Piusbruderschaft-Oberer Bernard Fellay wird 60

Der verlorene Hirte

Veröffentlicht am 12.04.2018 um 14:13 Uhr – Lesedauer: 
Traditionalistenbischof Bernard Fellay.
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Traditionalisten

Bonn ‐ Seit 1994 leitet Bernard Fellay die traditionalistische Piusbruderschaft. Fellay, der bereits mit 30 Jahren Bischof wurde, ist eine zwiespältige Figur zwischen Rückwärtsgewandtheit und Heimkehrwünschen.

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Nicht viele Katholiken werden öffentlich exkommuniziert. Noch weniger werden später auf persönliche Veranlassung des Papstes in die Gemeinschaft der Kirche zurückgeholt. Bernard Fellay ist einer von ihnen. Über 20 Jahre lang lebte der Bischof außerhalb des Gnadenstandes, bis der Vatikan auf Betreiben Papst Benedikts XVI. im Januar 2009 die Strafe aufhob. An diesem Donnerstag beginnt Fellay ein neues Lebensjahrzehnt, sein siebtes, in dem er aller Voraussicht nach weiter auf die volle und endgültige Einigung mit Rom hinarbeiten wird.

Dabei war es lange nicht absehbar, dass der gebürtige Schweizer einmal zu einer treibenden Kraft der Aussöhnungsbemühungen unter den katholischen Dissidenten werden sollte. Im Jahr 1977 vollzog Fellay zunächst einmal die Trennung, als er im schweizerischen Ecône in das Priesterseminar der Piusbrüder eintrat. Erst ein Jahr zuvor war deren Gründer und Leiter, Erzbischof Marcel Lefebvre, von Rom suspendiert worden. Als Fellay der Bewegung beitrat, war längst schon klar, dass dieser Weg wohl so schnell nicht nach Rom führen würde.

Das Konzil als "neo-protestantische" Reform

Die im Jahr 1970 gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. stieß von Beginn an auf den Widerstand der kirchlichen Hierarchie. Nach einer Untersuchung durch den Vatikan im Jahr 1974 wurde Lefebvres Organisation im Jahr darauf die offizielle Anerkennung durch die Kirche entzogen. Über vier Jahrzehnte später bleibt der wichtigste Streitpunkt nach wie vor ungelöst: die vollumfängliche Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Lefebvre und seine Anhänger witterten in der Reform der Kirche modernistische und gar "neo-protestantische " Tendenzen. Neben der Erneuerung der römischen Liturgie nahmen sie besonders Anstoß an den Einflüssen der Moderne auf das kirchliche Selbstverständnis. Die Anerkennung der Religionsfreiheit hielten sie für ebenso irregeleitet wie die Stärkung demokratischer Prinzipien und den Rückbau der straff organisierten kirchlichen Hierarchie. Diese Position vertreten die Piusbrüder bis heute.

Der unweit von Ecône in der Kleinstadt Siders geborene Fellay entschied sich als junger Mann für ein Leben in der Konfrontation. Besiegelt wurde dieser Entschluss im Jahr 1982, als Lefebvre den 24-Jährigen durch Handauflegung und lateinisches Gebet zum Priester weihte – freilich ohne Erlaubnis der Kirche. Von Beginn seiner Laufbahn an spielte Fellay als Generalökonom der Bruderschaft und Distriktoberer in der Schweiz eine Führungsrolle bei den Traditionalisten.

Im Jahr 1970 rief Erzbischof Marcel Lefebvre die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X. ins Leben.
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Im Jahr 1970 rief Erzbischof Marcel Lefebvre die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X. ins Leben.

Spätestens im Sommer 1988 avancierte Fellay schließlich zu einer der Schlüsselpersonen der Priesterbruderschaft. Entgegen einer ausdrücklichen Warnung von Papst Johannes Paul II. persönlich weihte Lefebvre seinen späteren Nachfolger neben drei anderen Priestern zum Bischof. Die vier neuen Bischöfe, Erzbischof Lefebvre sowie der emeritierte brasilianische Bischof Antonio de Castro Meyer, der als Mitkonsekrator wirkte, zogen sich damit die automatische Exkommunikation zu. Auf diese Strafe hatte der Vatikan in vorherigen Verhandlungen mehrfach hingewiesen.

