Simon Linder wünscht sich einen unverkrampften Umgang mit dem Thema Homosexualität

Die Liebe zählt

Veröffentlicht am 17.09.2015 um 00:01 Uhr – Von Simon Linder – Lesedauer: 
Familiensynode

Bonn ‐ Studierende und ihre Erwartungen an die Familiensynode: In dieser Woche schreibt Simon Linder über das Verhältnis der Kirche zur Homosexualität. Was sagt der Katechismus und welche Fragen stellen sich den Gläubigen heute? Diskutieren Sie mit!

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Was der Katholik zum Thema Homosexualität zu denken hat, steht im Katechismus: "Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen."

Der Katechismus stammt aus dem Jahr 1997. Seitdem hat sich vieles verändert. In Deutschland wurde - gegen den Protest der katholischen Kirche - die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eingeführt. Das gesellschaftliche Klima hat sich gedreht: Rechtfertigen muss sich nicht mehr, wer die "Ehe für alle" fordert, sondern wer sie kritisiert. Der Katechismus wirft heute andere Fragen auf als vor 20 Jahren: Wie soll das gehen, Homosexuelle nicht zurücksetzen zu wollen - aber gleichzeitig meinen, ihnen generell mit Mitleid begegnen zu müssen? Wie kommt die Kirche auf die Idee, dass Homosexualität für Schwule und Lesben eine Prüfung sei? Und, ganz grundsätzlich: Wer gibt der Kirche überhaupt das Recht, Homosexuelle zu mitleidsbedürftigen Menschen zu erklären?

Viele Fragen innerhalb und außerhalb der Kirche

Diese Fragen werden nicht nur außerhalb der Kirche gestellt, sondern auch innerhalb. Und sie werden anders beantwortet, als der Katechismus es vorgibt. Das musste die Deutsche Bischofskonferenz feststellen, als sie die Rückläufe auf den Fragebogen auswertete, den Papst Franziskus zur Vorbereitung auf die Familiensynode angeregt hatte.

Ein homosexuelles Paar in seiner Wohnung
Bild: ©picture alliance / dpa

Simon Linder fragt sich, wie das Verhältnis der katholischen Kirche zum Thema Homosexualität endlich entkrampft werden kann.

In der Zusammenfassung der Antworten schreibt die Bischofskonferenz: "Die [homosexuellen] Getauften erleben ihre Situation nicht als eine irreguläre." Damit stehen Schwule und Lesben in der Kirche nicht allein - auch das zeigt ein Zitat aus der Zusammenfassung der Antworten auf den Fragebogen: "Die kirchliche Weigerung, homosexuelle Lebenspartnerschaften gesellschaftlich und rechtlich anzuerkennen, wird darüber hinaus als Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verstanden."

Es sind gläubige Katholikinnen und Katholiken, die diese Fragen beantwortet haben - also Menschen, denen die Kirche sehr wichtig ist. Sie werden noch konkreter: "Nicht wenige halten es ... für sinnvoll und positiv, auch gleichgeschlechtlichen Paaren einen Ritus der Segnung anzubieten."

Das ZdK, Bischof Oster und ein Skandal

Dieselbe Forderung erhob auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Die Mitglieder des ZdK sprachen sich bei ihrer letzten Vollversammlung einstimmig für ein Papier aus, in dem eine "vorbehaltlose Akzeptanz des Zusammenlebens in festen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und eine klare Positionierung gegen noch bestehende Ausgrenzungen und Abwertungen homosexueller Menschen" gefordert wird. Zwischen Lehre und Lebenswelt sollten auch durch die Ermöglichung von Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Brücken gebaut werden, erklärte das ZdK.

Themenseite: Familiensynode

Vom 4. bis 25. Oktober 2015 trifft die XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema "Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" in Rom zusammen. Die Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zur Synode.

Für diese Forderung hatte der Passauer Bischof Stefan Oster das ZdK harsch kritisiert. Allerdings: Das Organ der Basis hat nur eine Forderung der Basis wiederholt - ein Skandal, dass dies für einen Bischof ein Skandal ist.

Außerdem: Nicht nur die Katholikinnen und Katholiken aus Deutschland denken so über Homosexuelle, nicht nur sie fordern mehr Rechte für Schwule und Lesben in Kirche und Gesellschaft. Dies zeigt das Votum des katholisch geprägten Irlands für die "Ehe für alle". Jedoch kam das Ergebnis in Rom nicht gut an. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nannte es eine "Niederlage für die Menschheit". Nicht nur außerhalb der Kirche schüttelte man über diese Aussage den Kopf.

