Ein theologischer Kämpfer zwischen allen Stühlen

Gegen die Unfehlbarkeit: Als Ignaz von Döllinger exkommuniziert wurde

Veröffentlicht am 17.04.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit war ein Bruch für kritische deutsche Theologen. Viele Wissenschaftler fühlten sich zerrieben zwischen Romtreue und ihrem Gewissen. Heute vor 150 Jahren wurde ihr Protagonist Ignaz von Döllinger exkommuniziert.

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Ignaz von Döllinger hatte bessere Zeiten in seiner Kirche erlebt. "Gestern noch rechtgläubig, war ich heute ein des Bannes würdiger Ketzer; nicht weil ich meine Lehre geändert hatte, sondern weil andere für gut gefunden hatten, die Änderung vorzunehmen und Meinungen zu Glaubensartikeln zu machen."

Als Döllinger dies 1880, mit 81 Jahren, verbittert niederschrieb, war der einst gefeierte Kirchenhistoriker und entschiedene Gegner der Papstdogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1870) ein Abtrünniger geworden. Vor 150 Jahren, am 17. April 1871, wurde er von einem seiner eigenen Schüler, dem Münchner Erzbischof Gregor von Scherr, exkommuniziert. Der weltberühmte Theologe war kirchlich heimatlos geworden.

Geboren 1799 in Bamberg als Sohn eines berühmten Embryologen, geriet Döllinger selbst zu einem Wunderkind. Schon als Zehnjähriger soll er Corneille und Moliere gelesen und in seiner Jugend schon sechs Fremdsprachen beherrscht haben. So kam er nach seiner Priesterweihe 1822 schnell zu akademischen Meriten. 1826 berief ihn König Ludwig I. als Professor an die neu eröffnete Uni München.

Sein Ziel: Katholizismus auf die Höhe der Zeit bringen

Fast ein halbes Jahrhundert bildete er hier den theologischen Nachwuchs aus. Zu seinen Schülern zählten prägende Gestalten wie Wilhelm von Ketteler und Adolph Kolping. Döllingers Ziel: den Katholizismus nach dem Zusammenbruch in Revolution und Säkularisation wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Sein politischer Ziehvater war der Führer der romtreuen Bewegung in Deutschland, der ehemalige Jakobiner Joseph von Görres. Von ihm lernte er vor allem das Vorpreschen in kirchenpolitisch heiklen Fragen. Die Bischöfe des Vormärz hielt Döllinger für lau und staatsfromm. Anders er: Weil er die Affäre seines Förderers Ludwig I. mit der Tänzerin Lola Montez verurteilte, wurde er 1847 für zwei Jahre strafversetzt.

Döllinger wirkte, modern gesprochen, als politischer Theologe. An der Gründung des Bonifatiusvereins, am Aufkommen der katholischen Presse und des katholischen Vereinswesens war er führend beteiligt. Als Abgeordneter der Paulskirche hielt er 1848 eine programmatische Rede für die Freiheit der Kirche von staatlichen Eingriffen. Vor der Würzburger Bischofskonferenz entwickelte er das Konzept einer Deutschen Nationalkirche mit einem eigenen Primas und einer gewissen Autonomie, ohne aber die Universalkirche oder den Vorrang des Papstes zu mindern.

Trotzdem läuteten in Rom die Alarmglocken. Nuntius Carlo Sacconi meldete, Döllinger wolle den "Geist der Neuerungen, Demokratie und allgemeinen Revolutionen" infiltrieren. Döllinger, der damals selbst noch der streng kirchlichen, ultramontanen Richtung anhing, beobachtete besorgt, wie sich die Kirchenoberen den geistigen Strömungen der Epoche verschlossen. Pius IX. (1846-1878) erschwerte etwa mit der Verurteilung aller abweichenden Meinungen im "Syllabus errorum" 1864 den Dialog mit kritischeren Kirchenkreisen. Döllinger sah den Zug der Moderne für seine Kirche abfahren.

Die Amtszeit Pius IX. gipfelte im Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 und dessen Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit. Aus seinem Verständnis der Dogmengeschichte heraus war Döllinger überzeugt, dass dem Bestand des Glaubens keine neuen Elemente hinzugefügt werden dürften. Gegen solche Bestrebungen griff er zu seiner schärfsten Waffe: dem Wort. Von München aus sandte er giftige Kommentare gegen die Unfehlbarkeitslehre, die er unter Pseudonym in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte.

Er verzichtete auf jedes Wirken als Priester

Doch seine wilde Polemik nutzte nichts, ja sie entfremdete ihn sogar jenen deutschen Bischöfen, die ihm bis dahin geneigt gewesen waren. Döllinger, der sich weigerte, den Konzilsbeschlüssen Folge zu leisten, saß nun zwischen allen Stühlen. Mit der Feststellung päpstlicher Unfehlbarkeit sah der Ökumeniker Döllinger auch die Möglichkeiten zur konfessionellen Verständigung schwinden. Ihr widmete er sich nach seinem Kirchenbann mit Energie, aber erfolglos.

Er fügte sich in die persönliche Exkommunikation und verzichtete auf jedes Wirken als Priester, obwohl er die Strafe ungerecht fand. Der Altkatholischen Kirche, die sich in Ablehnung der Konzilsbeschlüsse unter deutschen Gelehrten konstituierte, schloss sich Döllinger selbst nicht an. Er sah sie als ein notwendiges Provisorium an, doch wollte er nicht "Gemeinde gegen Gemeinde, Altar gegen Altar stellen".

Seine akademische Karriere konnte er trotz Exkommunikation fortsetzen. 1872 wurde er Rektor der Uni München und 1873 ins Präsidium der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berufen. Am 10. Januar 1890 starb Döllinger, geehrt und entehrt zugleich, angesehen und doch einsam. Seine Befürchtung einer willkürlichen Dogmenschwemme nach dem Ersten Vatikanum hat sich zwar nicht bewahrheitet. Seine ökumenischen Bedenken aber haben bis heute ihre Aktualität behalten.

Von Alexander Brüggemann (KNA)