Die Anfänge christlicher Theologie

Jesus, der Christus

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:59 Uhr – Von Thomas Söding – Lesedauer: 
Jesus auf einer Ikone.
Bild: © KNA
Dossier: Jesus Christus

Bonn ‐ Wer war Jesus wirklich? Und wer ist er für mich? Was hat Jesus mit Gott, und was hat er mit den Menschen zu tun? Ein Exeget geht diesen Fragen nach.

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Die entscheidende Frage des Glaubens lautet nach dem Neuen Testament: Was hat Jesus mit Gott, und was hat er mit den Menschen zu tun? Jesus ist ein Mensch von Fleisch und Blut. Er verkündet in der Welt die Herrschaft Gottes; er bringt den Menschen die Verheißung ewigen Lebens. Ist diese Verkündigung mehr als eine Behauptung? Ist sie wahr? Und ist die Verheißung mehr als ein leeres Versprechen? Wird sie verwirklicht?

Im Neuen Testament gibt es ein vielstimmiges Ja auf beide Fragen; es ist ein Ja, das die Zweifel und die Skepsis nicht verschweigt; aber es ist auch ein Ja, das auf die Macht und Gnade Gottes setzt, den Menschen unendlich nahe zu kommen. Die Zweifel kommen auf, weil Jesus der Sohn Marias ist und dann doch eigentlich nicht der Sohn Gottes (Mk 6,1-6), und weil er am Kreuz gestorben ist, aber dann doch eigentlich nicht der "Retter der Welt" (Joh 4,42) sein kann. Aber gegen alle Zweifel kommt das Vertrauen auf, dass alle Hoffnungen, die sich mit Jesus verbinden, doch wahr sein können; denn Jesus selbst hat alles auf die Liebe Gottes gesetzt, die stärker ist als der Tod, und Leben entstehen lässt, wo keines war.

Eine Sprache der Liebe

Das Neue Testament sucht in den Evangelien wie in der Apostelgeschichte, den Briefen und in der Johannesoffenbarung nach einer Fülle von Bildern und Begriffen, von Formeln und Titeln, um Jesus in seiner Einheit mit Gott und in seiner Liebe zu den Menschen darzustellen. Kein einzelnes Wort kann alles sagen; aber alle können wichtige Seiten der Person Jesu beleuchten.

Bilderzyklus mit Szenen aus den Mose-Bücher (Vertreibung aus dem Paradis, Kain und Abel, Arche Noah) in der Benediktiner-Bibel von 1751 aus dem Besitz der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.
Bild: ©Benedikt Plesker

Bilderzyklus mit Szenen aus den Mose-Bücher (Vertreibung aus dem Paradis, Kain und Abel, Arche Noah) in der Benediktiner-Bibel von 1751 aus dem Besitz der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.

Die meisten dieser Worte kommen aus dem Alten Testament , der Bibel Israels. Denn sie ist das Zeugnis der Liebe Gottes zu seinem Volk und der Liebe seines Volkes zu seinem Gott, dem einen und einzigen (Dtn 6,4f.). Im Raum dieser Gottesliebe entsteht die Hoffnung auf einen von Gott gesandten Menschen, der Gottes Reich, das Reich des ewigen Friedens, verwirklicht. Er ist der "Messias" , der "Gesalbte", auf Griechisch: der "Christus". Als Messias ist er ein König, weil er Gottes Herrschaft verwirklicht, ein Priester, weil er die Menschen mit Gott versöhnt, und ein Prophet, weil er Gottes Wort bringt. Es gibt keine einheitliche, aber eine vielfältige, tiefgründige, zukunftsweisende Messiashoffnung in Israel.

Im Neuen Testament bekommt diese Hoffnung einen Namen: den Namen Jesu von Nazareth. Der Bezug auf die Liebe Israels bleibt wesentlich, weil Jesus seinerseits sich ganz – bis zur Hingabe seines Lebens - auf die Seite Gottes stellt und auf die Seite der Menschen, die Gott retten will. Jesus folgt aber keinen vorgefertigten Muster: Er ist das Original. Deshalb gibt es keine einfachen Gleichungen, sondern ein permanentes Suchen nach dem besten Ausdruck, das nie zur Ruhe kommen wird, weil jede menschliche Sprache hinter der Wirklichkeit Gottes zurückbleibt.

Die Hoheitstitel, die Glaubensformeln, die Hoffnungsbilder, die Gebete und Bekenntnisse des Urchristentums sprechen die Sprache der Liebe. Sie wollen nicht rechthaberisch klingen, sondern einladend. Sie wollen nicht herrschen, sondern dienen. Sie wollen Menschen verlocken, ihre eigene Lebensgeschichte in die Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen einzuzeichnen. Sie wollen Menschen die Möglichkeit bieten, ihrer Frömmigkeit eine Form, ihrem Glauben einen Ausdruck, ihrer Liebe eine Sprache zu geben.

Ein Zeugnis der Hoffnung

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Video: © Mediaplus X und Bernward Medien

Ein Beitrag der Serie "Katholisch für Anfänger". In dieser Folge geht es um die Auferstehung und ihre Bedeutung im christlichen Glauben.

Es ist ein Zeugnis der Hoffnung, dass im Neuen Testament nach möglichst vielen und möglichst farbigen Worten des Bekenntnisses gesucht wird: Jesus ist der "Christus", der "Messias", der "Menschensohn", der "Gottessohn", der "Davidssohn", der "Herr", er ist sogar "Gott" . Er ist der Sämann, der Gute Hirte, der Knecht Gottes, das Lamm Gottes , das Brot vom Himmel, der Weinstock, das Licht der Welt und der Morgenstern. Jedes einzelne dieser Bekenntnisse macht sichtbar, dass Gott auf der Seite der Menschen steht – und dass dies nicht nur ein Ideal, ein Traum, sondern eine Realität ist: die Geschichte Jesu von Nazareth.

Für Jesus selbst ist diese Hoffnung auf Gott der Nerv seiner Botschaft: Er gibt denen Recht, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Um dieser Hoffnung willen müssen die größten Worte und die schönsten Bilder gesucht werden. Die Hoffnung schien zwar in der Passion gescheitert. Aber die Auferstehung Jesu zeigt denen, die glauben können, dass sie lebendig ist und durch den Tod Jesu über jede Grenze hinaus geweitet wird.

Um diese Hoffnung wachzuhalten, hat das Neue Testament all die großen und kleinen Worte gesammelt, die Jesus in das Licht stellen, das Gott selbst ist. Welche er selbst geprägt hat, darüber streiten die Gelehrten. Entscheidend ist, dass er durch sein Leben und sein Leiden, seine Worte und seine Taten den Glauben begründet hat, der verstehen will und deshalb zum Bekenntnis wird.

Zur Person

Thomas Söding ist Professor am Lehrstuhl für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Die Schwerpunkte seiner Arbeit in Forschung und Lehre sind die Exegese der Evangelien, die paulinische Theologie, die Theorie und Praxis der Schriftauslegung sowie die Ökumene. Außerdem ist Söding Konsultor des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung.
Von Thomas Söding