Nach Stetter-Karp-Forderung eines Ämterverbots für Parteimitglieder

Neue Diskussion um das Verhältnis von Kirche und AfD

Veröffentlicht am 18.08.2023 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach der Forderung der ZdK-Präsidentin nach einem Ämterverbot für AfD-Mitglieder in der katholischen Kirche wird erneut über das Verhältnis von Kirche und AfD diskutiert. Für die Kirche sind vor allem inhaltliche Überschneidungen mit der Partei und sympathisierende Kirchenmitglieder ein Problem.

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Wie hältst Du's mit der AfD? Über diese Gretchenfrage wird in der katholischen Kirche seit Beginn dieser Woche mit neuer Intensität diskutiert. Ausgelöst wurde die Debatte durch Interviewaussagen der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp. Beim Internetportal "kirche-und-leben.de" forderte sie am Dienstag, AfD-Mitgliedern den Zugang zu kirchlichen Laienämtern zu verwehren. Es sei "eindeutig, dass antisemitische, rassistische, menschenverachtende Haltungen und Äußerungen keinen Platz in einer katholischen Organisation haben", begründete die ZdK-Präsidentin ihren Vorstoß, der – anders als viele andere Stellungnahmen der Laienorganisation – auch in säkularen Medien weite Verbreitung fand. Und weiter: "Ein aktives Eintreten für die AfD widerspricht den Grundwerten des Christentums."

Dass Stetter-Karp gerade jetzt ein Ämterverbot für Mitglieder der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer "Verdachtsfall" eingestuften Partei fordert, dürfte vor allem an der neuen Stärke der AfD liegen. Seit Monaten steht sie in Umfragen stabil bei oder teilweise sogar über 20 Prozent und hätte damit – wenn bereits jetzt ein neuer Bundestag gewählt werden würde – gute Chancen, nach der Union als zweitstärkste Fraktion in das Parlament einzuziehen. Das Erstarken der AfD, das die meisten Experten nach dem eher durchschnittlichen Ergebnis der Partei bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren – damals kam sie auf 10,3 Prozent – so nicht erwartet hatten, hat auch in der Kirche die Sorge vor einem nachhaltigen Rechtsruck in Deutschland bestärkt und die Distanz zwischen Kirche und AfD weiter anwachsen lassen.

Angespanntes Verhältnis seit der Gründung der Partei

Angespannt war das Verhältnis zwischen Kirche und AfD gleichwohl schon seit deren Gründung im Frühjahr 2013. Bald nach dem Start der Partei erklärte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, mit Blick auf die damals vor allem Euro-kritische Partei, er hoffe, "dass es nur ein paar Nostalgiker sind, die nicht in den Bundestag einziehen werden" und bekannte sich zugleich klar zum Euro und zum europäischen Integrationsprozess. Diese Aussagen lösten erste Kritik von Parteivertretern aus. Die heutige stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, schrieb in einem offenen Brief an Zollitsch: "Sie missbrauchen ihr Amt, um vor uns zu warnen."

Bild: ©Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Hat mit ihren Aussagen zur AfD eine neue Debatte ausgelöst: ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp.

Überdeutlich wurden die Differenzen dann im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise ab Herbst 2015. Während sich die beiden großen Kirchen mit Verweis auf die christliche Nächstenliebe stark für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge engagierten, positionierte sich die AfD mit rechtspopulistischen Parolen gegen die Willkommenskultur – unter anderem durch scharfe Kritik an den Kirchen. So warf der damalige stellvertretende Parteivorsitzende Albrecht Glaser den Kirchen vor, beim Thema Flüchtlinge von einem "naiven Humanitarismus beseelt" zu sein. Und der damalige bayerische AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron behauptete gar, die Kirchen würden mit der Flüchtlingshilfe Milliardengeschäfte machen – eine Aussage, die der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, umgehend als "Gequatsche" und "unreflektiertes Gerede" zurückwies.

Spätestens seit dieser Zeit ist das Tischtuch zwischen den Amtskirchen und der AfD zerschnitten, daran änderten auch der erstmalige Einzug der Partei in den Bundestag im Herbst 2017 und der erfolgreiche Wiedereinzug in das Parlament vier Jahre später nichts. Offizielle Gesprächskanäle etwa zwischen den Verbindungsbüros der beiden Kirchen im politischen Berlin und der AfD-Parteispitze oder der Fraktionsführung im Bundestag gibt es bis heute nicht – und angesichts der nicht nur vom Verfassungsschutz diagnostizierten zunehmenden Radikalisierung der Partei in der jüngsten Zeit dürfte sich an diesem Nichtverhältnis und der gegenseitigen Ablehnung bis auf Weiteres auch nichts ändern.

