Was hindert, was hilft

Wie Schuld das Leben schwer macht

Veröffentlicht am 07.01.2015 um 00:50 Uhr – Von Margret Nußbaum – Lesedauer: 
Schuldgefühle

Bonn ‐ Ob wir jemanden kränken oder verletzen, es bleibt nicht ohne Wirkung auf unser Leben. Meistens sind die Folge unangenehme Schuldgefühle.

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Wer mag schon seine Schattenseiten wahrnehmen, der eigenen Schuld ins Gesicht schauen? Tief im Inneren möchten wir zu den Guten gehören, uns ein Stück kindlicher Unschuld bewahren. Und darum kämpfen wir mithilfe von Abwehrmechanismen. Wir schieben dann anderen die Schuld zu: "Hätte mein Kollege seine Arbeit korrekt erledigt, wäre die Beschwerde über ihn beim Chef nicht nötig gewesen." Oder: "Hätte die Mutter besser aufgepasst, wäre mir das Kind nicht ins Auto gelaufen." Oder: "Hätte mein Ehepartner die Spülmaschine ausgeräumt, wäre ich nicht so ausgerastet." Allzu leicht sind wir selber missgünstig, unvorsichtig oder aggressiv, wälzen unsere Schuld dann aber gern auf andere und fühlen uns als Opfer der Umstände.

"Was böse ist, wird erlernt"

Schuldig fühlen Menschen sich darüber hinaus, wenn sie gegen die Regeln der Gesellschaft verstoßen. "Was schlecht oder böse ist, wird erlernt und in der jeweiligen Kultur weitergegeben", erklärt Bertold Ulsamer, Jurist, Diplom-Psychologe und Autor des Buches "Schuld verstehen und heilen". "Doch es ist ein großer persönlicher Reifeschritt, das Übernommene mit den Augen und dem Herzen des Erwachsenen zu überprüfen. Jede und jeder muss hier eigene Antworten finden und Entscheidungen treffen. Das erfordert Zivilcourage. Wer hinschaut, was er tut, lässt sich nicht so leicht von außen manipulieren und von Autoritäten instrumentalisieren. Diese Zivilcourage hat aber ihren Preis. Es genügt nicht, an das eigene Gewissen und den eigenen Mut zu appellieren. Das bringt oft nichts. Wer verantwortlich handeln will, braucht Selbsterkenntnis."

Reflexion des eigenen Handelns

Das geht nicht ohne die Reflexion des eigenen Handelns. Nur so kann ich Selbsterkenntnis erlangen und mich auch mit meinen Schattenseiten aussöhnen. Doch das fällt Menschen oft schwer. Sie wollen die Wirklichkeit nicht erkennen, wie sie ist, meiden jede Art von kritischer Selbstbetrachtung, übernehmen erlernte Denkmuster und Klischees. Vor einer solchen Haltung warnt der Benediktinerpater Anselm Grün: "Der Mensch macht sich schuldig, wenn er gleichgültig mitläuft, wenn er aus Trägheit, Denkfaulheit und mangelndem Mut die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändert."

Menschen sind oft hin- und hergerissen zwischen einem mangelnden Bewusstsein für das Schuldigwerden und einem Überhandnehmen der Schuldgefühle. "Wir müssen zwischen realer Schuld und Schuldgefühlen unterscheiden", sagt Pater Anselm Grün. "Viele Schuldgefühle zeigen keine wirkliche Schuld an. Sie sind vielmehr Ausdruck mangelnder Klarheit und mangelnden Selbstvertrauens."

Schuldgefühle auf andere projizieren

Da Schuldgefühle immer unangenehm sind, hat der Mensch Abwehrmechanismen entwickelt: Jemand kann etwas bei sich nicht annehmen und projiziert es auf eine andere Person. Dieser Mensch ist selber oft verletzt worden und fühlt sich minderwertig. Dieses Gefühl glaubt er verdrängen zu können, indem er jemand anderen verletzt: Da ist ein Lehrer, der selber als Kind oft von Eltern und Lehrern gedemütigt wurde. Immer noch spürt er dieses unangenehme Gefühl wie einen Stachel in sich – und überträgt den Schmerz, wenn er ihn nicht mehr aushalten kann, auf einen seiner Schüler.

Ein anderer gibt seine Schwäche für Sensationsgier und Klatschsucht nicht zu, denn das könnte am Image des viel beschäftigten Geschäftsmannes kratzen. Er projiziert seine Schwächen deshalb auf andere, schimpft über seine Mitarbeiter, die am Kopierer hinter vorgehaltener Hand über einen Kollegen tuscheln. Oder er schaut in seiner Freizeit gern die Dokusoaps der Privatsender an, verurteilt aber die Menschen, die sich dort der Lächerlichkeit preisgeben.

Menschen in beschämenden Situationen zu sehen gibt ihm ein Gefühl von Erhabenheit. Andere fühlen sich permanent unverstanden und unbeachtet – von der Familie, der Gesellschaft, der Kirche. "Sie bleiben ihr Leben lang in der Anklage und Rebellion gegen ihr Schicksal stehen, fühlen sich als Opfer und weigern sich damit, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen", sagt Pater Anselm Grün. "Letztlich verweigern sie mit ihrem ständigen Protest und ihrer permanenten Anklage das Leben selbst."

Hilfe durch Buße und Versöhnung

Wer sich dem eigenen Schatten, seiner Schuld und seinen Schuldgefühlen stellen möchte, braucht Hilfe. Sie wird uns Menschen im Sakrament der Buße und Versöhnung zuteil. Es ist ein heilsames Angebot Gottes. Der Priester als Beichtvater hilft im Gespräch, die Schuldgefühle genauer anzuschauen, ohne sie zu bewerten. Er macht Mut, sich der eigenen Wahrheit zu stellen und sich damit auszusöhnen. Niemand muss beichten. Aber jeder ist gut beraten, dieses heilende Angebot anzunehmen.

Buch zum Thema

Bertold Ulsamer: Schuld verstehen und heilen. 8,90 Euro, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach. Jeder kennt Schuldgefühle – oft schon aus der Kindheit. Gewissensbisse, Reuegefühle und das schlechte Gewissen treffen unser Innerstes und bringen uns mit schmerzlichen Gefühlen in Berührung. Bertold Ulsamer zeigt einfühlsam und nachvollziehbar, wie wir Schuldgefühle verstehen, überwinden und schließlich heilen können.
Von Margret Nußbaum