Synodale Norpoth: Konsens ist kein dauerhaft gangbarer Weg
Bis zum vergangenen Jahr war Katharina Norpoth BDKJ-Bundesvorsitzende, beim Synodalen Weg ist sie weiterhin eine der jüngeren Synodalen im Reformprozess. Im Interview gibt sie Einsichten in Arbeits- und Entscheidungsprozesse und schätzt ein, was sich am Ende verändern kann und was nicht.
Frage: Fühlt man sich mit unter dreißig eigentlich fehl am Platz, wenn man größtenteils von grauhaarigen Bischöfen oder Professoren umgeben ist?
Norpoth: Genau deswegen müssen wir ja dabei sein. Es muss ja auch eine Perspektive in den Synodalen Weg eingebracht werden, die vielleicht auch ganz fernab von jeglicher theologischer Kenntnis ist, um einfach auch Dinge zu hinterfragen, um Dinge deutlich zu machen, um das dann auch so formulieren zu können, dass wir am Ende sprachfähig sind für alle Menschen und dass auch alle Menschen das verstehen, was wir da diskutieren.
Wenn es um Macht geht, geht es auch immer um Sprache als Macht und da müssen wir schauen, dass wir diese Sprache so verständlich hinbekommen, dass wirklich alle davon angesprochen werden und dass sich niemand nur aufgrund von Sprache ausgeschlossen fühlt.
Es ist ja auch nicht erst seit dem Synodalen Weg der Fall, dass man immer wieder erklären muss, was macht katholische Kirche eigentlich? Es ist ja viel grundlegender, dass manche Menschen gar nicht mehr verstehen, was katholische Kirche überhaupt bedeutet. Dass wir da sprachfähig werden, dass wir das auch in einfache Sprache übersetzen können. Das muss ein wesentliches Anliegen sein.
Frage: Sind Sie denn zufrieden, wie der Synodale Weg bist jetzt läuft? Oder hätten Sie sich das anders vorgestellt?
Norpoth: Ich finde es schwierig, das eindeutig zu beantworten, weil das ganz unterschiedlichste Facetten hat. Das eine ist, dass ich mir natürlich gewünscht hätte, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt, über ein Jahr nachdem der Synodale Weg begonnen hat, schon deutlich weiter wären. Manchmal glaube ich aber auch, dass es wichtig ist, uns diese Zeit zu nehmen. Vielleicht hat Corona an der Stelle etwas Positives, dass wir nochmal intensiver diskutieren konnten im vergangenen Jahr.
Darüber hinaus muss es jetzt einfach konkreter werden. Wenn wir wirklich vorankommen möchten und wenn wir auch nach außen hin ein Zeichen setzen möchten, dass katholische Kirche sich weiterentwickelt, dass wir uns alle, wie wir da sind, weiterentwickeln, braucht es konkrete Beschlüsse. Die konnten durch die Regionenkonferenzen und jetzt die Online-Konferenz leider noch nicht gefasst werden. Und ich glaube, dass wir wirklich diese Beschlüsse brauchen, um konstruktiv und gut weiterzuarbeiten.
Frage: Dabei kommen ja wirklich die unterschiedlichsten Meinungen und Standpunkte vor. Gerade aus der konservativen Ecke gibt es sehr viel Gegenwind bei Reformideen. Ist es da überhaupt möglich, etwas zu erreichen, das über einen Minimalkonsens hinaus geht?
Norpoth: Es gibt manchmal Stimmen, die sehr laut sind, obwohl da nicht viele Menschen hinter stehen. Ich glaube, dass die Positionen, wo deutlich mehr Menschen hinter stehen, auch nochmal deutlich lauter werden müssen. Wir müssen aber auch insgesamt schauen, wie wir Veränderungen etablieren können und auf welcher Ebene wir das tun können. Es gibt verschiedene Dinge, zum Beispiel, was im vergangenen Jahr das Forum "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche" zu den Regionenkonferenzen vorgelegt hat. Die Texte zeigen sehr deutlich, dass in diesem Bereich schon einiges möglich wäre, also auch in den bestehenden Strukturen.
