Familie Amani: Ohne Kirchenasyl wären wir nicht mehr in Deutschland
"Mit meiner Frau, meinen beiden Söhnen und meiner Tochter wohne ich hier in Maisach", Obaidulla Amani fängt an zu erzählen. Mit ruhiger Stimme schildert er die Stationen, die ihn quer durch Asien und Europa führten. Beim Wort Maisach klingt bei dem gebürtigen Afghanen ein leichter bayerischer Akzent durch. Ende 2013 kommt er mit seiner Familie nach Deutschland. Heute arbeitet er als Intensivkrankenpfleger und ist stolz auf das Leben, das er sich aufgebaut hat. Dabei sieht das europäische Recht eigentlich nicht vor, dass er hier sein Zuhause findet. Dass er und seine Familie noch hier sind, verdankt er auch der Kirche.
Amani und seine Frau Rabia werden in den 1990ern in Kabul geboren. Bürgerkriege und die Taliban – das kennen die beiden. Dennoch fängt Amani an zu studieren und auch seine Frau will an die Universität. Das Paar heiratet und bekommt eine Tochter. 2013 entscheiden sie, dass sie Afghanistan verlassen müssen. Per Schleuser geht es über Russland und die Ukraine in die Slowakei. Dort wird die dreiköpfige Familie festgenommen und in ein Flüchtlingscamp gebracht. "Keine ausreichende medizinische Versorgung, schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt", erinnert sich Amani. Dort möchte er mit seiner Familie keinen Asylantrag stellen.
Sie schaffen es, das Land zu verlassen und gelangen über Österreich mit dem Zug nach Deutschland. In Deutschland trennt die Polizei die Familie: Amani kommt ins Gefängnis, Frau und Tochter in ein Heim. Für einen Monat haben sie keinen Kontakt zueinander. "Unser physischer und psychischer Zustand war wirklich schlecht", erzählt er. Die lange Reise steckt in den Knochen. Nach dem Dublin-Verfahren der EU müssten sie wieder in die Slowakei, weil die Familie sich dort zuerst als Geflüchtete innerhalb der EU registriert hat. "Doch, Gott sei Dank, kam dann Dieter", erzählt Amani.
Was das Kirchasyl ist, wusste er gar nicht
Dieter Müller ist Jesuit und engagiert sich beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst. Als er das erste Mal auf Amani trifft, dreht er wieder seine Runde durch die Gefängnisse der Umgebung und sucht nach Geflüchteten, die Rechtsbeistand benötigen. Über ihn wird Amani eine Anwältin vermittelt, die sich mit seinem Fall beschäftigt. Schnell wird klar: Der einzige Weg, wie Amani und seine Familie in Deutschland bleiben kann, ist Kirchenasyl. "Ich wusste gar nicht, was das ist", sagt Amani. Es wird ihm erklärt: Wenn er nicht in die Slowakei abgeschoben werden möchte, bleibt ihm nur diese Möglichkeit. Sechs Monate muss er mit seiner Familie in einer Kirche bleiben. Danach übernimmt Deutschland den Asylantrag, da die Übergangsfrist für die Überführung in die Slowakei überschritten ist. Das klingt für ihn erstmal gut.
Doch ein Kirchenasyl ist für alle beteiligten Personen eine Herausforderung. Für die Asylsuchenden heißt das, bis zu sechs Monate in der Kirche zu bleiben und somit in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt zu sein. Für die Gemeinden bedeutet es aber auch, die Familien zu verpflegen, ihnen Schlaf- und Waschräume zu Verfügung zu stellen und im besten Falle die Geflüchteten auch seelisch zu begleiten. Sie müssen entscheiden, wie viele Menschen sie für welchen Zeitraum aufnehmen können und in welchen Fällen es sich überhaupt lohnt.
Amani erinnert sich noch an seine erste Nacht in der Kirche. Dort, wo normalerweise Gemeindeveranstaltungen stattfinden, stehen improvisierte Betten. Es gibt eine Toilette und eine kleine Küche. Ein paar Gemeindemitglieder haben Essen für die Familie eingekauft. Durch seinen Kopf schwirrt die Frage, wie es wohl weitergeht. Nach zwei Festnahmen fürchtet er, erneut von der Polizei entdeckt zu werden. Jesuit Müller und seine Rechtsanwältin versuchen, ihn zu beruhigen: Solange er die Kirche nicht verlässt, wird ihn kein Polizist mitnehmen. "Ich hatte große Angst vor einer Abschiebung in die Slowakei", sagt er.
