Autor von Passauer Studie: Täter-Fürsorge stand lange im Vordergrund
Der Autor der Passauer Missbrauchsstudie, Marc von Knorring, hat den Umgang der Nachkriegsbischöfe mit Missbrauchsfällen im Bistum kritisiert. "Sie haben lange Zeit den Schutz der Institution Kirche und der Priesterschaft über das Wohl von Betroffenen gestellt", sagte von Knorring in einem Interview der "Mittelbayerischen Zeitung" (Dienstag). "Fürsorge für beschuldigte Priester und die Abschottung aller Beteiligten vor der Öffentlichkeit standen im Vordergrund."
Insbesondere das Bild der bei den Gläubigen beliebten "Volksbischöfe" Antonius Hoffmann (Bischof von 1968-1984) und Franz Xaver Eder (1984-2001) müsse nach der Studie differenzierter ausfallen: "Antonius hat die einschlägigen Akten offenbar bewusst spärlich gehalten beziehungsweise halten lassen und Nachsicht mit Beschuldigten geübt, ihnen Fürsorge angedeihen lassen und allenfalls milde Sanktionen verhängt – und dadurch Übergriffe mit ermöglicht", erklärte der Historiker. "Was die Aktenführung angeht, sind die Indizien bei Franz Xaver viel spärlicher, doch scheint auch er hier eine restriktive Linie gefahren zu haben. Vor allem aber dominierte bei ihm nach wie vor die Fürsorge für Beschuldigte und der besorgte Blick auf den erreichten Grad an 'Öffentlichkeit', der den Unterschied zwischen Milde und Strenge ausmachte." Auch bei ihm sei von den Betroffenen nicht häufig die Rede gewesen.
Reform-Diskussionen werden sich wieder verstärken
Ein Wandel im Denken sei erst ab Mitte der 1990er Jahre erkennbar und habe erst unter Bischof Wilhelm Schraml (2002-2012) Gestalt angenommen, erklärte der Historiker weiter. "Hier ist ein mühsamer Lernprozess festzustellen, der sich gegebenenfalls auf Kosten der Betroffenen vollzog." Den deutlichsten Wandel hin zu "konsequenter Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention" habe es mit dem Aufdecken des Missbrauchsskandals 2010 gegeben. Dieser Wandel sei dann unter Bischof Stefan Oster nachdrücklich fortgeführt worden.
Aus Sicht von Knorrings werde die Studie "ganz sicher dafür sorgen, dass sich die Diskussionen um notwendige Reformen innerhalb der katholischen Kirche wieder verstärken, hoffentlich mit einem Ergebnis, das den Betroffenen zugutekommt und Missbrauch für die Zukunft noch mehr verhindern hilft", so der Historiker.
Die Passauer Missbrauchsstudie war am Montag veröffentlicht worden. Demnach sind seit 1945 mindestens 672 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht oder körperlich von Geistlichen misshandelt worden. Die Untersuchung listet mindestens 154 Beschuldigte oder überführte Täter auf. Der Passauer Bischof Oster zeigte sich in einer Stellungnahme erschüttert von den Ergebnissen: "Nein, wir im Bistum Passau waren und sind in dieser Hinsicht kein besseres Bistum." Im Namen der Kirche von Passau könne er nur um Verzeihung bitten. "Einmal mehr und oft genug auch hilflos, weil ich weiß, dass unsere Versuche der Versöhnung und Wiedergutmachung einigen Menschen nie genügen können angesichts der oft lebenslangen Folgen, die sie tragen." (cbr)
