Kein Misstrauen Roms gegen Synodalen Weg unter Papst Leo

Spadaro über Franziskus und Leo: Faden zwischen beiden reißt nicht

Veröffentlicht am 17.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Rom/Bonn ‐ Jesuit Antonio Spadaro galt als enger Vertrauter von Franziskus und ist heute Untersekretär in Vatikans Dikasterium für Kultur und Bildung. Im katholisch.de-Interview spricht er über den Übergang von Franziskus zu Leo, über Unterschiede, Kontinuität – und den deutschen Synodalen Weg.

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"Leo führt den Weg von Franziskus fort, aber mit eigener Stimme." Das sagt der italienische Jesuit Antonio Spadaro, der als enger Vertrauter des am Ostermontag verstorbenen Papstes Franziskus galt. Heute ist der medienaffine Priester Untersekretär im vatikanischen Dikasterium für Kultur und Bildung; zuvor leitete er viele Jahre die traditionsreiche Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica. Jüngst ist sein Buch "Da Francesco a Leone” (Von Franziskus zu Leo) erschienen – mit einem ausführlichen Interview, in dem Leo noch als Kardinal Prevost über seine Vision der Kirche und seine Beziehung zu Franziskus spricht. Wie Spadaro den Übergang von Franziskus zu Leo erlebt, welche Kontinuität er sieht und wie er auf den deutschen Synodalen Weg blickt – darüber spricht der Jesuit im Interview mit katholisch.de. 

Frage: Herr Spadaro, wie würden Sie den Übergang von Franziskus zu Leo beschreiben? 

Spadaro: Der Übergang von Franziskus zu Leo XIV. war vor allem eine spirituelle Staffelübergabe. Wenn zwischen Benedikt XVI. und Franziskus der Berührungspunkt die Herausforderung der "raschen Veränderungen" war, so ist zwischen Franziskus und Leo das Schlüsselwort die Unruhe. Bergoglio hatte sie als die "gesunde Unruhe, die einzige, die Frieden gibt" bezeichnet und sie gerade den Augustinern empfohlen, als Prevost deren General war. Leo XIV. hat diese Übergabe angenommen: Seine erste Predigt als Papst begann genau mit diesem Wort. Sein Amt entspringt dem unruhigen Herzen des Augustinus, das "keine Ruhe findet, bis es in Gott ruht".  

Frage: Also kein Bruch? 

Spadaro: Der Übergang ist weniger ein Bruch als vielmehr ein Kontinuum spiritueller Sensibilität: vom franziskanischen Überströmen zum unruhigen augustinischen Herzen – beide gestellt vor eine Welt, die zerfällt. 

Frage: Welche stilistischen Unterschiede zwischen Franziskus und Leo erscheinen Ihnen am bedeutsamsten? 

Spadaro: Die Unterschiede zeigen sich im Ton und im biografischen Kontext. Franziskus war ein Jesuit, mit ausgeprägtem ignatianischem Gespür für Unterscheidung und einer Auffassung von Leitung als geistliche Übung. Leo hingegen ist Augustiner: Seine Prägung ist die missionarische Innerlichkeit, fähig, Unruhe und Liebe zu verbinden. Franziskus rüttelte am Boot, löste Beben aus, zwang die Kirche, aus sich selbst herauszugehen; Leo erscheint geschmeidiger, sanfter. Franziskus sprach mit starken Gesten und radikalen Bildern; Leo bevorzugt einen entwaffneten und entwaffnenden Stil, fern jeder muskulösen Kommunikation. Seine doppelte Herkunft – US-amerikanisch und peruanisch – hat ihn sensibel gemacht für das Gift der Polarisierungen, und sein Stil ist mehr der des geduldigen Zuhörens als der des unmittelbaren Schocks. 

Papst Franziskus im Gespräch mit dem Jesuitenpater Antonio Spadaro.
Bild: ©KNA

Jesuit Antonio Spadaro war ein enger Vertrauter des am Ostermontag verstorbenen Papst Franziskus.

Frage: Geht Leo damit den Weg von Franziskus weiter? 

Spadaro: Ja, Leo führt den Weg von Franziskus fort, aber mit eigener Stimme. Der Faden zwischen beiden reißt nicht. Franziskus hat eine Methode hinterlassen, keine Rezepte; Leo nimmt sie auf und führt sie mit seiner augustinischen Verwurzelung weiter, indem er betont, dass wahre Autorität aus Liebe und Teilhabe erwächst. Wenn Leo XIV. von einer "extrovertierten Kirche" spricht, meint er etwas Ähnliches wie die "aufgeschlossene Kirche" von Franziskus.  

Frage: Das heißt? 

