Kirche kann von Erfahrung aus Verbandsleben lernen

Nach der Weltsynode: Weiter zuhören und endlich entscheiden

Veröffentlicht am 11.11.2023 um 00:01 Uhr – Von Markus Demele – Lesedauer: 

Köln ‐ Bei der Weltsynode war viel vom Heiligen Geist und vom Zuhören die Rede. Künftig geht es aber auch darum, dem Entscheidungen folgen zu lassen, schreibt Kolping-Generalsekretär Markus Demele in seinem Gastbeitrag. Dazu blickt er auf Unterschiede in Wahrnehmung und Glaubensleben.

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Das Ringen um die Deutungshoheit der Ergebnisse der diesjährigen Bischofssynode in Rom ist in vollem Gange, auch hier auf katholisch.de. Die regelmäßige Leserin konnte vielfältige und recht unterschiedliche Kommentare und Stimmungsbilder wahrnehmen. Nun, nach einiger Zeit der Reflexion, möchte ich mit diesem Beitrag eine einordnende Zusammenschau sowie Kommentierung aus verbandlicher Perspektive anbieten, die zugleich den Bogen zu den anstehenden weiteren synodalen Beratungen schlägt.

Mehrfach die Woche berichtete auf einem Synoden-Blog der Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz von seiner Wahrnehmung des Beratungsprozesses aus der Perspektive des teilnehmenden Gastes. Dabei nicht das päpstliche Schweigegebot zu verletzen und dennoch Berichtenswertes zu notieren, ist aller Ehren wert und hat der Synode hoffentlich zu einer breiteren Wahrnehmung verholfen. Wie enervierend das "Gespräch im Geist", also das geduldige Hin- und Zuhören als dominierender Methode sein kann, wird deutlich, wenn es im letzten Eintrag aus ihm herausbricht: "Um es einmal ehrlich zu sagen: Ich kann das nicht mehr hören." Gemeint ist die Kritik der "üblichen Verdächtigen" aus Deutschland, die mit "larmoyanter Selbstgewissheit" nicht zu erkennen vermögen, welch "Riesenfortschritt" sich bei dieser Bischofssynode ereignet habe. Welch Ironie und zugleich symptomatisch für das Verfahren der Synode: Nur hören ohne zu debattieren, nur bedenken, ohne um Argumente zu ringen, kann leicht in die nur allzu verständliche Frustration führen – offenkundig auch gegenüber jenen, die seit Jahrzehnten zurecht Veränderungen anmahnen.

Dennoch sollten wir alle weiter zuhören. Hören auch auf jene, denen das Tempo kirchlichen Wandels angesichts der Strukturen, die den massenhaften Missbrauch begünstigt haben, zu langsam ist. Und das ist es nicht nur einigen wenigen Deutschen, sondern immer mehr Gläubigen auf allen Erdteilen. Zudem ist es überaus fraglich, ob wir ohne die "üblichen Verdächtigen" einen synodalen Prozess wie den aktuellen jemals hätten erleben dürfen. Was in diesem Herbst als enormer Fortschritt und atmosphärisches Highlight römischer Synodalität bejubelt wird, ist das Ergebnis eines – wenn man so will – "pneumatischen Drucks", der nicht zuletzt durch den Synodalen Weg in Deutschland sowie eine Reihe anderer synodaler Formate weiterer Ortskirchen, wie in Irland oder Australien, Richtung Rom aufgebaut wurde. Der Atem des Geistes, der durch die Weltkirche weht, ist sicher durch das diskursfreudige Westeuropa belebt worden; mit vorsichtiger Freude haben ihn nahezu alle Ortskirchen weitergetragen.

Fokus auf Heiligen Geist

Das Synthese-Dokument der Beratungen, das von der Synode beschlossen wurde, ruft ebenfalls immer wieder den Heiligen Geist als Treiber des synodalen Austauschs und Führer auf dem Weg der Unterscheidung ins Bewusstsein. Daran anschließend möchte ich aus den sieben Gaben des Heiligen Geistes, wie die kirchliche Tradition sie kennt, zunächst auf vier fokussieren und mit ihnen aufzeigen, welche Dynamiken mit Blick auf die kommenden Monate bis zur nächsten Synodalversammlung 2024 hilfreich sein könnten.

