Spirituelle Suche statt sportlicher Wettkampf

Blogger: Warum Pilgern eine Chance für die Kirche sein kann

Veröffentlicht am 25.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Vor sechs Jahren ist Christoph Erkens zum ersten Mal auf dem Jakobsweg gepilgert. Ein Schritt, der sein Leben verändert hat, sagt er im Interview. Heute schreibt er einen Blog über seine Erfahrungen. Der Auslöser für seine Leidenschaft fürs Pilgern war ein innerer Ruf.

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Mehrfach war Christoph Erkens auf unterschiedlichen Jakobswegen in Spanien, Portugal und Deutschland unterwegs. Mit seinem Blog möchte er anderen Pilgern von seinen Erfahrungen berichten. Im Interview gibt der 33-Jährige auch Tipps, worauf Anfänger achten sollten, wenn sie das erste Mal eine längere Pilgerreise planen.  

Frage: Herr Erkens, 2014 sind Sie zum ersten Mal den Jakobsweg gepilgert. Wie kam es dazu? 

Erkens: Gekommen ist das durch einen Ruf. Eine Bekannte ist den Weg vor mir gegangen und kam mit strahlenden Augen und wie ausgewechselt zurück. Das hat mich beeindruckt. Nach ein paar Monaten habe auch ich dann auf einmal einen Ruf zum Abenteuer gespürt. Ich habe gemerkt: Das zieht mich an. Ich war damals nicht zufrieden mit meinem Leben und wollte etwas ändern. Ich brauchte eine größere Veränderung. Nach langem Ringen mit mir habe ich mich entschieden, meinen damaligen Job zu kündigen und bin direkt im Anschluss den Jakobsweg gegangen. Ich wusste tatsächlich im Vorfeld noch nicht, wie es danach weitergehen würde und habe das als Auszeit für mich genommen.

Frage: Wie hat sich dieser Ruf geäußert?  

Erkens: Ich würde das als ein Gefühl beschreiben, das ich im Bauch hatte. Das ist eine leise Stimme, die man in sich wahrnimmt. Häufig ist es so, dass man diese Stimme gar nicht so ernst nimmt, weil sie oft etwas sagt, was gar nicht zur gegenwärtigen Lebenssituation passt. Dieses Bauchgefühl und diese Sehnsucht arbeiten manchmal gegen die Stimme der Vernunft im Kopf. Das ist allerdings meist ein längerer Prozess. Oft liegen Wochen, Monate oder sogar Jahre zwischen dem ersten Impuls und der tatsächlichen Reise.

Ein Pilger mit einem Wanderrucksack blickt in die Ferne
Bild: ©privat

"Es musste etwas sein, das groß genug ist, um mich aus dem Alltag zu holen und innerlich durchzuschütteln, damit man dann auch wirklich einen völlig neuen Blick auf sich und das Leben gewinnt", sagt Christoph Erkens. 2014 pilgerte er das erste Mal auf dem Jakobsweg.

Frage: In Ihrem Blog schreiben Sie, dass es auch jeder andere Weg hätte werden können, dass es aber gerade der Jakobsweg geworden ist. Was bedeutet das?  

Erkens: Es hätte vielleicht auch ein Work-and-Travel oder eine andere Grenzerfahrung sein können. Es musste etwas sein, das groß genug ist, um mich aus dem Alltag zu holen und innerlich durchzuschütteln, damit ich dann auch wirklich einen völlig neuen Blick auf mich und das Leben gewinne. 

Frage: War das nicht ein ganz schön gewagter Schritt, als unerfahrener Pilger nach Spanien zu fliegen und dann hunderte Kilometer in einem fremden Land zu pilgern?  

Erkens: Auf der einen Seite war es sehr spontan, und ich habe mich nicht so sehr vorbereitet. Ich habe nicht jede Tagesetappe geplant und mir im Vorfeld nicht überlegt, wie viele Kilometer ich gehe und wo ich übernachte. Bei der Ausrüstung habe ich mich allerdings schon gut vorbereitet und informiert, was ich mitnehmen sollte und was zu viel ist. Den Rest habe ich einfach auf mich zukommen lassen. 

Frage: Heute betreiben Sie einen Blog, in dem Sie über Ihre Pilger-Erfahrungen berichten. Was wollen Sie damit erreichen? 

