Reihe: So bunt ist die Kirche in Deutschland

Ein Stück Heimat im Glauben: Die afrikanische Gemeinde in Bielefeld

Veröffentlicht am 19.10.2025 um 15:00 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 
Ein Stück Heimat im Glauben: Die afrikanische Gemeinde in Bielefeld
Bild: © privat

Bielefeld ‐ In der Bielefelder Christkönig-Kirche feiern afrikanische Katholiken jeden Sonntag ihren Glauben mit Trommeln, Gesang und großer Lebensfreude. Doch die Afrikaner-Seelsorge bietet weit mehr als Liturgie: Sie ist auch Anlaufstelle bei Integration, Alltagssorgen – und Brücke zur deutschen Kirche.

  • Teilen:

Wer sonntags die Kirche Christkönig im Nordwesten Bielefelds besucht, hat die Chance, sich innerhalb weniger Stunden auf eine liturgische Weltreise zu begeben und die Vielfalt der katholischen Weltkirche hautnah mitzuerleben. Denn sonntags findet in dem Gotteshaus im Stadtteil Gellershagen nicht nur die Heilige Messe der örtlichen Pfarrei statt, sondern auch die Heilige Messe der afrikanischen Gemeinschaft – und die unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von einem klassischen deutschen Sonntagsgottesdienst.

Das zeigt sich unter anderem an der Musik: Statt der Kirchenorgel sorgen Trommeln und andere Instrumente für die musikalische Begleitung der Messe, statt dem eher zögerlichen und leisen Gesang einiger weniger Gläubiger singen alle Gottesdienstbesucher fröhlich und lautstark mit. "Afrikanerinnen und Afrikaner sind fröhliche Menschen – und so feiern sie auch ihren Glauben. Alle machen mit, die Atmosphäre ist energiegeladen und die Ausstrahlung ist himmlisch", erzählt Vikar Victor Anoka im Gespräch mit katholisch.de. Der aus Nigeria stammende Priester lebt seit 2006 in Deutschland, ist im Erzbistum Paderborn für die Seelsorge für afrikanische Gläubige zuständig und leitet meist die Gottesdienste in Bielefeld.

Gottesdienste in Bielefeld, Dortmund und Paderborn

Die dortige afrikanische Gemeinde wurde an Pfingsten 2011 gegründet und ist heute der Hauptort für die Afrikaner-Seelsorge in der Erzdiözese; zwei weitere Gottesdienstorte befinden sich in Dortmund und Paderborn. In Bielefeld zählt die afrikanische Gemeinde laut Anoka derzeit rund 120 Mitglieder, in Dortmund etwa 60 und in Paderborn rund 80. Die Zahlen schwankten allerdings, weil unter den Gläubigen viele junge Menschen seien, die zum Beispiel nur ein paar Jahre für ein Studium in Deutschland lebten und anschließend weiterzögen. Hauptherkunftsländer der Gemeindemitglieder sind nach Angaben des Priesters Kamerun, Kenia, Nigeria, Simbabwe, Südafrika und Tansania. Die Gottesdienste der Gemeinde werden meist auf Englisch abgehalten, allerdings würden auch andere Sprachen wie Französisch, Ibo und andere afrikanische Sprachen in die Lesungen und Gesänge eingebunden.

„Es ist für einen Afrikaner unvorstellbar, ohne den Glauben zu leben. Der Glaube hilft uns, den Alltag mit all seinen Problemen zu meistern.“

—  Zitat: Vikar Victor Anoka

Anoka beschreibt, wie wichtig der Glaube für seine Gemeindemitglieder ist – nicht nur am Sonntag, sondern im Alltag: "Es ist für einen Afrikaner unvorstellbar, ohne den Glauben zu leben. Der Glaube hilft uns, den Alltag mit all seinen Problemen zu meistern. Wenn wir Gottesdienst feiern, lassen wir alle Sorgen und Ängste zurück. Dann zählt nur das Lob Gottes." Gerade in Zeiten, in denen Nachrichten von Kriegen, Naturkatastrophen oder Herausforderungen im Alltag das Vertrauen erschütterten, sei die afrikanische Spiritualität ein Zeichen der Hoffnung: "Mitten in allen Unsicherheiten hören wir die Stimme Gottes: 'Steht auf!' Auf diese Stimme zu hören, darin liegt unsere Hoffnung für die Zukunft, dass Gott uns niemals in Stich lassen wird. Egal wie schlimm die Dinge aussehen, Gott wird immer bei uns sein, um uns zu trösten und uns zu ermutigen, nicht aufzugeben."