Eine Gabe des Heiligen Geistes ist der "Rat". Dem guten Rat Raum zu geben ist weder leicht noch immer freudenreich, zudem, wenn er von anderen mit Verve vorgetragen wird. Die Bereitschaft, sich durch den Rat neu zu positionieren, und sei es nur seinen eigenen Standpunkt zu erklären, bleibt eine Grundvoraussetzung für weitere Schritte der Synodalität. Doch wie passt dazu, dass der Papst selbst, als Einladender und Forderer der wechselseitigen Offenheit, für den guten Rat noch während der Synode durch ein Interviewbuch den Beratungsraum verengt und gleichsam seinen eigenen Filter für erbetenen Rat einschaltet? Leider tut er ebendies, wenn er die Frage des Frauenpriestertums oder der Erhebung von Frauen zu Kardinälen für entschieden erklärt. Doch der Heilige Geist wird sicher auch hier einen Weg finden, als Ratgeber tätig zu sein.

Papst Franziskus bei der Weltsynode
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Papst Franziskus habe bei der Synode "durch ein Interviewbuch den Beratungsraum verengt und gleichsam seinen eigenen Filter für erbetenen Rat§ eingeschaltet, schreibt Demele.

Eine zweite Gabe des Heiligen Geistes bringt der Synodenteilnehmer und Bischof von Essen Franz-Josef Overbeck ins Wort, wenn er im katholisch.de-Interview fordert, dass es in der Synode "im nächsten Jahr auch um die Auseinandersetzung um das bessere Argument gehen muss". Es ist die Gabe der "Erkenntnis", die der Heilige Geist verspricht. Nun ist aber Erkenntnis nie losgelöst vom erkennenden Menschen zu haben, von seiner Welt, seiner Vorerfahrung in Kultur, Tradition und Lebensumständen. Es ist das Wunderbare an der Frohen Botschaft Jesu, dass sie in jeden kulturellen Kontext hineingesprochen und verstanden werden kann. Die Essenz der vertikalen Liebeszusage Gottes zu den Menschen, und der damit verbundene horizontale Auftrag wechselseitiger Liebe der Menschen zueinander, vereint Menschen aller Kontinente, aller Bildungsbiografien und Lebensumstände. Die religiöse Praxis hingegen, die idealerweise auf diese Essenz des Glaubens ausgerichtet ist, kann sehr heterogen sein und hat sich in den Jahrhunderten immer wieder gewandelt. Ihr ist damit etwas Akzidentielles, eben Veränderbares zu eigen. Diese Differenzierung gilt es herauszuarbeiten und fruchtbar zu machen.

Wahrnehmung von Unterschiedlichkeit

Bei der Wahrnehmung dieser Unterschiedlichkeiten katholischen Glaubenslebens über die Ortskirchen hinweg fällt zurecht häufig der Wunsch nach "Einheit in der Vielfalt", oder wie Overbeck formuliert: "Diese Form des unterschiedlichen Gehens bei Einheit aller im Glauben ist eine Herausforderung." Dabei besteht die Herausforderung weniger darin, zwingend in allen Fragen des Glaubensvollzuges auf einen Nenner zu kommen. Davon gehen aber wohl jene aus, die schon einen atmosphärisch geschwisterlichen Austausch als Erfolg weltkirchlicher Beratungen feiern. Sie scheinen zu fürchten, dass mehr (noch) nicht möglich ist. Doch schon jetzt können wir dem Geist der Erkenntnis mehr zutrauen: Er leitet schon jetzt bei der Klärung, in welchen essenziellen Fragen überhaupt Einigkeit erzielt werden muss und wo Glaubenspraxis, die auf das Evangelium Bezug nimmt, auch unterschiedlich, ja bisweilen widersprüchlich sein darf.

In der Debatte um die Einheit in Vielfalt werden immer wieder zwei Gefahren deutlich: Die eine ist die Rede von "Ungleichzeitigkeiten", die davon ausgeht, dass andere schon noch da hinkommen, wo man selber bereits ist. Das mag als Bewältigungsstrategie, um die Andersartigkeit der Geschwister im Glauben zuzulassen, hilfreich sein – hegemonial ist es dennoch. Solange es keine Leiderfahrung für Menschen bedeutet und nicht der Essenz des Evangeliums widerspricht, soll so viel Vielfalt wie gewünscht in dem "weiten Zelt" (Jes 54,2) der katholischen Kirche möglich sein. Davon zu unterscheiden ist jedoch der Fall, wenn menschenrechtliche Standards berührt werden, egal ob sie sich in den Mehrheitsgesellschaften der entsprechenden Ortskirchen durchgesetzt haben oder nicht. Mit anderen Worten: Ein weltkirchlicher Konsens kann nicht hinter globale Menschenrechtsstandards zurück. Dazu gehören auch die Rechte sexueller Minderheiten. Menschenrechte haben kulturell höchst unterschiedliche Begründungstraditionen und Akzentverschiebungen. Hinter den Erkenntnissen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sollten weder Dogmatik noch Pastoral irgendeiner Ortskirche zurückbleiben.

