Gastbeitrag des missio-Präsidenten zur Irakreise von Franziskus

Bingener: Papstbesuch sendet Hoffnungs-Botschaft für Christen im Irak

Veröffentlicht am 05.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Aachen ‐ Die heute beginnende Papstreise in den Irak lenkt den Blick auf ein Land, das gesehen werden sollte, schreibt missio-Präsident Dirk Bingener in einem Gastbeitrag. Aus seiner Sicht ist der Papstbesuch überlebenswichtig für die Christen im Irak.

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Papst Franziskus besucht ab heute den Irak – trotz Corona-Pandemie und der angespannten Sicherheitslage. Der unbedingte Wille des Papstes zu diesem Besuch des Landes sendet eine Botschaft der Hoffnung, die die Menschen – und nicht allein die Christinnen und Christen – in der Region dringend brauchen. Papst Franziskus stellt sich gegen die Instrumentalisierung der Religion für machtpolitische Zwecke. Er setzt auf interreligiösen Dialog und Ökumene. Er ruft zur Versöhnungs- und Friedensarbeit auf, die religiöse und konfessionelle Gräben überwindet. Er betont die Rolle und die Bedeutung der christlichen Konfessionen für den Zusammenhalt der irakischen Gesellschaft. Indem er die Situation aller Bürgerinnen und Bürger in den Blick nimmt, wirkt sein Einsatz für die bedrängten Christinnen und Christen in diesem geschundenen Land glaubwürdig.

Der Irak leidet noch immer unter den Folgen des Krieges von 2003, die internationale Diplomatie und nationale Politik konnten das Land bis heute nicht befrieden. So entstand der Nährboden für den islamistischen Terror, der seinen traurigen Höhepunkt 2014 mit großflächigen Landeroberungen und Gräueltaten des sogenannten "Islamischen Staates" gegen Christen, Jesiden und Muslime erreichte. Erst 2017 konnten die letzten Gebiete des IS befreit werden.

Der Irak ist zum Spielball des regionalen Machtkampfes um politischen Einfluss und Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten zwischen Saudi-Arabien, der Türkei und dem Iran als jeweils selbsterklärten Schutzmächten der sunnitischen und schiitischen Muslime geworden. Ein Gewirr an paramilitärischen Gruppen und Terrorzellen hat sich entwickelt, die Gewalt schüren und die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Es müssen auch immer wieder Kompromisse zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Autonomieregion im Norden des Landes gefunden werden.

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Unter diesen Bedingungen kann sich die irakische Wirtschaft nicht konsolidieren und das Übel der Korruption breitet sich weiter aus. Dagegen gingen in den vergangenen Jahren vor allem junge Menschen auf die Straße.

Eine solche Geschichte und Gemengelage entwickelt einen immensen Flucht- und Auswanderungsdruck auf die Menschen im Irak. Für die Präsenz der Christinnen und Christen nimmt dies mittlerweile existenzgefährdende Ausmaße an. Eine seit rund 2.000 Jahren hier beheimatete christliche Kultur, die auch als "Wiege des Christentums" bezeichnet wird, droht zu erlöschen. In den vergangenen Jahrzehnten haben nach verschiedenen Schätzungen zwischen einer und 1,5 Millionen Gläubige das Land verlassen. Nur noch rund ein Prozent der Bevölkerung – oder vielleicht auch schon weniger – bekennt sich zu den verschiedenen Konfessionen des Christentums im Irak.

Papst Franziskus und die vatikanische Diplomatie kennen diese Gemengelage und entsprechend haben sie die Reiseziele und Gesprächspartner ausgewählt. Papst Franziskus trifft Staatspräsident Barham Salih und Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi. Hier kann er die Verantwortung der irakischen Politik für die Gleichbehandlung der Angehörigen aller Religionen ansprechen. Er kann darauf hinweisen, dass ein permanenter Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten und das Spielen der religiösen Karte zur politischen Mobilisierung dem Irak nur schadet.

Der Papst trifft den schiitischen Großajatollah Ali Al-Sistani, um den katholisch-schiitischen Dialog zu intensivieren. Hier kann er für die interreligiöse Initiative zur "Geschwisterlichkeit aller Menschen", die der Papst 2019 mit dem sunnitischen Großimam Ahmad al-Tayyeb von der Kairoer Al-Azhar-Universität gestartet hat, bei den Schiiten werben. Der Papst kann hier auch direkt Probleme im Alltagsleben zwischen Schiiten und Christen beispielsweise in der Frage um christlichen Landbesitz in der Ninive-Ebene ansprechen, der durch Krieg, Flucht und Auswanderung verwaist ist und um gemeinsame Problemlösungen werben.

Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Pfarrer Dirk Bingener ist Präsident des internationalen Katholischen Missionswerks missio Aachen und des Kindermissionswerks "Die Sternsinger"

Papst Franziskus plant ein interreligiöses Treffen in der Stadt Ur. Diese biblische Stadt gilt als Heimatstadt Abrahams. Der Papst will die Angehörigen aller im Irak vertretenen Glaubensgemeinschaften erreichen. Ob Christen, Muslime, Jesiden, Mandäer oder Juden – alle sind wichtig, um das Gemeinsame in einem zerrissenen Land zu betonen.

Halt macht Papst Franziskus auch Im irakisch-kurdischen Erbil, in der immer noch nach der IS-Besetzung stark zerstörten Stadt Mossul, in Karakosch und der Ninive-Ebene, in der neben den Christen vor allem Jesiden unter der Gewalt des IS litten. Hier ist er nach Jahren von Gewalt und Hass als Seelsorger gefragt. So gedenkt Papst Franziskus am 7. März in Mossul der Opfer von Krieg und Terror. Diese Stadt war einmal eine der wichtigsten Stätten des orientalischen Christentums. In Karakosch und der Ninive-Ebene trifft er Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und ihre Führer, die ausgeharrt haben oder nach Krieg und IS-Terror in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Zwar leben mittlerweile wieder rund 8.000 christliche Familien in einer Region, die einmal eines der christlichen Zentren im Irak war, aber auch sie sind unschlüssig, ob sie bleiben sollen.

Wunden noch nicht verheilt

Die Wunden sind noch nicht verheilt. Das Vertrauen der Christen in die politischen Strukturen und eine wirtschaftliche Zukunft ist gering. Sie haben weiter Angst vor Anschlägen. Das Zusammenleben mit muslimischen Nachbarn fällt ihnen schwer. Dass Papst Franziskus sie in Mossul, Karakosch und der Ninive-Ebene besucht und ihnen die Botschaft der Solidarität der Weltkirche überbringt, ist für sie neben humanitärer und materieller Hilfe im wahrsten Sinne des Wortes überlebensnotwendig.

Die Reise von Papst Franziskus lenkt den Blick auf ein Land, dessen Situation gesehen werden sollte. Denn es kann Blaupause dafür werden, wie Christen trotz hohem Auswanderungsdruck Zukunft haben, indem sie einen Dienst für das Wohlergehen aller leisten: Durch interreligiösen Dialog, ökumenische Zusammenarbeit und den Einsatz für die Menschenrechte aller. Dazu braucht es unsere weltkirchliche Solidarität.

Von Dirk Bingener