„Wenn man auf so nette Leute trifft, dann hat man auch Lust, hier zu bleiben und Teil der Gesellschaft zu sein“
Aber es gibt da etwas, das ihn beruhigt und das Kirchenasyl von Zeit zu Zeit angenehmer macht. "Da waren so viele Nachbarn, die uns geholfen haben", erzählt Amani. Sie bekommen einen Fernseher, Zugang zum Internet und vor allem sind da Menschen, die sich für sie interessieren. In der Gemeinde spricht sich schnell herum, dass dort eine Familie im Kirchenasyl lebt. Nach den Gottesdiensten wollen sie wissen, wie es der Familie geht. Einige helfen beim Deutschlernen. Die Tochter kann ab und zu in den Kindergarten oder den Spielplatz besuchen. So vergeht Woche für Woche, Monat für Monat.
Nach fast einem halben Jahr hat es die Familie dann geschafft. Ihre Anwältin verkündet die Nachricht, dass sie vorerst in Deutschland bleiben dürfen – eine riesige Erleichterung für die Familie und alle, die sie beim Kirchenasyl unterstützt haben. "Wir haben endlich wieder richtig Luft bekommen", beschreibt Amani diesen Moment. "Wir haben uns so frei gefühlt."
Die nächste Station ist für die Familie eine Flüchtlingsunterkunft. Er und seine Frau können einen Deutschkurs besuchen und beginnen langsam, ihr Leben in Deutschland zu planen. Mit seiner befristeten Duldung fällt es Amani anfangs schwer, einen Arbeitgeber zu finden. Doch auch hier unterstützen Bekannte aus dem Kirchenasyl die Familie bei der Job- und Wohnungssuche. "Wenn man auf so nette Leute trifft, dann hat man auch Lust, hier zu bleiben und Teil der Gesellschaft zu sein", sagt Amani. Sein Deutsch wird besser und er findet einen ersten Job bei einem großen Möbelhaus.
Obaidullah Amani ist stolz auf das Leben, was er sich hier in Deutschland aufgebaut hat.
2022 wagt Obaidullah Amani einen beruflichen Neustart und macht eine Ausbildung zum Pflegefachmann. Mittlerweile arbeitet er in der außerklinischen Intensivpflege. Er und seine Frau bekommen noch zwei weitere Kinder. Heute besuchen zwei das Gymnasium, der jüngste geht bald in die Kita. "Für meine Kinder ist Deutschland ihre Heimat", so Amani. Und auch er hat hier sein Zuhause gefunden. "Ich bin jetzt elf Jahre in Deutschland. Wenn ich sehe, was heute in Afghanistan vorgeht, dann ist mir so manches fremd geworden." Auch wenn seine Familie und Freunde weiterhin dort wohnen, ist es für ihn keine Option, zurückzuziehen.
Das Kirchenasyl von Familie Amani war eines der ersten in Bayern und auch das erste, das Jesuit Dieter Müller begleitet hat. "Für mich war das ein Ansporn, mich weiter für Flüchtlinge im Kirchenasyl zu engagieren", so Müller. Die Willkommenskultur mit den Millionen von Ehrenamtlichen, die sich 2015 für Geflüchtete einsetzen, motivieren ihn. Heute bemerkt er eine andere Stimmung, wenn es um den Einsatz für Geflüchtete geht. Viele Ehrenamtlichen seien frustriert. "Man weiß nicht, wie viel es überhaupt bringt, sich für die Flüchtlinge einzusetzen, wenn Abschiebungen so prominent sind", so Müller. Ihm ist es bewusst, dass nicht jeder in Deutschland bleiben kann. "Aber ich will kein Ungarn, ich will kein Trump-Amerika hier in Deutschland". Er kritisiert scharf die Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Außengrenzen und auch die Zurückführungen nach dem Dublin-Verfahren in Länder wie Bulgarien. Das Kirchenasyl gibt ihm und anderen Engagierten zumindest die Möglichkeit in einigen Einzelfällen, Geflüchteten zu helfen und ihnen ein besseres Leben hier in Deutschland zu ermöglichen.
Amani und seine Familie wären ohne das Kirchenasyl sicher nicht mehr in Deutschland. Was dann wäre, kann Amani nicht sagen. Er ist dankbar für die Möglichkeiten, die ihm der deutsche Staat, aber auch die Kirche gegeben hat. "Das war nicht einfach nur Kirchasyl, was wir bekommen haben, sondern da waren so viele Menschen, die uns einfach geholfen haben", so Amani. Und dafür ist er unendlich dankbar.