Spadaro: Eine extrovertierte Kirche ist nicht nur eine Gemeinschaft, die der Welt entgegengeht: Sie ist eine Gemeinschaft, die nichts für sich behält, die die Wahrheit nicht als Besitz hütet, sondern sie als Geschenk weitergibt. Es ist eine Kirche, die nicht in identitärer Verteidigung oder Selbstinszenierung lebt, sondern in Offenheit. Das bedeutet, dass die Kirche sich nicht einigelt, um sich zu schützen, sondern sich von der Wirklichkeit verwunden lässt, um sie im Geiste des Evangeliums zu gestalten. 

Frage: Welche Folgen hat das konkret? 

Spadaro: Das hat weitreichende Auswirkungen: pastoral, weil Einheit nicht durch Uniformität entsteht, sondern durch Zuhören und Dialog; und geopolitisch, weil Diplomatie kein Machtausüben ist, sondern Zeugnis von Nähe und globaler Verantwortung. In diesem Sinn nimmt Leo das Feuer von Franziskus auf und trägt es weiter, wenn auch in anderer Gestalt. 

Kardinal Robert Francis Prevost an den Tischen in der Synodalaula
Bild: ©synod/Langarica

Saß mit an den runden Tischen der Synodalaula: der damalige Kardinal Robert Francis Prevost – heute Papst Leo XIV. Spadaro zur Weltsynode: "Leo schlägt Entscheidungen vor, die aus Austausch und Konsens hervorgehen, nicht aus Kräfteverhältnissen, Macht…"

Frage: Wie wird die Synodalität auf weltweiter Ebene weitergehen? 

Spadaro: Leo XIV. hat bereits klargestellt, dass Synodalität keine Organisationsmethode ist, sondern eine Form der Liebe. Sie bedeutet, gemeinsam unterwegs zu sein, einander zuzuhören auch in den Unterschieden. Seine internationale Erfahrung – USA, Peru, Römische Kurie – macht ihn sehr bewusst, dass das, was in einer Kirche zählt, nicht in einer anderen ebenso gilt. Er hat es ausdrücklich gesagt: Was in der Kirche der Vereinigten Staaten wichtig sein könnte, ist in Südkorea vielleicht überhaupt nicht relevant. Darum wird die weltweite Synodalität keine Uniformität sein, sondern das Zusammenleben der Verschiedenheiten, die Geduld der Liebe, ein unruhiges Zusammenleben. Es ist eine Vision, die sich mit dem Ökumenismus und sogar mit der Geopolitik verschränkt: Leo schlägt Entscheidungen vor, die aus Austausch und Konsens hervorgehen, nicht aus Kräfteverhältnissen, Macht… 

Frage: Sie haben bereits von "Unruhe" gesprochen. In Ihrem Buch "Da Francesco a Leone" (Von Franziskus bis Leo) nennen Sie sie einen roten Faden. Was heißt das genau? 

Spadaro: Die Unruhe ist das Bewusstsein, dass das menschliche Herz nie Ruhe findet, außer in Gott: eine evangelische Spannung, die sich nicht zufriedengibt, die die Kirche drängt, nicht von den Erträgen der Vergangenheit zu leben, sondern sich auf den Weg zu machen. Franziskus hat sie Leo als Vermächtnis übergeben. Und Leo hat sie sofort zu seiner gemacht, indem er sie in seiner ersten Predigt aussprach und betonte, dass wahre Einheit die Unterschiede nicht aufhebt, sondern aufnimmt. Selbst seine Gesten – wie die Begegnung mit Pater James Martin und die Ermutigung, weiterzumachen – spiegeln diese inklusive und pastorale Unruhe wider. 

Frage: In Deutschland gibt es den Synodalen Weg. Kardinal Prevost hat an den Treffen mit den deutschen Vertretern teilgenommen. Wie wird Rom unter Leo XIV. darauf blicken? 

Spadaro: Die deutsche Erfahrung hat Prevost schon als Bischofspräfekt aus nächster Nähe verfolgt. Seine Sicht ist klar: Spannungen, auch starke, müssen als Zeichen der Katholizität angenommen werden. Es geht nicht darum, die Unterschiede zu glätten, sondern sie mit offenem Herzen anzuhören, denn "Synodalität ist die Form der Liebe". Er wird nicht die Logik der Kontrolle oder der Angst anwenden, sondern versuchen, Polarisierungen in Dialog zu verwandeln – im weiteren Horizont der Weltkirche. Wie er selbst sagte: "Das Volk Gottes ist zahlreicher, als wir sehen. Definieren wir seine Grenzen nicht."  

Frage: Was bedeutet das für die Kirche in Deutschland? 

Spadaro: In diesem Sinn wird Rom unter Leo auf den deutschen Synodalen Weg nicht mit vorurteilsbehaftetem Misstrauen blicken, sondern als Teil eines umfassenderen kirchlichen Prozesses, der mit Geduld und Unterscheidung zusammengehalten werden muss. 

Von Mario Trifunovic

Buchtipp

Antonio Spadaro: Da Francesco a Leone, 136 Seiten, Juli 2025. ISBN: 9788810160763. Im Italienischen verfügbar.