Markus Demele
Bild: ©Kolping International

Der Theologe Markus Demele ist seit 2012 Generalsekretär des Internationalen Kolpingwerks.

Nun eine dritte Geistesgabe, die "Weisheit". Für König Salomo drückte sie sich dadurch aus, ein "hörendes Herz" zu erlangen (1 Kön 3,9). Die synodale Methode des "Gesprächs im Geist" ist eine – wenn wohl auch nicht sonderlich rasante – sehr harmoniebedachte Art des Hörens und des Austauschs. Als Gegenmodell wird von Papst Franziskus häufig der Stil des Parlamentarismus benannt, in dem vermeintlich nur unterschiedliche Machtblöcke aufeinander einreden.

Weltsynode im Kleinen

Dem möchte ich die Erfahrung unseres Verbandes Kolping International an die Seite stellen, gewissermaßen als Weltsynode im Kleinen. Nur wenige Tage vor Beginn der Synode tagte bei Köln die Generalversammlung, der rund 200 Delegierte aus allen 60 Ländern mit Kolpingsfamilien angehören. Statuten, Wahl- und Geschäftsordnungen regeln hier die Verfahren des Austauschs und der Beratungen. Gebete und Eucharistiefeiern, gestaltet aus den liturgischen Traditionen der Ortskirchen aller Kontinente rahmen und durchdringen die inhaltliche Arbeit. In den abendlichen Feiern und Begegnungen setzt sich der geschwisterliche Geist der Beratungen des Tages fort. Kontrovers darf es dabei zugehen. Bisweilen auch hochemotional. Aber am Ende kommen wir immer wieder zusammen in der Tradition Adolph Kolpings und vor allem im Glauben an die Liebe Gottes, die auf so unterschiedlichen Wegen ihren Weg zu uns findet. Dabei lässt der Verband bewusst eine große Vielfalt zu, wie sich verbandliches Tun rund um die Werte und Prinzipien der gemeinsamen Tradition weltweit konkretisieren kann. Seit über 170 Jahren ist die weltweite Kolpinggemeinschaft auf diese Weise beieinandergeblieben.

Der australische Bischof Shane Mackinlay, selbst Mitglied der Aufsichtskommission, die das Synthese-Papier erstellt hat, forderte für die Beratungen 2024 mehr Dialog und mehr Bereitschaft, zu Entscheidungen zu kommen. Die kontinentalen Beratungen zu den Ergebnissen der diesjährigen Synode müssen bereits mit genau diesem Geist geführt werden. Die Diskurs- und Entscheidungstradition in katholischen Verbänden wie Kolping mag ein Fingerzeig dafür sein, dass dieser Modus nicht ins Schisma führen muss, sondern vielmehr in die Weite gelebten Glaubens.

Schließlich wird eine weitere, vierte Gabe des Heiligen Geistes in den kommenden Monaten sicher von allen erbeten werden. Sowohl von jenen, die angesichts der ausbleibenden Veränderungen in der Kirche die Geduld oder gar die Hoffnung verlieren, als auch von denen, die Angst haben, zu viel Heterogenität bedeute zu große Fliehkräfte für eine weltweite Gemeinschaft. Es ist die Gabe der Stärke. "Der Herr gebe Kraft seinem Volk", mögen wir mit Psalm 29,11 rufen. Wir werden sie brauchen, damit in zwölf Monaten bei der nächsten Synodalversammlung in Rom ein gutes Ziel erreicht werden kann.

Von Markus Demele

Der Autor

Markus Demele (*1978) ist seit 2012 Generalsekretär von Kolping International. Er absolvierte ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre und nahm nach dem Abschluss das Studium der Katholischen Theologie in Frankfurt am Main auf. Nach seinem Diplom arbeitete er bis 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschaftsethik und als Seelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde der Universität Frankfurt. Im Jahr seiner Wahl zum Kolping-Generalsekretär schloss er zudem eine Promotion zu einem entwicklungspolitischen Thema ab. Er ist Vorstandsvorsitzende des katholischen Personaldienstleisters Agiamondo e.V. und Mitglied des Aufsichtsrates von Adveniat. Seit 2022 ist Lehrbeauftragter für Internationale Soziale Arbeit an der Kolping Hochschule in Köln.