Standpunkt

Kriegsflüchtlinge sollten weiterhin in Deutschland Zuflucht finden

Veröffentlicht am 07.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Frühjahr seien ukrainische Flüchtlinge in Deutschland mit offenen Armen empfangen worden, kommentiert Claudia Nothelle. Jetzt sei allerdings Alltag eingekehrt – zumindest bei uns. Wer vor dem Krieg fliehe, müsse aber weiterhin Zuflucht finden.

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Dieser Krieg kommt uns so nahe, dass diejenigen, die vor ihm fliehen, mit dem Auto kommen können. Dieser Krieg kommt uns so nahe, weil diejenigen, die vor ihm fliehen, nicht immer aussehen, wie Menschen, die Not leiden (wobei: Wie sieht Not eigentlich aus?). Dieser Krieg kommt uns so nahe, denn die Geflüchteten kleiden sich wie wir, bevorzugen vielleicht die gleichen Marken wie wir und die gleichen Urlaubsziele – aber sie bangen um ihre Heimat, um ihr Leben und ihre Sicherheit, um ihre Angehörigen und Freunde, um ihre Zukunft.

Im Frühjahr dieses Jahres haben wir sie mit offenen Armen empfangen, sind in unseren Häusern und Wohnung zusammengerückt und haben sie an unsere Tische eingeladen. Jetzt ist Alltag eingekehrt – zumindest für uns. Die Geflüchteten sind immer noch in größter Sorge. Wenn sie nach Hause reisen, um nach alten Eltern oder kämpfenden Ehemännern zu schauen oder um ihre Toten zu beerdigen, mag sie das kurzfristig beruhigen. Aber ihre Situation bleibt verzweifelt.

Ausgerechnet der Vorsitzende der Partei mit dem "C" im Namen wirft ihnen Sozialtourismus vor, rudert eher halbherzig zurück und spricht dann vom Pullfaktor, den die deutschen Sozialleistungen für Menschen in Not darstellen. Von Solidarität, von Gastfreundschaft, von Nächstenliebe ist in dieser Rede nichts zu spüren. Alle Unterstützungsbekundungen an die Ukraine aber haben keinen Sinn, wenn sie schon kurz vor der eigenen Haustür enden. Und wie 2015 gilt auch heute: Niemand verlässt in einer solch dramatische Situation seine Heimat, seine Familie und seine Wurzeln aus Gründen des Tourismus oder des Amüsements.

Ja, auch in unserer Gesellschaft gibt es Probleme. Die hohe Inflation und die Sorge um die Energie(kosten) lassen bei vielen die Angst vor einem kalten Winter wachsen. Auch ihre Not muss Resonanz finden in unserer Gesellschaft. Aber wer aus Angst vor dem Krieg bei uns Zuflucht sucht, der sollte sie auch bekommen. Übrigens auch Menschen mit russischem Pass, die sich nicht zwangsrekrutieren lassen wollen für einen sinnlosen Angriffskrieg, den sie immer noch so nicht nennen dürfen.

Von Claudia Nothelle

Die Autorin

Claudia Nothelle lehrt Fernsehjournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ist Aufsichtsratsvorsitzende der katholischen Journalistenschule ifp und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.