Als 30-Jähriger ins Bischofsamt

Für Fellay hatte die Bischofsweihe weitreichende Folgen. Anders als die Priester der Bruderschaft waren ihre fünf Bischöfe hart bestraft und konnten nur auf päpstliche Gnade hoffen, um in die Kirche zurückkehren zu können. Sie waren zu den Gesichtern einer abtrünnigen Bewegung geworden. Zugleich schritt der neue Bischof Fellay in der Hierarchie der Bruderschaft weiter auf. Mit gerade einmal 30 Jahren war er der jüngste der vier neuen Bischöfe. Damit war er sogar fünf Jahre jünger, als es das neue Kirchenrecht von 1983 vorschreibt – was die Piusbrüder als Frucht des Konzils ohnehin nicht anerkennen. Sie stützen sich nach wie vor auf den Codex von 1917, der das Kirchenbild einer straff organisierten "societas perfecta" in Gesetzesform goss.

Die illegitime Weihe der vier Bischöfe hatte Lefebvre mit der Notwendigkeit begründet, einen Nachfolger für die Leitung seiner Bruderschaft zu installieren. In eben diese Position sollte Fellay schließlich sechs Jahre später, in denen er weiterhin als Ökonom wirkte, aufrücken. Im Jahr 1994 wählte ihn das Generalkapitel der Piusbruderschaft für eine erste Amtszeit von zwölf Jahren zum neuen Generaloberen.

Vom Gründer Lefebvre erbte Fellay neben der Führung der Abtrünnigen auch den Auftrag, auf die Einigung mit Rom hinzuarbeiten. Dabei wäre das vermutlich gar nicht mehr nötig, wäre Fellay nicht zum Bischof geweiht worden: Im Frühjahr 1988 standen Piusbruderschaft und Vatikan bereits kurz vor der Einigung. Dokumente mit der Erklärung, dass die Bruderschaft alle Konzilsbeschlüsse und die Autorität des Papstes anerkennen würde, trugen bereits die Unterschriften von Lefebvre und Kardinal Joseph Ratzinger. Doch noch bevor auch Papst Johannes Paul II. zustimmen konnte, kündigte Lefebvre die Bischofsweihen an und beendete damit alle Gespräche.

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Lange spielten sie in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Doch als Papst Benedikt XVI. die Messe nach tridentinischem Ritus 2007 wieder erlaubte, fanden auch sie wieder mehr Beachtung: die Traditionalisten. Die bekanntesten unter ihnen sind die Piusbrüder.

Nach 1988 dauerte es Jahrzehnte, bis unter Fellay als neuem Generaloberen zwischen beiden Seiten wieder eine Annäherung stattfand. Auf vatikanischer Seite übernahm die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei die Verhandlungen. Papst Johannes Paul II. hatte sie im Jahr 1988 unmittelbar nach den unerlaubten Bischofsweihen ins Leben gerufen, um rückkehrwillige Traditionalisten an die Kirche heranzuführen.

Kommissionspräsident Kardinal Darió Castrillón Hoyos war es auch, der im Heiligen Jahr 2000 erstmals wieder Gespräche mit Fellay aufnahm. Der Bruderschaft wurde in Aussicht gestellt, an die Gespräche zwischen Lefebvre und Ratzinger aus den späten 1980er Jahren anzuknüpfen. In den folgenden Jahren intensivierte sich der Dialog bis hin zu einem ersten persönlichen Treffen Fellays mit dem Papst: Im Jahr 2005 empfing Benedikt XVI. den Leiter der Piusbruderschaft in einer Audienz. Im Jahr darauf wurde Fellay erneut für zwölf Jahre zum Generaloberen der Piusbrüder gewählt. Wiederum ein Jahr später erlaubte Benedikt XVI. mit seinem Motu proprio "Summorum pontificum" den allgemeinen Gebrauch des vorkonziliaren Messformulars in der Kirche, was auch bei Fellay und den Traditionalisten auf große Zustimmung stieß.

