"Loch" zu, Türen auf: Berlins Hedwigs-Kathedrale wird wiedereröffnet
Der Bebelplatz ist einer der schönsten Plätze Berlins. Rund um den Platz am Boulevard Unter den Linden stehen mit der Staatsoper, der Alten Bibliothek, dem Alten Palais und der ehemaligen Geschäftszentrale der Dresdner Bank – dem heutigen Hotel de Rome – einige der bekanntesten und sehenswertesten Bauwerke in der historischen Mitte der Hauptstadt, die allesamt nach der Wiedervereinigung aufwändig saniert wurden. Vor allem die Staatsoper – ein Werk des preußischen Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff – glänzt seit ihrer Generalsanierung vor einigen Jahren in schönster historischer Pracht.
Feierliche Wiedereröffnung an diesem Sonntag
Die letzte verbliebene Baustelle am Bebelplatz war bis jetzt die – ebenfalls von Knobelsdorff gebaute – Hedwigs-Kathedrale. Seit September 2018 wurde die Hauptkirche des Erzbistums Berlin vor allem in ihrem Inneren umfassend saniert und umgebaut. Das Gotteshaus war in dieser Zeit geschlossen und baubedingt lange hinter Zäunen und Gerüsten verborgen. Als "Ersatzkathedrale" diente währenddessen die St.-Joseph-Kirche im Stadtteil Wedding. Doch damit ist nun – abgesehen von ein paar Restarbeiten sowie dem noch nicht abgeschlossenen Um- und Neubau des Bernhard-Lichtenberg-Hauses hinter der Kirche – Schluss: An diesem Sonntag wird die Hedwigs-Kathedrale mit einem Gottesdienst unter Leitung von Erzbischof Heiner Koch nach sechs Jahren feierlich wiedereröffnet.
Die jetzige Sanierung war nicht die erste in der Geschichte der von Preußens legendärem König Friedrich dem Großen initiierten und am 1. November 1773 geweihten Kirche – aber sicher die am kontroversesten diskutierte. Schließlich wurde mit dem Umbau das Werk des Architekten Hans Schwippert zerstört, der das Gotteshaus nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs bis 1963 in moderner Form wiederaufgebaut hatte. Maßgeblich geprägt worden war die Kathedrale seither von einer rund acht Meter großen Bodenöffnung im Zentrum des Kirchenraums. Über eine breite Treppe war damit die Unterkirche (Krypta) mit den Grabkapellen der Berliner Bischöfe und des 1996 von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) seliggesprochen Dompropstes und NS-Gegners Bernhard Lichtenberg erreichbar.
Die Schließung des "Lochs" war wohl die markanteste und auch umstrittenste Maßnahme der jetzigen Sanierung. Vor allem Katholiken aus dem ehemaligen Ostteil Berlins – deren kirchliche Heimat St. Hedwig schon vor der Wiedervereinigung gewesen war – protestierten lange lautstark gegen die "radikale Umgestaltung"; eine Zeit lang war der Umbau sogar ein Fall für die Justiz. Doch das Erzbistum, das die Sanierung 2013 noch unter dem damaligen Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki angeschoben hatte, argumentierte nicht nur mit notwendigen Renovierungsarbeiten, sondern auch mit heutigen liturgischen Erfordernissen. Die Gemeinde solle sich künftig in einem Kreis um den Altar versammeln können, um so den Communio-Gedanken – also das Gemeinschaftsgefühl – besser erlebbar zu machen.
Umbau soll Leben als Christ widerspiegeln
Und so kam es: Gemäß dem 2014 ausgewählten Entwurf des Architekturbüros Sichau & Walter aus Fulda und des Künstlers Leo Zogmayer aus Wien wurde der Altar in die Mitte der kreisrunden Kathedrale gerückt. Dort bildet er nun eine Linie mit dem neuen Taufbecken in der Unterkirche und der Fensteröffnung in der Kuppel. Laut Erzbistums soll sich in dieser – aufgrund der geschlossenen Bodenöffnung allerdings nur erahnbaren – Achse das Leben als Christ widerspiegeln: die Taufe als Beginn, die Versammlung um den Altar als Erfahrung christlicher Gemeinschaft und der direkte Blick zum Himmel als Perspektive nach dem Tod.