Das Gleiche gilt für andere Bereiche, auch bezüglich der Einbeziehung von wiederverheirateten Geschiedenen in den Gottesdienst. Das müssen wir einfach vor allem erstmal ausschöpfen. Darüber hinaus gibt es aber sicherlich auch Forderungen, die auf weltkirchlicher Ebene geklärt werden müssen, wie zum Beispiel das Weiheamt der Frau, die Überarbeitung des Katechismus. Das werden wir – leider – nicht mit der Synodalversammlung beschließen können. Wir können beschließen, dass wir uns dafür einsetzen, dass die Sachen entsprechend geändert werden, dass sie nach Rom getragen werden. Das können wir nicht eigenständig auf einer regionalen Ebene umsetzen. Vielleicht führt es am Ende dazu, dass man auch nochmal stärker die Regionalität in den Blick nimmt und da auch Veränderungen herbeiführen kann, die dann wirklich auf lokaler Ebene stattfinden. Das wird man dann aber sehen.
Was allerdings sehr interessant ist, ist, dass Deutschland ja ein eine große Aufmerksamkeit auch insbesondere aus dem Ausland bekommt. Gerade was den Synodalen Weg angeht, weil die Problematiken, die wir im synodalen Weg besprechen, behandeln, nicht nur für Deutschland gelten, sondern auch für ganz viele andere Länder in der Welt. Dementsprechend könnte Deutschland da natürlich eine Vorreiterrolle zukommen. Und das möchte ich auf jeden Fall weiter voranbringen, weil ich das wichtig finde, dass ich gerade in den Strukturen und im Machtgefüge einiges verändert. Und die sind ja relativ ähnlich in der ganzen Weltkirche und die Auswirkungen ebenso.
Frage: Genau das wird aber auch teils heftig kritisiert, aus dem Ausland und auch aus konservativen Kreisen in Deutschland. Manchmal kann man da aber auch den Eindruck bekommen, die Kritiker haben sich gar nicht wirklich mit den Themen und der Herangehensweise des Synodalen Wegs befasst. Ist das schwierig, sich mit Kritik auseinanderzusetzen, wenn man gar nicht sachlich gegenargumentieren kann?
Norpoth: Ja, natürlich ist es immer einfacher, wenn man kritisch konstruktiv diskutiert und Fakten einbezieht. Nicht umsonst gibt es an vielen Stellen die Forderung, auch die Wissenschaft stärker einzubeziehen, Medizin mit einzubeziehen, weil wir da an vielen Stellen merken, dass die katholische Kirche da fernab ist von jeglichem.
Das macht es dann schon auch schwierig mit diesen Menschen zu diskutieren, weil ein "Das war schon immer so" und "Eigentlich war es ja auch immer gut", zieht nicht. Letzteres mit Sicherheit überhaupt nicht, und zweitens ist es kein Argument im Sinne von "Was ist denn eigentlich gut" oder "Wie können wir da auch gemeinsam nochmal drüber diskutieren"? Um dann vielleicht auch sogar gemeinsame Nenner zu finden. Aber das braucht zum einen Zeit und es braucht vor allem den Willen, sich wirklich mit der Position des Gegenübers auseinanderzusetzen.
Frage: Das wichtigste Argument ist ja der Ursprung des Synodalen Weges, und das sind die tausenden Fälle sexualisierter Gewalt in der Kirche. Da muss etwas geschehen, da kann man nicht den Kopf in den Sand stecken und weiter machen wie vorher, oder?
Norpoth: Absolut. Ich glaube, viele wären auch nicht mehr Teil dieser Kirche, wenn sie nicht wenigstens die Hoffnung hätten, etwas verändern zu können. Und am Donnerstagabend haben auch drei Mitglieder des Betroffenenbeirats in der Online-Konferenz der Synodalversammlung gesprochen. Das war sehr eindrücklich. Und das sind auch alles drei Menschen, die gerne verändern möchten, die auch gerne ihre Expertise einbringen möchten, dass sich Kirche verändert zum Positiven. Menschen, die vor allem aber auch, glaube ich, das Anliegen haben, dass das, was ihnen widerfahren ist, in Zukunft nicht mehr möglich ist. Und das sollte auch der Anspruch aller sein, aller Gläubigen, dass so was nicht mehr passieren kann. Und dafür brauchen wir zuallererst auch veränderte Strukturen.
Frage: Vergangene Woche wurde deshalb eben online getagt, mit fast allen 230 Synodalen. Hat denn solch eine Online-Konferenz auch Vorteile?
