Schwester Anne Kurz über das Sonntagsevangelium

"Wir können es": Wandelnde Worte der Weite

Veröffentlicht am 16.10.2021 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Venne bei Münster ‐ Die Anfangseuphorie ist längst verflogen und mit jedem Schritt Richtung Jerusalem legt sich die dunkle Vorahnung schwerer auf diese ungewöhnliche Gruppe. Es ist eine Krisenerfahrung, die auch Schwester Anne Kurz kennt. Umso mehr beeindrucken sie zwei Jünger, die mutig das Schweigen brechen.

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Impuls von Schwester Anne Kurz

"Wir können es" – diese drei Worte bezeichnen eine Wende. Gesprochen werden sie in einer schweren Krise. Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen gehen nach Jerusalem hinauf. Er geht voran, sie folgen distanziert. Die Beziehung ist gestört. Die schönen Erinnerungen an den Anfang der Nachfolge scheinen naiv und unwirklich. Angst hat sich drückend und schwer auf sie gelegt.

Krisen machen verletzlich. Man fragt sich, ob man noch Hoffnung und Zukunft hat. Alles wird fragwürdig. Intensiv beginnt man zu suchen nach Sinn und einem gangbaren Weg in eine neue Zukunft. Wichtig ist dabei, dass Gefühle und Wünsche zugelassen und gehört werden. Sie können eine heilsame Wende einleiten.

Das geschieht im heutigen Evangelium: Die Brüder Jakobus und Johannes wagen sich vor und offenbaren Jesus ihren Wunsch: "Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!" Mit diesem Wunsch wandelt sich ihre Perspektive. Zum ersten Mal geht der Blick der Jünger über Kreuz und Tod hinaus und sie beginnen an zukünftige Herrlichkeit zu glauben. Deswegen wird ihre Kraft wieder frei und löst sich aus den Fängen der Angst und Verwirrung.

Was daraus entsteht, ist keine Euphorie. Die Bewegung in die neue Zukunft hat den "Geschmack", den Xavier Naidoo besingt: "Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer." Ehrlich fragt Jesus sie: "Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?" Er hält ihre Bitte nicht für anmaßend. Vielmehr erkennt Jesus, wie aufrichtig ihr Verlangen ist, ihm nahe zu sein. Er fragt sie, ob sie bereit sind für eine neue Nähe: Schicksalsgemeinschaft. Die Liebe ihrer Freundschaft lodert auf und wird stark wie der Tod.

"Wir können es" – drei Worte voll Leidenschaft und Liebe, voll Sinn und Zukunft. Bis heute sind sie ein Echo des Heils und der Zusage. Sie erklingen in Bonhoeffers Gebet "Von guten Mächten". Im Flüchtlingsdrama werden sie von Angela Merkel gesprochen. Ein Ehemann sagt sie seiner Frau zu, die an Brustkrebs erkrankt ist. Jemand bleibt nahe, obwohl sein Gegenüber durch traumatische Erfahrungen verletzt und abweisend ist. Das "Ja" dieser Menschen ist wie ein Lösegeld, das aus den Stricken der Angst und Ablehnung befreit und in eine neue Wirklichkeit der Liebe und des Sinns führt.

Die Krisen – auch die Glaubenskrisen – können Orte neuer Kraft und Zukunft werden. Sie sind Durstrecken im Anerkennen des Verlustes. Wege der Ehrlichkeit, um sich auch Dinge einzugestehen. Am Wendepunkt werden wir erstaunt sein über uns selbst und das Herz weiß: "Wir können es".

Von Schwester Anne Kurz

Evangelium nach Markus (Mk 10,35–45)

In jener Zeit traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu Jesus und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!

Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, worum ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es.

Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist.

Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.

Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Die Autorin

Anne Kurz ist Schwester der Gemeinschaft Verbum Dei und lebt neben einem kleinen Exerzitienhaus in Venne bei Münster. Sie ist Theologin und Geistliche Begleiterin.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.