Doch die Afrikaner-Seelsorge will ihren Gläubigen mehr bieten als nur eine liturgische Heimat, denn, so Anoka, "die Herausforderungen für afrikanische Migranten in Deutschland gehen weit über den Glauben hinaus". Afrikanerinnen und Afrikaner stünden im Alltag vor vielen praktischen Herausforderungen. Beispielhaft nennt der Seelsorger Integrations- und Sprachprobleme, die oftmals schwierige Suche nach einer Arbeit oder einer Wohnung sowie – leider auch – Rassismuserfahrungen. "Die Afrikaner-Seelsorge ist deshalb auch eine Anlaufstelle für Fragen und Zweifel. Wir helfen bei Behördenkontakten, beim Alltag, bei Konflikten", sagt Anoka. Es gehe darum, Potenziale zu entfalten, Selbstbewusstsein zu stärken und Talente sichtbar zu machen. So trage die Afrikaner-Seelsorge dazu bei, dass Migrantinnen und Migranten ihren Platz in der Kirche und Gesellschaft Deutschlands fänden.

Dazu beitragen soll auch der Kontakt zu deutschen Gläubigen und den Pfarreien vor Ort. "Die Afrikaner-Seelsorge ist nicht dazu da, um Ghettos zu bilden", stellt Anoka klar. Die Gottesdienste der afrikanischen Gemeinschaft sollen den Gläubigen zwar ein Stück Heimat in der Fremde ermöglichen – man ermutige die Gläubigen aber auch, an Angeboten der deutschen Gemeinden teilzunehmen. "Wir unterstützen das, indem wir unseren Gemeindemitgliedern die deutsche Sprache und Kultur näherbringen und sie dazu aufrufen, sich mit ihren Talenten in die örtlichen deutschen Pfarrgemeinden einzubringen", sagt der Priester.

Bild: ©privat

Vikar Victor Anoka.

Außerdem feiern die afrikanischen Gläubigen laut Anoka immer wieder auch mit den örtlichen Gemeinden zusammen Gottesdienste – etwa an Hochfesten wie Fronleichnam. Und auch die Erstkommunion- oder Firmvorbereitung finde teilweise gemeinsam statt. "Dies fördert den Austausch und ermöglicht engere Kontakte." Manchmal prallten bei den Begegnungen zwar zwei Welten aufeinander – bei allen Unterschieden seien die grundlegenden Werte der Katholiken und die Liturgie aber überall auf der Welt gleich. "Es gibt so viel mehr, was uns verbindet, als was uns trennt. Wir verstehen uns, wenn wir als Deutsche und Afrikaner die Liturgie gemeinsam feiern."

"Wir sind ein Teil der Kirche in Deutschland"

Trotzdem sieht Anoka auch Schattenseiten. Neben den Rassismuserfahrungen, die auch er selbst schon machen musste, beklagt er eine teilweise mangelnde Wahrnehmung der afrikanischen Gläubigen und ihrer Gemeinschaft. "Es gibt Situationen und Anlässe, die einem das Gefühl geben, wirklich zur Kirche in Deutschland zu gehören. Es gibt aber auch Auseinandersetzungen und Begegnungen, bei denen man sich nicht wahrgenommen und mitgedacht fühlt", sagt er, ohne näher ins Detail zu gehen. Nur so viel: "Manchmal entsteht das Gefühl, dass man nicht wirklich gewollt und die geleistete seelsorgliche Arbeit nicht von Bedeutung ist."

Für die Zukunft wünscht sich Anoka deshalb eine stärkere Wahrnehmung und Anerkennung des Beitrags afrikanischer Katholiken zur Glaubensentwicklung in Deutschland. "Wir sind ein Teil der Kirche in Deutschland und verdienen Respekt und Anerkennung. Wir leisten unseren Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung. Wir sind Menschen mit großen Talenten und Potenzialen, die unserer Gesellschaft so viel zu bieten haben." Etwas anderes zu behaupten sei verletzend und inakzeptabel.

Von Steffen Zimmermann