Norpoth: Vielleicht hat es den Vorteil, dass man direkt quasi vom Frühstückstisch zum Schreibtisch gehen kann oder vielleicht sogar auch noch während der Konferenz frühstücken kann. Allerdings leben Konferenzen noch immer von dem zwischenmenschlichen Miteinander und in "Frankfurt I", wie die erste Synodalversammlungen im letzten Jahr häufig genannt wird, war es wahnsinnig wichtig, dass wir neben den Konferenz-Teilen, in den persönlichen Austausch gehen konnten, dass wir am Abend miteinander ins Gespräch kommen konnten über die Themen des Synodalen Weges, aber vielleicht auch über ganz andere Themen, die uns bewegt haben. Und auch diese Frage von: Wer sitzt neben wem? War ja im vergangenen Jahr auch sehr häufig diskutiert worden. Wir haben in alphabetischer Reihenfolge gesessen und damit ist man auch in Kontakt gekommen und in den Austausch gekommen mit Menschen, mit denen man eigentlich vielleicht sonst gar nicht in Kontakt gekommen wäre. Und das ist natürlich schade bei so einer Online-Konferenz. Da ist zu hoffen, dass wir da bald wieder in natura und Face to Face tagen können, um genau das wieder zu tun.
Auf der anderen Seite ist aber die Online-Konferenz mit Sicherheit auch für manche Menschen eine Chance gewesen, weil sie barriereärmer gewesen ist. Für manche zumindest, für manche war es vielleicht aber auch nochmal eine zusätzliche Hürde, sich in diese Online-Konferenz einzuwählen.
Frage: Bringt das nicht auch die Chance direkter zu kommunizieren. Eins zu eins, ohne Getuschel? Jedem wird doch dann gleich zugehört...
Norpoth: Die Einschätzung würde ich eher weniger teilen, weil man vor dem Bildschirm manchmal auch abgelenkt wird, von dem, was sonst zu Hause noch passiert. Sei es, dass die Tür klingelt. Sei es, dass doch nochmal jemand anruft und man schaltet eben kurz die Kamera aus. Deswegen bin ich da sehr skeptisch.
Nichtsdestotrotz glaube ich, dass zum Beispiel während die drei Betroffenen gesprochen haben sich auch online eine Stimmung breitgemacht hat, die dieser Stimmung entspricht, dass man eine Stecknadel zu Boden fallen hören könnte. Also das glaube ich, war da schon sehr eindrucksvoll.
Frage: Neben dem Plenum arbeiten Sie aber auch im Forum 4 mit, das sich mit Leben in gelingenden Beziehungen befasst. Auch hier treffen die unterschiedlichsten Ansichten aufeinander. Wie läuft die Arbeit da ab?
Norpoth: Wir hatten im vergangenen Jahr das Glück, dass wir uns, noch bevor der erste Lockdown gekommen ist, treffen konnten und uns konstituieren konnten und da eine erste Möglichkeit hatten, uns persönlich als Forumsmitglieder kennenzulernen. Denn so eine Forums-Mitarbeit, gerade wenn es um sensible Themen geht, setzt ein hohes Vertrauen voraus, dass man miteinander eben auch diese kritischen Punkte besprechen kann.
Es geht ja bei uns im Forum um gelingende Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft. Und wenn man diesen Titel hört, ist er beim ersten Hören sehr sperrig und dementsprechend mussten wir das auch aufdröseln und schauen: Was verbirgt sich eigentlich alles dahinter? Welche Themen möchten wir bearbeiten? Wo sehen wir Bedarf, dass sich was verändert? Wie können wir das verändern und wie können wir das strukturell auch verankern? Und was sind eigentlich unsere Erwartungen daran, was sich verändern muss? Also das haben wir im vergangenen Jahr immer wieder abgesteckt, haben immer wieder Kleingruppen-Arbeit gemacht, haben Texte verfasst. Zur Regionen-Konferenz im vergangenen Jahr haben wir erste Handlungs-Empfehlungen vorgelegt, die sehr knapp und verkürzt waren, die aber zumindest schon mal zum Ausdruck gebracht haben, wo wir Veränderungsbedarf sehen. Und gerade sind wir dabei, weitere Handlungs-Texte zu verfassen zu den unterschiedlichen Themen, um die dann in der ersten Lesung der nächsten Synodalversammlung vorlegen zu können.
Frage: Nun gibt es mitunter auch Berichte, die davon sprechen, dass einige Meinungen in den Foren regelrecht unterdrückt und ausgegrenzt werden, dabei wurde allerdings nicht Ihr Forum erwähnt. Trotzdem ist es nicht zu verhehlen, dass es große inhaltliche Konflikte gibt. Wie geht man damit um, ohne sich in diesen Konflikten zu verrennen?