Ein Ausgeschlossener schießt sich selbst ins Abseits

Benedikt XVI. war es schließlich auch, der Fellay und seine drei Mitbrüder im Jahr 2009 wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufnahm, wobei die Bischöfe wie alle anderen Piusbrüder auch kirchenrechtlich suspendiert blieben. Überschattet wurde die Aufhebung ihrer Exkommunikation durch das fast gleichzeitige Bekanntwerden der Holocaustleugnung durch Richard Williamson. Der Brite wurde drei Jahre darauf aus der Bruderschaft ausgeschlossen und exkommunizierte sich 2015 durch eine neuerliche unerlaubte Bischofsweihe zum zweiten Mal selbst. Die Williamson-Affäre gilt heute als ein Tiefpunkt im Pontifikat Benedikts XVI.

Während die Aufhebung der Exkommunikation für Fellay einen großen Schritt in Richtung Einigung bedeutete, kamen seine weiteren Bemühungen in den folgenden Jahren nur marginal voran. Auf der einen Seite wurden immer wieder die Vorbehalte Benedikts XVI. offenbar. Als Leiter der Glaubenskongregation hatte Ratzinger in den 1980er Jahren noch maßgeblichen Anteil am Bruch zwischen dem Vatikan und Ecône. Nun sollte die Einigung auch nur unter den von ihm formulierten Bedingungen erfolgen. Der Versuch, die Traditionalisten zur Unterschrift einer "lehramtlichen Präambel" zu bringen, scheiterte mehrfach. Im Jahr 2013 schien eine Einigung zwar in greifbarer Nähe, doch niemand wollte oder konnte den letzten Schritt gehen.

Drei Diakone der Piusbruderschaft empfangen in Zaitzkofen das Sakrament der Priesterweihe.
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Drei Diakone der Piusbruderschaft empfangen im bayerischen Zaitzkofen das Sakrament der Priesterweihe. Die Sakramente werden bei der Bruderschaft allesamt gültig gespendet, sind jedoch aus kirchlicher Sicht dennoch nicht erlaubt.

Erst seit der Amtsübernahme durch Papst Franziskus kam wieder Bewegung in die Verhandlungen. Der neue Pontifex schlug dabei eine andere Richtung ein: Nicht mehr lehramtliche Verhandlungen standen im Mittelpunkt, sondern kirchenrechtliche Symbolhandlungen. So erlaubte Franziskus Ende 2016, bei den – bis heute suspendierten – Priestern der Bruderschaft das Sakrament der Buße zu empfangen. Anfang 2017 kam eine ähnlich lautende Erklärung in Bezug auf das Ehesakrament hinzu.

Bruderschaftsoberer Fellay ist es wiederum, der in jüngerer Vergangenheit der Einigung mit Franziskus nicht mehr gänzlich zugetan zu sein scheint. Als im September vergangenen Jahres eine Gruppe von Gläubigen dem Papst die "Verbreitung von Häresien" vorwarf, stand auf der Liste der Erstunterzeichner ihrer "Zurechtweisung" auch der Name Fellays. Ohnehin hatte der Schweizer in den vergangenen Jahren keinen Zweifel daran gelassen, dass er den amtierenden Papst für einen Modernisten hält, der in der Kirche eher Irrtümer und Verwirrung verbreite als den Glauben.

Auf der anderen Seite wird Fellay nicht müde, immer wieder von der nahestehenden Einigung zu sprechen. Ende 2016 erläuterte er, dass die Piusbruderschaft in der Kirche die Rolle einer sogenannten Personalprälatur mit eigenem Bischof erhalten werde. Zugleich betonte der Generalobere, dass man auch nach der Rückkehr in die Gemeinschaft nicht aufhören wolle, Stachel im Fleisch der modernistischen Kirche zu sein.

Im Juli wird in Ecône wieder gewählt

Gleichwohl sind alle öffentlichen Äußerungen Fellays mit Vorsicht zu genießen, denn in der Regel äußert sich der Traditionalist nur gegenüber Gleichgesinnten. "Interviews" gibt er selten und dann nur eigenen oder der Bruderschaft nahestehenden Medien. Kritische Fragen hat er da nicht zu befürchten. Das ist für Fellay auch mit Blick auf seine bruderschaftsinterne Stellung relevant. Neben seinem 60. Geburtstag steht nämlich im Jahr 2018 noch ein weiterer, ungleich wichtigerer Termin an: Im Juli tritt in Ecône das erst vierte Generalkapitel zusammen um einen neuen Generaloberen der Piusbruderschaft zu wählen. Die Statuten stehen einer möglichen dritten Amtszeit Bernard Fellays dabei nicht im Wege.

Von Kilian Martin