Farblich dominiert im Inneren der Kathedrale – so wie es der Siegerentwurf vorgesehen hatte – die Farbe Weiß. Dadurch wirkt das vor dem Umbau eher düstere Gotteshaus nun viel heller und lichtdurchfluteter. Kritiker allerdings könnten mit dem gleichen Recht behaupten, dass der Bau durch die weiße Kuppel, die weißen Säulen und die weißen Wände eher kalt und steril daherkommt. Zumal gemäß der Idee von Leo Zogmayer auch sonst auf allzu viel Kunst und andere "Schmuckelemente" im Inneren verzichtet wurde. Das gilt auch für die Fenster der Kirche, die nun milchglasartig gestaltet sind. In ihnen verbirgt sich gleichwohl ein kleines Kunstwerk, das zumindest Astronomen begeistern dürfte: Eingearbeitete Luftblasen in den Fenstern sollen den Berliner Sternenhimmel zum Zeitpunkt der Geburt Christi zeigen.
Äußerlich hat sich die Kathedrale kaum verändert
Die Unterkirche, die nun direkt aus der Eingangshalle der Kathedrale über eine Treppe und einen Aufzug zugänglich ist und eine katakombenartige Atmosphäre ausstrahlt, beherbergt neben dem Taufbecken einen Raum mit den Gräbern der bisherigen Berliner Bischöfe, mehrere Kapellen – unter anderem Bernhard Lichtenberg und der Namensgeberin der Kathedrale, die heilige Hedwig von Schlesien, gewidmet – sowie vier Beichträume. Die Gebeine Lichtenbergs, die während des Umbaus in die Gedenkkirche "Maria Regina Martyrum" umgebettet worden waren, kehren allerdings erst am 29. November nach St. Hedwig zurück.
Im Kontrast zur Umgestaltung im Inneren hat sich die Kathedrale äußerlich kaum verändert. Das markante grüne Kupferdach und die sandfarbene Außenfassade prägen den Bau auch weiterhin. Lediglich das goldene Kreuz ist von der Kuppelspitze auf den Eingangsgiebel gewandert. Die Kathedrale soll dadurch laut Dompropst Tobias Przytarski "viel klarer als Kirche" zu erkennen sein.
Mit Blick auf die Kosten des Bauprojekts konnte das Erzbistum kurz vor der Wiedereröffnung eine gute Nachricht verkünden: Mit 44,2 Millionen Euro wurden die 2016 prognostizierten Gesamtkosten für den Umbau der Bischofskirche nur um rund 4 Millionen Euro überschritten – und das trotz starken Kostentreibern wie der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Gelungen ist dies unter anderem durch Umplanungen des ursprünglichen Entwurfs. So wurde beispielsweise auf die eigentlich geplante Unterkellerung des Hofs hinter der Kathedrale verzichtet. Deutlich getrübt wird die finanzielle Bilanz allerdings, wenn auch das Bernhard-Lichtenberg-Haus in die Rechnung einbezogen wird. Hier waren zu Beginn 17 Millionen Euro veranschlagt worden, inzwischen rechnet das Erzbistum jedoch mit nahezu verdoppelten Kosten von 33,8 Millionen Euro – für die das Hauptstadtbistum zudem allein aufkommen muss.
"Welch ein freudiges Ereignis, das ich seit langem von Herzen erwarte"
Trotzdem ist die Vorfreude im Erzbistum kurz vor der Wiedereröffnung groß. "Welch ein freudiges Ereignis, das ich seit langem von Herzen erwarte", schrieb Erzbischof Koch vor Kurzem in einem Brief an alle Katholiken des Erzbistums, das von Rügen im Norden bis Brandenburg an der Havel im Westen und Frankfurt (Oder) im Osten reicht. Es sei sein Wunsch und sein Traum, dass die Kathedrale ein Ort werde, den die Menschen "in Freude und Hoffnung, aber auch in Ihrer Trauer oder Angst aufsuchen" und dort Geborgenheit, Zuspruch, Angenommensein, Trost und Gemeinschaft erführen.
Es wird sich zeigen, ob dieser Wunsch in Erfüllung geht und die Kathedrale wieder zum Mittelpunkt des Erzbistums wird. Vor der baubedingten Schließung besuchten jährlich rund 200.000 Menschen das Gotteshaus, 250 Menschen kamen durchschnittlich zu einem Gottesdienst. Ob sie alle wiederkommen und vielleicht sogar noch mehr Menschen die Kathedrale für sich entdecken werden? Im Erzbistum hofft man das – und zieht die Zuversicht dafür unter anderem aus dem großen Interesse am Eröffnungsgottesdienst, dessen frei verfügbare Sitzplätze innerhalb von wenigen Minuten ausgebucht waren.