathedrale werden: Wandeln in der Gegenwart Gottes, die uns durch alles Lebendige umgibt.
Momente der Geborgenheit liegen im Gottvertrauen. Der Psalmist betet die Worte: "Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit meines Herzens Trost und mein Teil" (Psalm 73, 25f.). Das ist ein kostbarer und wertvoller Gedanke: Gott ist mit dem Leben verbunden. Gott ist da und bleibt auch in den schweren Stunden des Lebens der Lebensgrund. Von Gott kommt das Leben und kehrt das Leben am Ende der Tage zurück. Das ist eine milde Beziehung zum Leben: Als Mensch muss ich nichts beweisen oder gar alles ins "Reine" bringen. Jedes Leben kennt auch das Unabgeschlossene und Unvollendete. In aller Schönheit und in aller Beschwerlichkeit des Lebens ist Gott da. Gottes Mitsein verleiht dem Leben eine unendliche Kostbarkeit. Ohne Warum.
[1]Vgl. https://www.zeit.de/2025/13/dietrich-bonhoeffer-gedicht-von-guten-maechten-widerstand-christen (Aufruf: 22.04.2025)
[2]Sachs, Nelly: Sternverdunkelung. Gedichte. Amsterdam: 1949.
[3]Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint, Zürich: 1979,S. 186.
[4]Sölle, Dorothee: Mystik und Widerstand. Freiburg im Breisgau: 2014. S. 254.