Norpoth: Die Forumsarbeit setzt voraus, dass man sich mit gegenseitigem Respekt entgegentritt und dass man die Meinung und den Standpunkt des anderen erst mal respektiert. Dann muss man aber auch immer wieder in den Austausch kommen darüber, wie stichhaltig die Argumente denn eigentlich sind. Und wer kann was wie belegen. Dann müssen wir gucken: Wie können wir gut miteinander diskutieren und wie können wir da auch weiterkommen gemeinsam? Ich glaube, bis zu einem gewissen Punkt geht das. Ab einem bestimmten Punkt fängt es aber auch an, schwierig zu werden, weil Standpunkte, wie wir das alle kennen, ungern aufgegeben werden. Insbesondere mit Sicherheit nicht kampflos aufgegeben werden. Und dann hilft uns, glaube ich, wirklich Demokratie weiter, dass man guckt, was können Mehrheitsbeschlüsse sein? Das wird in dem ganzen Kontext des Synodalen Weges natürlich auch kritisch gesehen. Es gibt da immer wieder Stimmen, die sagen: Wenn, dann müssen wir uns konsensorientiert zu Lösungen durchringen. Ich persönlich halte das aber für keinen dauerhaft gangbaren Weg. Ich finde, wir müssen gucken, wo wir zusammenkommen können und wo wir gemeinsame Nenner finden können. Wir brauchen dann aber auch irgendwann Entscheidungen, die uns weiterbringen auf der Basis von Mehrheiten.
Über die Frage von Minderheitenvoten oder der Formulierung, wie man Minderheiten auch eine Stimme geben kann, kann man durchaus diskutieren. Es muss aber am Ende, finde ich, stehen, wie wir mehrheitlich zu bestimmten Dingen stehen und das muss auch nach außen getragen werden. In den Jugendverbänden, im BDKJ haben wir damit wahnsinnig gute Erfahrungen gemacht. Natürlich sind auch da ganz unterschiedliche Verbände aller Couleur vertreten, die mit Sicherheit an verschiedenen Punkten nicht die gleiche Meinung vertreten. Wenn aber ein demokratischer Beschluss gefasst wird, egal zu welchem Thema, dann steht auch jeder Jugendverband im Sinne des BDKJ-Beschlusses dahinter und vertritt es nach außen. Dass man innerverbandlich vielleicht noch mal eine andere Meinung vertritt, das ist auch gut möglich. Und ich glaube, das entspricht allen demokratischen Strukturen, die wir auf den unterschiedlichen Ebenen haben.
Frage: Was ja auch dem Entscheidungsprozess in Politik und Gesellschaft entspricht. Was die Mehrheit will, wird gemacht.
Norpoth: Natürlich, dafür kämpfen wir als Jugendverbände schon seit langem. Aber es braucht anscheinend auch erst noch andere Auslöser, die dann wirkliche Diskussionen um die Veränderung von Strukturen mitbringen. Und da können wir nur hoffen, dass das jetzt endlich mal umgesetzt wird.
Frage: Mal abgesehen vom Entscheidungsprozess, gibt es noch etwas anderes aus der Online-Konferenz, das Sie noch nicht so ganz loslässt?
Norpoth: Am Donnerstag und auch während der Arbeit auf dem Synodalen Weg fallen immer wieder auch menschenfeindliche Aussagen und die sind absolut nicht okay. Und da müssen wir hinkommen, dass die nicht akzeptiert werden und dass wir uns da deutlicher positionieren. Dass solche menschenverachtenden Aussagen wirklich keinen Platz in unserer Kirche haben und dass die einfach nicht akzeptabel sind.
Frage: Was bringt Ihnen Hoffnung? Beim Synodalen Weg, aber auch darüber hinaus?
Norpoth: Es bringt mir Hoffnung, viele Menschen in meiner Nähe zu wissen - sei es physisch, oder sei es in der gedanklichen Nähe, die ein sehr großes Interesse daran haben, Reformen zu formulieren und sie auch umzusetzen. Und uns allen ist der Glaube total wichtig. Und uns ist auch diese Kirche ein wichtiger Baustein im Leben. Und ich habe die große Hoffnung, dass wir dadurch, dass wir alle so motiviert sind, da weiter dran bauen, dass wir da wirklich weiter vorankommen. Ich habe das vergangene Woche in der Online-Konferenz auch gesagt: Es wäre schon wichtig, wenn wir allen Menschen die gleiche Würde geben und zwar wirklich allen Menschen, egal wer sie sind. Und da weiß ich, dass es viele Menschen gibt, die genauso denken wie ich. Und ich hoffe, dass wir da weiter an einer zukunftsfähigen Kirche arbeiten können.