Ein unerschrockener Hilfeschrei

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Impuls von Schwester Christine Klimann
"Meine Tochter liegt im Sterben", ruft der Synagogenvorsteher Jairus Jesus zu. Was wäre, frage ich mich in diesen Tagen, würde ich stattdessen lesen: "Meine Kirche liegt im Sterben"?
Zuerst einmal denke ich: Nein, das ist übertrieben. Die Kirche hat schon viele schwierige Zeiten erlebt. Dann kommen mir aber die Leute aus dem Evangelium in den Sinn, die zu Jairus sagen: "Bemüh den Meister nicht länger, sie ist schon gestorben", und ich frage mich bang, ob da etwas dran sein kann. Ist sie vielleicht wirklich schon gestorben, irgendwann in den letzten Jahren, und wir haben es nur noch nicht bemerkt?
"Nein, sie ist nicht gestorben, sie schläft nur", sagt da Jesus. Die Leute lachen ihn aus. Und tatsächlich klingt seine klingt seine Antwort unrealistisch und weltfremd. Wir haben ein Problem, wir wissen nicht, sollen wir protestieren oder eine Autopsie machen oder an die Presse gehen oder eine Strategie entwickeln, die Kirche ist tot!!! – Und du sagst uns, sie schläft nur?
Jesus aber lässt sich nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Er wirft die Leute hinaus und nimmt nur ganz wenige mit: die Eltern, diejenigen, die sie lieben, und drei seiner Jünger, diejenigen, die ihn kennen. Dann, im Zimmer, dort, wo niemand zuschauen kann, wo alles intim und geheimnisvoll bleibt, sagt er ihr zärtlich: "Steh auf!"
Und sie steht auf und geht umher. Denjenigen, die sie lieben sagt er, dass sie ihr etwas zu essen geben sollen. Er hat sie auferweckt, aber sie ist noch schwach. Durch welche Nahrung kann sie wieder zu Kräften kommen? Und vor allem: Ist sie, die nun Auferweckte, die gleiche, als die wir sie von vorher kennen oder hat sie eine andere Gestalt? Oder sieht sie vielleicht von außen gleich aus wie vorher, aber ihre innere Gestalt ist verändert, verwandelt?
Die Geschichte von der Totenerweckung bleibt geheimnisvoll. Vor allem auch deswegen, weil wir sie nicht trennen können vom Ostergeheimnis. Jesus hat Tote erweckt, sowie er Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben hat – und wie könnten wir seiner frohen Botschaft glauben, wenn sie nicht ganz konkret Befreiung schenken könnte?
Er war aber kein mit dem Finger schnipsender Wundertäter, sondern derjenige der den Tod auf sich genommen hat, um uns das Leben zu schenken. So wird es vermutlich auch für die Kirche keine schmerzlose, mirakulöse Auferstehung geben, und vielleicht wird ihr das Sterben tatsächlich nicht erspart bleiben. Aber vielleicht kann gerade dadurch ihr eigentliches Wesen neu aufstrahlen.
Ich nehme aus unserer Geschichte vor allem den Synagogenvorsteher mit, der unerschrocken auf Jesus zugeht und ihm sagt, was Sache ist: "Sie liegt im Sterben!" Welche Namen auch immer diese Synagogenvorstehenden heute auch tragen, Namen von Männern und von vielen Frauen, wir brauchen ihre aufrüttelnden Stimmen – denn Jesus hört auf sie und er geht mit ihnen mit.
Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 5,21–43)
In jener Zeit fuhr Jesus wieder ans andere Ufer hinüber und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt!
Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt. Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden.
Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war.
Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte.
Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger? Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht! Glaube nur!
Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Tumult sah und wie sie heftig weinten und klagten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus.
Er aber warf alle hinaus und nahm den Vater des Kindes und die Mutter und die, die mit ihm waren, und ging in den Raum, in dem das Kind lag. Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!
Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen. Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.