In den Wochen nach dem irischen "Yes" brandete auch hierzulande die Diskussion über die "Ehe für alle" wieder auf. Von den Gegnern war vor allem zu hören: Aber homosexuelle Paare können doch keine Kinder kriegen! Fakt ist: Früher waren eigene Kinder für die Versorgung im Alter unabdingbar. Heute gibt es in Deutschland ein Rentensystem, das Kinderlose im Alter nicht im Stich lässt. Partnerschaft und Ehe müssen sich also nicht mehr über Kinder definieren lassen. Das ist gut und wichtig vor allem für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - keine Kinder bekommen können. Bedeutet: Nur die Liebe zählt. Geht es entkrampfender?

Bild: ©picture alliance/dpa

Es ist illusorisch, zu glauben, dass Liberale und Konservative sich während eines dreiwöchigen Treffens auf eine neue Linie der Weltkirche zur Homosexualität einigen, meint Simon Linder.

Am Vorabend der Bischofssynode warnen viele vor einer Spaltung der Kirche. Was die Menschen mit sorgenvoller Miene meist nicht sehen: Die Spaltung in der katholischen Kirche ist schon real. Die oft beschworene Einheit ist längst eine Illusion. Ein Großteil der deutschen Katholikinnen und Katholiken hält sich nicht mehr an Regeln, die das Lehramt vorgibt. Und sie tun das bewusst, sie können ihre Ablehnung gegenüber den kirchlichen Bestimmungen begründen. Ihre Probleme mit den Verlautbarungen des Lehramts als deutsche "Sonderprobleme" abzutun hilft nicht weiter. Das Subsidiaritätsprinzip, das die Kirche entwickelt und lange erfolgreich angewandt hat, würde ihr gerade heute gut stehen. "Global denken, lokal handeln" - nur so kann Entkrampfung beginnen.

Ändert die Weltkirche ihre Meinung?

Ein Großteil der Basis in Deutschland wünscht sich, dass die Weltkirche ihre Meinung zur Homosexualität ändert. Ist dies realistisch? Erzkonservative Kardinäle werden von ihren Anhängern für markante Aussagen gefeiert. Die Ablehnung von gelebter Homosexualität gilt in diesen Kreisen als Ausweis dafür, gut katholisch zu sein. So schön es aus der Perspektive der Mehrheit der deutschen Katholikinnen und Katholiken wäre: Es ist illusorisch, zu glauben, dass Liberale und Konservative sich während eines dreiwöchigen Treffens auf eine neue Linie der Weltkirche zur Homosexualität einigen. Dass der Papst nach der Synode grundlegende Reformen vornimmt, erscheint unwahrscheinlich.

Die Hardliner unter den Bischöfen und Kardinälen betonen immer und immer wieder die scheinbar eindeutigen Aussagen der Bibel, die althergebrachte Tradition und die Autorität des Lehramts. So werden Menschen aber schlichtweg nicht mehr erreicht. Konservative erklären dann, dass die Kirche sich nicht "dem Zeitgeist unterwerfen" und "den Menschen nach dem Mund reden" dürfe.

Von ihnen ignoriert werden Argumente wie die von Thomas Hieke. Der Mainzer Alttestamentler erklärt im neuen Sammelband des Mainzer Moraltheologen Stephan Goertz, dass homosexuelles Verhalten vor knapp 2.000 Jahren verpönt war, weil es zeigte, dass man lieber der eigenen Lust frönte, als dem oftmals kleinen und bedrohten Volk mit Nachkommen das Überleben zu sichern. Die Bibel verurteile nicht die Liebe zwischen Homosexuellen - diese kannte man zu jener Zeit gar nicht -, sondern aus gesellschaftlichen Gründen den einfachen Akt an sich. Wer die Bibel auslegen will, muss die Zusammenhänge kennen und bedenken, in denen die Texte entstanden. Wer das nicht tut, wird der Heiligen Schrift nicht gerecht.

Eigentlich ist es doch ganz einfach...

Es kommt hinzu, dass die Kirche nicht in der Lage ist, ihre Position verständlich zu begründen. Die Deutsche Bischofskonferenz stellt in der Zusammenfassung der Antworten auf den Fragebogen fest: "Grundsätzlich gilt für gesamtkirchliche Verlautbarungen, dass ihr sprachlicher Duktus und ihr autoritativer Ansatz nicht dazu angetan sind, das Verständnis und die Akzeptanz der Gläubigen zu wecken und zu finden." Übersetzt heißt das: Wer versucht, mit seinem heiligen Buch oder einer rational nicht begründbaren Tradition über das Leben anderer zu bestimmen, trägt nicht zu einer Entkrampfung bei.

Eigentlich ist es doch ganz einfach: Niemand reduziert heterosexuelle Paare darauf, dass sie Kinder zeugen können. Warum sollten dann homosexuelle Paare darauf reduziert werden, dass sie keine Kinder zeugen können? Es geht um Liebe, es geht um Werte wie Treue und Verlässlichkeit. Wenn mündige Menschen sich lieben - wer sind wir, über sie zu urteilen? Verboten werden darf nur, was anderen schadet. Gelebte Homosexualität gehört nicht dazu. Diskriminierung schon.

Von Simon Linder