Zuletzt kaum öffentliche Positionierungen gegen die AfD

Was allerdings auffällt: Jenseits der jüngsten Aussagen Stetter-Karps hat sich in den vergangenen Monaten kaum ein führender Kirchenvertreter öffentlich gegen die AfD positioniert; auch nach den empörenden Aussagen des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke zur Inklusion in Schulen im "Sommerinterview" des MDR blieb die Kirche weitgehend still. Experten sehen dafür vor allem zwei Gründe: Zum einen ist die Kirche seit dem Missbrauchsskandal und der hohen Zahl an Kirchenaustritten in den vergangenen Jahren stark angeschlagen; als moralische Instanz und Mahnerin vor politischen Fehlentwicklungen fällt sie deshalb weitgehend aus. Und zum anderen gibt es am rechten Rand des Kirchenvolks durchaus Sympathisanten und Wähler der AfD, die zentrale Positionen der Partei wie den Kampf gegen die sogenannte "Gender-Ideologie" oder die Ablehnung des Islam teilen und in der AfD tatsächlich die "einzige christliche Partei, die es noch gibt" sehen, wie es Parteichefin Alice Weidel einst formulierte.

Beatrix von Storch auf dem Parteitag der AfD in Stuttgart.
Bild: ©dpa/Marijan Murat

Bei einer Parlamentsdebatte zur Suizidbeihilfe sagte AfD-Politikerin Beatrix von Storch jüngst, dass Anfang und Ende des Lebens "alleine in Gottes Hand" lägen – eine Auffassung, die genauso auch die katholische Kirche vertritt.

Das räumte am Dienstag auch ZdK-Präsidentin Stetter-Karp ein. Die Überschneidungen einer "konservativ-katholischen Klientel" mit AfD-Positionen seien leider nicht zu übersehen, restaurative Positionen seien in den vergangenen Jahren auch in der Kirche lauter und schriller geworden, konstatierte sie. "Das Ausmaß an plumper Vereinfachung, die Zementierung des Althergebrachten, die Verweigerung, sich Fragen der Zeit ernsthaft zu stellen und die Hetze von rechts haben erkennbar zugenommen", so Stetter-Karp. Zuerst sei dies bei familienpolitischen Fragen der Fall gewesen. Ein zweites Themenfeld für Rechtskatholiken sei zudem "die Abwehr von Demokratie und Gewaltenteilung".

Ähnlich äußerte sich einen Tag später auch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck. Konkret sprach er ebenfalls bei "kirche-und-leben.de" mit Blick auf restaurative Tendenzen in der Kirche von religiös-reaktionären Bewegungen, "die meines Erachtens in der Beschreibung eher dem identitären Umfeld zuzuordnen sind". In dieser Dimension seien dies recht neue Phänomene, die andere religiöse Deutungen als "Häresien" abqualifizierten und sich im Besitz der einen absoluten Wahrheit wähnten. In gewisser Weise seien diese Bewegungen "das religiöse Äquivalent zur neuen politischen Rechten mit nicht selten direkten Verbindungen", so Overbeck.

Inhaltliche Nähe bei ethischen Fragen ist ein Dilemma für die Kirche

In der laufenden Legislaturperiode des Bundestags zeigen sich die inhaltlichen Schnittmengen zwischen AfD und Kirche einmal mehr vor allem bei ethischen Fragen, allen voran bei den Themen Abtreibung und Suizidbeihilfe. Immer wieder vertritt die Partei hier Positionen, die teilweise bis in die Mitte der Kirche hinein anschlussfähig sind. So äußerte Beatrix von Storch etwa Anfang Juli in einer Parlamentsdebatte zur Suizidbeihilfe: "Anfang und Ende des Lebens liegen alleine in Gottes Hand" – eine Auffassung, die genauso auch die katholische Kirche vertritt. Und auch bei ihrer Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen sind von Storch und andere Vertreter ihrer Partei ganz auf Kirchenlinie.

Für die Kirche und ihren weiteren Umgang mit der AfD ist diese inhaltliche Nähe ein Dilemma. Eigene Positionen aufzugeben, nur weil die Partei sie auch vertritt, kommt nicht in Frage. Gemeinsame Sache mit der AfD etwa beim Kampf gegen Abtreibungen zu machen, verbietet sich angesichts der fortschreitenden Radikalisierung der Partei allerdings auch; die jährlichen Diskussionen um den "Marsch für das Leben" zeigen, dass die Kirche dabei nur verlieren kann. Über kurz oder lang – vor allem, wenn die AfD weiter an Zustimmung gewinnen sollte – wird die Kirche deshalb nicht umhin kommen, ihr Verhältnis zu der Partei noch einmal neu zu justieren und trotz der eigenen geschwächten Position deutlich klarer als bisher Kante gegen die Partei und damit auch gegen entsprechende Umtriebe in den eigenen Reihen zu zeigen. Vielleicht haben die Aussagen von Irme Stetter-Karp dafür den notwendigen Anstoß gegeben.

Von Steffen Zimmermann