Warum Vergebung gut tut

Vergeben und vergessen

Veröffentlicht am 07.01.2015 um 00:50 Uhr – Von Margret Nußbaum – Lesedauer: 
Vergebung

Bonn ‐ Sich aussprechen, die eigenen Schwächen und Fehler anschauen, Vergebung erfahren: Das wird uns im Sakrament der Buße geschenkt. Wir versöhnen uns mit uns selbst und mit anderen. Denn wer verzeihen kann, lebt gesünder.

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Die Probanden hatten die Aufgabe, sich an ein Ereignis in der letzten Zeit zu erinnern, das sie wütend gemacht hatte. Dabei wurden unter anderem Blutdruck und Puls gemessen. Das Ergebnis: Probanden, die zur Vergebung bereit waren, hatten einen deutlich niedrigeren Blutdruck als weniger nachsichtige Studienteilnehmer. Die Erklärung: Negative Emotionen wie Ärger, Feindseligkeit und Rachegefühle versetzen den gesamten Organismus in einen kontinuierlichen Erregungszustand. Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die den Körper in ständiger Alarmbereitschaft halten.

Gefühle sprechen eine andere Sprache

Doch nicht nur der Körper, sondern auch die Seele leidet, wenn jemand in seinem Hass und in seiner Wut stecken bleibt. Wem Unrecht getan worden ist, der verspürt – sobald er daran denkt – Wut oder Bitterkeit. Wer sich reflektierend damit auseinandersetzt, erkennt auch den eigenen Anteil an der Verletzung durch andere und bringt vielleicht sogar Verständnis für das Handeln des anderen auf. Dann wird klar, dass dieser andere seine eigene Verletzung auf uns projiziert hat. Aber unsere Gefühle sprechen immer eine andere Sprache als der Verstand. Deshalb ist eine solche nüchterne Rückschau erst mit einer gewissen Distanz möglich. Erst wenn eine Zeit vergangen ist, können wir objektiver beurteilen, was uns so tief verletzt hat.

Oft werden wir in Bereichen getroffen, in denen wir schon früher, vielleicht in der Kindheit, verletzt worden sind. Dann reißt die alte Wunde wieder auf. Wut und Ärger zuzulassen ist in diesem Prozess wichtig. "Wenn das Messer in der Wunde bleibt, wird sie sich niemals schließen. Die Wut ist die Kraft, das Messer der Verletzung aus uns herauszuziehen und den, der uns verletzt hat, aus unserem Herzen zu weisen. Die Versöhnung mit meinen Verletzungen bedeutet dann zugleich, dass ich denen, die mich gekränkt haben, vergebe", schreibt Pater Anselm Grün in seinem Buch "Vergib dir selbst".

Gefaltete Hände
Bild: ©soupstock/Fotolia.com

Im Gespräch mit Gott.

Das Vaterunser ernst nehmen

Im Vaterunser beten wir: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Wir können es mit diesem Gebet, das Jesus uns zu beten gelehrt hat, nur ernst nehmen, wenn wir bereit sind, einander unsere täglichen kleinen und größeren Fehler zu verzeihen. Denn wer Gott um die Gnade der Vergebung bittet, muss seinen Mitmenschen ebenfalls in der Haltung der Vergebung und nicht der Vergeltung begegnen.

Die Bitte des Vaterunsers erinnert uns daran, dass wir Gott nur lieben können, wenn wir auch unseren Nächsten lieben und zur Versöhnung bereit sind. Durch mangelnde Versöhnungsbereitschaft wird die Mauer, deren Bausteine aus Verletzung und Wiedervergeltung bestehen, höher und höher, bis sie schließlich unüberwindbar geworden ist. Pater Anselm Grün hat einmal die Teilnehmer eines Kurses eingeladen, das Wort Jesu am Kreuz zu meditieren: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lukas 23,34). Jeder sollte sich nacheinander drei Personen vorstellen, die ihn einmal verletzt oder gekränkt haben. Er sollte dann zuerst den Schmerz und die Wut über das ihm zugefügte Unrecht zulassen, schließlich das Wort Jesu sagen und sich vorstellen: "Ich vergebe ihm genauso, wie es Jesus am Kreuz getan hat. Denn er wusste ja gar nicht, was er mir angetan hat."

Wie eine Last, die nach unten zieht

Pater Anselm Grün erinnert sich: "Jedem fielen sofort Menschen ein, denen er noch nicht wirklich vergeben hatte. Manche erzählten, die Menschen, mit denen sie immer noch unversöhnt leben würden, denen sie immer noch nicht vergeben hätten, wären wie eine Last, die sie nach unten zieht, wie ein Stein, der sich schwer auf ihre Seele legt. Oft sind sie auf der Flucht, um nicht daran zu denken. Aber das hindert sie daran, innerlich zur Ruhe zu kommen. Wenn sie diese Last nicht in der Vergebung loslassen, dann werden sie davon niedergedrückt. Die Folge können seelische oder körperliche Erkrankungen sein. Wir sind es deshalb uns und unserer Gesundheit schuldig, dass wir uns öfter einmal Zeit nehmen und uns fragen, ob es da noch Menschen gibt, denen wir noch nicht vergeben haben oder denen wir noch nicht vergeben können."

Pater Anselm weiter: "Das Wort Jesu 'Denn sie wissen nicht, was sie tun' kann beim Prozess der Vergebung helfen. Denn ich stelle mir vor, dass sie im Tiefsten nicht wissen, was sie tun. Sie sind so verletzt, dass sie gar nicht anders können, als die Verletzungen weiterzugeben. Sie fühlen sich so schwach und gekränkt, dass sie die eigene Lebendigkeit nur dann spüren, wenn sie andere kränken. Wenn ich mir das vorstelle, dann haben sie keine Macht mehr über mich. Dann werden sie vor meinen Augen zu verletzten Kindern, mit denen ich Mitleid empfinde. Wenn ich zu Gott bete, dass er ihnen vergeben möge, dann entlaste ich mich von dem Zwang, dass ich vergeben muss. Und zugleich wächst mit dem Gebet auch in mir die Bereitschaft zu vergeben. Wenn ich das lange genug bete, spüre ich, dass mein Groll vergeht, dass mein Schmerz heilt und dass ich in Freiheit vergeben kann. Der andere hat keine Macht mehr über mich."

Von Margret Nußbaum