Franziskus hatte zuletzt 2013 wegen des Syrienkriegs auf Ansprache verzichtet

Außergewöhnlicher Papst-Appell für Ende des Ukrainekriegs

Veröffentlicht am 02.10.2022 um 13:12 Uhr – Lesedauer: 
Außergewöhnlicher Papst-Appell für Ende des Ukrainekriegs
Bild: © KNA

Vatikanstadt ‐ Es ist eine besondere Geste, die zeigt, wie sehr sich der Papst nach Frieden sehnt: Franziskus ließ heute seine traditionelle Ansprache zum sonntäglichen Angelus-Gebet weg – und rief stattdessen eindringlich zu Frieden in der Ukraine auf.

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Mit einem eindringlichen Appell hat Papst Franziskus zu einem Ende des Ukrainekriegs aufgerufen. Anstelle der üblichen Auslegung des Evangeliums widmete das Kirchenoberhaupt seine Sonntagsansprache auf dem Petersplatz dem Krieg in der Ukraine. Eine ähnliche Änderung des Ablaufs hatte es zuletzt 2013 gegeben. Damals forderte Franziskus ein Ende der Kämpfe in Syrien.

In seiner Ansprache richtete er sich diesmal direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er forderte ihn auf, die "Spirale von Gewalt und Tod" zu stoppen, auch zum Wohl des eigenen Volkes. An den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj appellierte der Papst "in großer Betroffenheit über das unermessliche Leid des ukrainischen Volkes infolge der Aggression, die es erlitten hat": Er möge offen sein "für ernsthafte Friedensvorschläge".

Weiter rief Franziskus Politiker in aller Welt auf, sich für ein Ende des Krieges einzusetzen. "Bitte lassen Sie die jungen Generationen die gesunde Luft des Friedens atmen, nicht die verschmutzte Luft des Krieges, der Wahnsinn ist!" Den Schritt, auf die sonntägliche Katechese zu verzichten, begründete das Kirchenoberhaupt mit der "schrecklichen und unfassbaren Wunde der Menschheit", die nicht heile, "sondern immer weiter blutet und sich auszubreiten droht".

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Er verurteilte erneut die "niemals zu rechtfertigenden" Kriegshandlungen, die zu Tausenden Opfern und Zerstörung führten. "Es ist bedauerlich, dass die Welt die Geografie der Ukraine durch Namen wie Bucha, Irpin, Mariupol, Izium, Saporischschja und andere Orte kennenlernt, die zu Orten unbeschreiblichen Leids und unbeschreiblicher Angst geworden sind", so der Papst.

Die "Tatsache, dass die Menschheit erneut mit einer atomaren Bedrohung konfrontiert ist", bezeichnete Franziskus als "absurd". Er bedauere "zutiefst die ernste Situation, die in den vergangenen Tagen entstanden ist, mit weiteren Aktionen, die den Grundsätzen des Völkerrechts widersprechen". Sie erhöhten "das Risiko einer nuklearen Eskalation bis zu dem Punkt, dass weltweit unkontrollierbare und katastrophale Folgen befürchtet werden".

Papst fordert "sofortigen Waffenstillstand"

Erneut rief der Papst zu einem "sofortigen Waffenstillstand" auf. Es sollten "alle diplomatischen Mittel" genutzt werden, "auch die, die bisher vielleicht nicht genutzt wurden, um dieser schrecklichen Tragödie ein Ende zu setzen". Der Krieg an sich sei "ein Irrtum und ein Horror", betonte er.

Zudem zeigte sich der Papst betroffen über die Stadion-Katastrophe in Indonesien. Er bete für alle, die bei dem Unglück getötet oder verletzt worden seien, so Franziskus. Am Samstagabend (Ortszeit) war es nach einem Fußballspiel im indonesischen Malang zu Ausschreitungen gekommen. Anhänger der unterlegenen Mannschaft stürmten Medienberichten zufolge den Platz. Als die Polizei daraufhin Tränengas einsetzte, brach eine Massenpanik aus. Laut Behördenangaben kamen mindestens 174 Menschen ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt.

