Standpunkt

Ein Mahnmal ohne ehrliche Aufarbeitung ist nur Dekoration

Veröffentlicht am 26.08.2025 um 00:01 Uhr – Von Schwester Gabriela Zinkl – Lesedauer: 

Bonn ‐ Blutbuchen als Mahnmale gegen sexuellen Missbrauch lassen Schwester Maria Gabriela Zinkl an Gedächtnisbäume aus Walter Moers' Zamonien denken. Die Bäume können Einfluss haben, aber für echte Missbrauchsaufarbeitung braucht es mehr, wie sie kommentiert.

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In Zamonien, der Heimat von Käpt'n Blaubär, sind Bäume keine Dekoration. Sie sind unbequeme, mahnende Zeitgenossen, also so etwas wie Propheten. Es gibt Bäume, die in ihren Baumringen die Wahrheit konservieren; andere neigen ihre Äste nur zu denen, die ihnen zuhören. Es gibt Gedächtnisbäume, die unter der Last der Geschichten der Vergangenheit stöhnen. Die Bäume in Zamonien sprechen und mahnen. Wer ihnen zuhört, kann an ihrer Wahrheit nicht mehr vorbeischauen.

So könnte man die jüngste Initiative des Erzbistums Köln verstehen, die nach einer Idee des Bistums Münster Gemeinden und Einrichtungen dazu aufruft, Blutbuchen als Mahnmale gegen sexuellen Missbrauch zu pflanzen. Blut- oder Purpurbuchen sind eindrucksvolle Bäume. Tiefrot, standhaft, lebendig, mit ausladender Baumkrone und sich neigenden Ästen. Auf den ersten Blick ist das ein starkes Symbol, auf den zweiten Blick ein Test: Reicht es, einen Baum zu pflanzen, während Schweigen, Vertuschung und schützende Strukturen weiter bestehen? – Erinnerung darf nicht im Grünen enden, macht die Begleitbroschüre aufmerksam. Eine Blutbuche ohne ehrliche Aufarbeitung verkommt zur Dekoration, sie wird zum Feigenblatt. Doch gibt es auch noch eine andere Seite: Was von den einen als zu harmlos kritisiert wird, ist anderen zu provokativ. Wie die jüngste Schändung einer Gedenktafel in Xanten und andere Vorfälle in Kirchen gezeigt haben, ist es manchen Zeitgenossen sehr unbequem, die Wahrheit dieser Texte zu ertragen.

Erinnerung, die niemanden stört, ist keine Erinnerung. Die Angreifbarkeit und Verletzlichkeit der Mahnmale zeigt ihre Macht: Sie sind Stimme, Urteil und Mahnung zugleich. Als Diözese, Kirchengemeinde, Ordensgemeinschaft oder kirchliche Einrichtung stehen wir in der Pflicht, nicht vor irgendeinem Gesetz oder Richter, sondern vor dem Evangelium Jesu Christi gestern heute und in Ewigkeit: Betroffene müssen ernstgenommen, Strukturen hinterfragt und verändert werden. Mögen die Blutbuchen wie die Bäume Zamoniens sein: unbestechlich, unbequem, unvergesslich. Auf dass sie uns und alle mahnen, flüsternd oder schreiend: Wie verhindern wir, dass Missbrauch stattfindet?

Von Schwester Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen, promovierte Theologin (Kirchenrecht) und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.