Erkens: Ich hatte schon vorher einen ganz kleinen Wanderblog und habe als Online-Redakteur gearbeitet. Daher lag es irgendwie nahe, meine Erfahrungen aufzuschreiben. Mir hat diese Pilgerreise so viel gegeben, dass ich das Gefühl hatte, ich möchte etwas zurückgeben. Das hat mich nachhaltig fasziniert und das hat seitdem nicht mehr aufgehört. Es gibt einen Satz unter Pilgern, dass der eigentliche Weg erst dann beginnt, wenn man am Ende der Reise angekommen ist. Wenn man also in seinen Alltag zurückkommt und merkt, wo man unzufrieden ist und Schritte einleitet, damit sich etwas ändert. Über all das wollte ich gerne auf dem Blog schreiben.

Wie der moderne Pilger tickt – und was er braucht

Wer heutzutage pilgert, tut das nicht mehr unbedingt aus religiösen Motiven. Reiseveranstalter wie das Bayerische Pilgerbüro haben das erkannt – und schneiden ihr Angebot auf verschiedene Zielgruppen zu. Die spirituellen Bedürfnisse der Pilger bleiben dabei aber nicht auf der Strecke.

Frage: Was würden Sie gerade Anfängern raten, wenn sie sich auf den Weg machen wollen, den Jakobsweg zu pilgern 

Erkens: Ich würde schon empfehlen, sich mit der Ausrüstung zu beschäftigen. Wenn man einmal fünf Stunden in strömendem Regen läuft, dann weiß man, wofür man sich eine Regenjacke gekauft und mitgeschleppt hat. Oder wenn man mit 14 Kilo Rucksackgewicht startet, dann wird man höchstwahrscheinlich ziemlich Rückenschmerzen bekommen. Man kann nicht alles planen, weil man ein paar Sachen auch ausprobieren und erfahren muss. Aber manche Sachen sind schon Allgemeinwissen, was man sich aneignen und wo man sich vorbereiten kann. Hier hilft beispielsweise meine kommentierte Packliste auf dem Blog.  

Frage: Und wie kann man sich auf die sportliche Herausforderung vorbereiten?  

Erkens: Es schadet sicherlich nicht, vorher schon mal Tagesetappen zu wandern und den Rucksack zu packen und aufzuschnüren. Wichtig ist es vor allem, nicht zu schnell zu starten. Manche Anfänger laufen auf dem Jakobsweg 30 oder sogar 40 Kilometer pro Tag in den ersten Tagen. Das rächt sich oft nach ein paar Tagen. Es sollte zudem auf keinen Fall ein Wettrennen werden, bei dem man sich mit anderen vergleicht. Davon hat man dann selbst nichts mehr. Es ist besser langsam zu starten, auf seinen Körper zu hören und dann das Pensum langsam zu steigern.

Ein Pilger steht vor einer grünen Wiese mit einem Berg und einem See im Hintergrund
Bild: ©privat

Bei seiner ersten Pilgerreise war er spirituell auf der Suche, sagt Christoph Erkens. Spiritualität und Glaube liegen aus seiner Sicht gar nicht weit auseinander.

Frage: Hat der Glaube auch eine Rolle dabei gespielt, dass Sie sich auf den Weg gemacht haben?   

Erkens: Ich bin katholisch groß geworden. Der Glaube hat bei mir immer eine Rolle gespielt – aber eher eine kleine. Das ändert sich jetzt langsam. Als ich pilgern gegangen bin, war das für mich eher eine spirituelle Suche und hatte nicht diese religiöse Komponente. Ich beobachte, dass es bei vielen jungen Menschen so ist, dass der Glaube nicht so haltgebend ist heutzutage. Das ist schade, denn viele junge Menschen suchen eigentlich nach Halt. Doch die Art, wie die Kirche die jungen Menschen anspricht, ist meiner Meinung nach nicht so zeitgemäß. Die Kirche holt die jungen Leute nicht da ab, wo sie stehen, und verschenkt Potenzial. Denn letztlich suchen sehr viele junge Menschen nach Sinn und Orientierung – im Leben generell und auch beim Pilgern. Da geht es nicht nur um die sportliche Herausforderung, sondern die wesentlichen Fragen des Lebens.  

Fragen: Kann Pilgern also auch eine Chance für die Kirche sein? 

Erkens: Ich denke schon. Bei mir war es auch so, dass ich bei meiner ersten Reise spirituell auf der Suche war. Mich hat es angesprochen, in der Natur zu pilgern und mich dort mit der Schöpfung und dem Universum zu verbinden. Die Wörter Religion, Glaube oder Gott habe ich dabei allerdings nicht so oft gesagt. Jetzt, wo ich etwas älter bin, und die Bücher von Franziskanerpater Richard Rohr gelesen habe, merke ich aber, dass diese Dinge gar nicht so weit auseinanderliegen.  

Von Christoph Brüwer