Weiter drückte der Papst den Betroffenen des Wirbelsturms "Ian" in Kuba und Florida sein Beileid aus. "Möge der Herr die Opfer aufnehmen, den Leidenden Trost und Hoffnung spenden und das Engagement der Solidarität unterstützen", so das Kirchenoberhaupt. Hurrikan "Ian" war am Dienstag im Westen Kubas auf Land getroffen und hatte große Schäden verursacht. Landesweit fiel der Strom aus. Massive Verwüstungen gab es auch in Florida. Behörden sprechen von mindestens 21 Toten. Am Samstag sorgte der Sturm in South Carolina für Überschwemmungen. (rom/KNA)

Die Ansprache von Papst Franziskus im Wortlaut

Papst Franziskus hat in einem außergewöhnlichen und eindringlichen Appell zu einem Ende des Ukrainekriegs aufgerufen. Am Sonntag verzichtete er auf dem Petersplatz auf die übliche Auslegung des Evangeliums und widmete seine Ansprache dem Krieg. Eine ähnliche Änderung des Ablaufs hatte es zuletzt 2013 gegeben. Wir dokumentieren den Wortlaut aus der Übersetzung des Vatikan:

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Der Verlauf des Krieges in der Ukraine ist so ernst, verheerend und bedrohlich geworden, dass er Anlass zu großer Sorge gibt. Aus diesem Grund möchte ich ihm heute meine gesamte Betrachtung vor dem Angelus widmen. In der Tat ist es so, dass diese schreckliche und unfassbare Wunde der Menschheit nicht heilt, sondern immer weiter blutet und sich auszubreiten droht.

Ich bin betrübt über die Ströme von Blut und Tränen, die in diesen Monaten vergossen wurden. Ich bin traurig über die Tausenden von Opfern, insbesondere Kinder, und die zahlreichen Zerstörungen, die viele Menschen und Familien obdachlos gemacht haben und weite Gebiete mit Kälte und Hunger bedrohen. Solche Handlungen sind niemals zu rechtfertigen, niemals! Es ist bedauerlich, dass die Welt die Geografie der Ukraine durch Namen wie Bucha, Irpin, Mariupol, Izium, Saporischschja und andere Orte kennenlernt, die zu Orten unbeschreiblichen Leids und unbeschreiblicher Angst geworden sind. Und was ist mit der Tatsache, dass die Menschheit erneut mit einer atomaren Bedrohung konfrontiert ist? Das ist absurd.

Was muss noch geschehen? Wie viel Blut muss noch fließen, damit wir erkennen, dass Krieg niemals eine Lösung ist, sondern nur Zerstörung? Im Namen Gottes und im Namen des Gefühls der Menschlichkeit, das in jedem Herzen wohnt, erneuere ich meinen Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand. Wir sollten die Waffen ruhen lassen und die Bedingungen für Verhandlungen suchen, die zu Lösungen führen, die nicht mit Gewalt durchgesetzt werden, sondern einvernehmlich, gerecht und stabil sind. Und das werden sie sein, wenn sie auf der Achtung des unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens, der Souveränität und territorialen Integrität jedes Landes sowie der Rechte von Minderheiten und legitimen Anliegen beruhen.

Ich bedauere zutiefst die ernste Situation, die in den letzten Tagen entstanden ist, mit weiteren Aktionen, die den Grundsätzen des Völkerrechts widersprechen. Sie erhöht das Risiko einer nuklearen Eskalation bis zu dem Punkt, dass weltweit unkontrollierbare und katastrophale Folgen befürchtet werden.

Mein Appell richtet sich in erster Linie an den Präsidenten der Russischen Föderation, den ich bitte, diese Spirale von Gewalt und Tod zu stoppen, auch zum Wohl seines Volkes. Andererseits appelliere ich, in Betroffenheit über das unermessliche Leid des ukrainischen Volkes infolge der Aggression, die es erlitten hat, ebenso zuversichtlich an den Präsidenten der Ukraine, für ernsthafte Friedensvorschläge offen zu sein. Ich appelliere an alle Akteure des internationalen Lebens und an die politischen Führer der Nationen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den anhaltenden Krieg zu beenden, ohne sich in gefährliche Eskalationen hineinziehen zu lassen, und Initiativen zum Dialog zu fördern und zu unterstützen. Bitte lassen Sie die jungen Generationen die gesunde Luft des Friedens atmen, nicht die verschmutzte Luft des Krieges, der Wahnsinn ist!

Nach sieben Monaten der Feindseligkeiten sollten wir alle diplomatischen Mittel nutzen, auch die, die bisher vielleicht nicht genutzt wurden, um dieser schrecklichen Tragödie ein Ende zu setzen. Der Krieg an sich ist ein Irrtum und ein Horror!

Vertrauen wir auf die Barmherzigkeit Gottes, der die Herzen verändern kann, und auf die mütterliche Fürsprache der Königin des Friedens, wenn wir unser Gebet zu Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz von Pompei erheben, geistig verbunden mit den Gläubigen, die in ihrem Heiligtum und in so vielen Teilen der Welt versammelt sind.