Standpunkt

In Kanada geht es um Heilung und Aussöhnung

Veröffentlicht am 04.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach dem Fund von 215 Kinderleichen in Kanada sieht sich die Kirche einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte gegenüber. Die besondere Schwere der Schuld bei kirchlichen Akteuren stehe außer Frage, kommentiert Gudrun Sailer – und schaut zum Papst.

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Wieder eine Meldung, die Entsetzen und Wut auslöst: Im Erdreich unter einem kirchlichen Umerziehungsheim in Kanada für indigene Kinder wurden 215 verscharrte Kinderleichen entdeckt. Die Einrichtung in Kamloops aus dem 19. Jahrhundert stand bis 1969 unter der Leitung von Kongregationen der katholischen Kirche (und schloss endgültig 1978). Kanadas Regierung hat von Papst Franziskus eine Entschuldigung für mutmaßliche Verbrechen katholischer Ordensleute im Umgang mit Kindern in diesen Heimen gefordert. Tut der Papst gut daran, Kanada um Vergebung zu bitten?

Zunächst: Selbst wenn sie Jahrzehnte zurück liegen, lässt sich über Verbrechen wie diese schwer hinwegsehen. Sie sind tragisch eingewoben in die Geschichte der Institution Kirche, die freilich immer auch Teil der allgemeinen Geschichte und damit des gesamten kulturellen Habitus einer Gesellschaft ist. Vernachlässigung, Misshandlung und Demütigung von Kindern in Heimen war über Jahrhunderte ein schockierend gängiges Muster, unabhängig davon, ob es staatliche oder kirchliche Einrichtungen waren (dass es Gegenbeispiele gibt, wissen wir). Außer Frage steht aber die besondere Schwere der Schuld im Fall kirchlicher Akteure. Es ist nicht akzeptabel, dass Ordensleute einer Kirche, die die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen verkündet, Kinder bis hin zu ihrem Sterben vernachlässigen und sie ohne Grab im Boden verscharren. Auch aus der Entfernung von Jahrzehnten ist das nicht akzeptabel. Das Entsetzen über den Fall zeigt, wie sehr – und zu Recht – die katholische Kirche an ihrer eigenen (überzeitlichen) Lehre und an ihren eigenen ethischen Standards gemessen wird.

Im Fall Kamloops hat wohl auch Rassismus bei der Vernachlässigung der indigenen Kinder eine Rolle gespielt. Heute steht die katholische Kirche an der Seite indigener Gemeinschaften, tritt für ihre Rechte ein, stützt sie in der Verteidigung ihrer kulturellen Identität und verteidigt ihren Lebensraum im Amazonas und anderswo. Rassismus in der Kirche ist sicher nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet, doch kann man erkennen, dass ein weiter Weg zurückgelegt wurde. Wenn es zur weiteren Aussöhnung zwischen der Kirche und indigenen Gruppen beiträgt, dass ein Papst Reue zeigt für auch Jahrzehnte zurückliegende Verbrechen von Ordensleuten, dann sollte Franziskus eine Vergebungsbitte im Namen der Kirche in Erwägung ziehen. Es geht um Heilung, es geht nicht um den Papst.

Von Gudrun Sailer

Die Autorin

Gudrun Sailer ist Redakteurin bei "Vatican News".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin wider.