Martin Freytag hat zwei Interviewbücher mit dem Theologen herausgegeben

Religionslehrer: Würde mir wünschen, dass Kirche auf Drewermann zugeht

Veröffentlicht am 27.04.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Borken/Bonn ‐ Wenn im Religionsunterricht Fragen wie "Warum lässt Gott Leid zu?" besprochen werden, geht es schnell ans Eingemachte, sagt Lehrer Martin Freytag. In zwei Büchern hat er die Fragen seiner Schüler an den Theologen Eugen Drewermann gestellt. Im katholisch.de-Interview erklärt er, warum.

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Wie würde Jesus die Kirche heute betrachten? Was bedeutet die Jungfrauengeburt? Ist Gott allmächtig? Diese und weitere Fragen der Schülerinnen und Schüler aus seinem Religionsunterricht hat Martin Freytag in den beiden Büchern "Das Geheimnis von Jesus von Nazareth" und "Gott, wo bist du?" dem Theologen Eugen Drewermann gestellt. Im Interview spricht Freytag darüber, warum er auch bei seiner Arbeit als Religionslehrer nie auslernt und warum er gerade Eugen Drewermann befragt hat.

Frage: Herr Freytag, Sie haben vor Kurzem schon zum zweiten Mal ein Interviewbuch herausgegeben, in dem Sie Eugen Drewermann die Fragen Ihrer Schülerinnen und Schüler aus dem Religionsunterricht gestellt haben. Wie sind Sie auf die Idee zu den Büchern gekommen?

Freytag: Ich habe immer wieder mit Texten von Eugen Drewermann im Unterricht gearbeitet und dann irgendwann gedacht, dass es schön wäre, dem Autor direkt die Fragen zu stellen, die im Unterricht mit Blick auf seine Texte aufkommen. Dann habe ich irgendwann die Schülerinnen und Schüler gebeten, die Fragen aufzuschreiben, die Ihnen bei der Figur Jesus von Nazareth so unter den Nägeln brennen. Ich habe die Zettel dann eingesammelt, die Fragen gesichtet, nach Schwerpunkten sortiert und theologisch stellenweise angereichert und in Kapitel eingeteilt. So ist dann das erste Buch mit Eugen Drewermann entstanden, in dem ich ihm diese Fragen vorgelegt habe und er sie dann beantwortet hat.

Frage: Wieso sind Sie grundsätzlich auf Eugen Drewermann gekommen?

Freytag: Ich habe seine Theologie schon vor längerer Zeit kennengelernt, als ich Anfang der 80er Jahre ein Praktikum in der katholisch-sozialen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster gemacht habe und ich ihn dort erleben und kurz mit ihm sprechen konnte. Seitdem habe ich mir immer wieder mal seine Bücher, die dann nach und nach erschienen, zugelegt, habe mich in seine Theologie und seine tiefenpsychologische Bibelauslegung eingearbeitet und dann gemerkt, wie gut man mit diesem Ansatz auch im Religionsunterricht arbeiten kann, weil es einfach eine ganz lebensnahe, konkrete, intensive Art ist, die Bibel zu lesen, zu teilen und letztlich auch zu leben.

Religionslehrer Martin Freytag
Bild: ©Privat

Er würde sich wünschen, dass die Kirche auf Eugen Drewermann zugeht, sagt Religionslehrer Martin Freytag. "Nicht um ihn umzudrehen. Ich glaube nicht, dass er nochmal in die Kirche eintreten wird."

Frage: Eugen Drewermann ist in der Kirche allerdings – freundlich gesagt – nicht unumstritten. 1991 wurde ihm die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen, er ist vom Priesteramt suspendiert und mittlerweile selbst aus der katholischen Kirche ausgetreten. Inwiefern ist er damit überhaupt der richtige Ansprechpartner, um Fragen aus dem Religionsunterricht zu beantworten?

Freytag: Ich denke, alle geistigen und sinnerschließenden Ressourcen, die man finden kann, sollte man nutzen – ob die jetzt kirchlich gebunden sind oder nicht, spielt für mich erstmal weniger eine Rolle. Ich kenne kaum jemanden, der solch ein Plädoyer für die Notwendigkeit von Religion hält, wie Eugen Drewermann. Dass das bei ihm nicht mehr nur in katholischer Konfession passiert, steht auf einem anderen Blatt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Konflikt mit seiner Kirche anders ausgeht.

Frage: Welchen Umgang mit Drewermann würden Sie sich denn wünschen?

Freytag: Ich würde mir wünschen, dass die offizielle Kirche nochmal auf ihn zugeht. Nicht um ihn umzudrehen. Ich glaube nicht, dass er nochmal in die Kirche eintreten wird. Aber ich glaube, dass er beispielsweise mit seinem Kleriker-Buch schon 1989 aufgezeigt und prophezeit hat, wohin die Kirche geht, wenn sie so weitermacht. Das ganze System fliegt uns ja gegenwärtig offensichtlich um die Ohren. Die Menschen laufen der Kirche in Scharen davon und dafür kann man nicht nur den bösen Zeitgeist verantwortlich machen, sondern das ist nicht zuletzt auch ein hausgemachtes Problem. Da hat die Kirche viel versäumt und selber viel verschuldet. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hat Drewermann 2018 als einen Propheten unserer Zeit bezeichnet. Ob man jetzt so weit gehen muss, ist aber eine andere Frage.

Frage: An welcher Stelle teilen Sie die Ansichten von Drewermann nicht?

Freytag: Es gibt zwischen uns ein hohes Maß an Übereinstimmung. Vor allem bin ich dankbar für das, was ich von ihm lernen konnte und bis heute kann. Unterschiede gibt es bisweilen hinsichtlich von Theologien und derer, die sie vertreten. Beispielsweise schätze ich – auch für den Religionsunterricht – die Theologie von Dorothee Sölle sehr. Eugen Drewermann mag sie nicht so sehr. Auch würde ich mir wünschen, dass er die Verdienste der "Neuen Politischen Theologie", wie sie in Münster von Johann Baptist Metz und Tiemo Rainer Peters entwickelt worden ist, etwas mehr zu würdigen in der Lage wäre – ungeachtet dessen, dass ihm natürlich auch von dieser Seite Unrecht getan worden ist.

Und ich teile nicht immer seinen Optimismus, ob existenzielle, auch gewalttätige Eskalationen zwischen einzelnen Menschen, Gruppen oder ganzen Völkern jeder Zeit so deeskaliert werden können, wie er sich das vorstellt: in absoluter Wehrlosigkeit und im Vertrauen darauf, dass mein Gegenüber mich dann schon nicht verletzen oder gar vernichten wird. Ich hoffe dann immer, dass er in diesen Fragen Recht behält. Denn eines ist klar: Von dem großen Traum einer Welt ohne Waffen und militärischer Gewalt dürfen wir als Christinnen und Christen niemals lassen.

Zwei Schüler zeigen im Religionsunterricht auf
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Symbolbild)

"Man ist gerade als Religionslehrer mit seinen Schülerinnen und Schülern in einer stetigen Suchbewegung", sagt Martin Freytag. "Ich bin manchmal auch von deren Fragen und Antwortversuchen überrascht."

Frage: Zurück zu Ihren Büchern: Darin behandeln Sie Jesus und Gott. Welche Fragen stellen die Schülerinnen und Schüler denn speziell zu diesen Themen?

Freytag: Bei der Bergpredigt fragen die Schülerinnen und Schüler beispielsweise, ob die Aussagen Jesu nicht eine heillose Überforderung sind und höchstens von ein paar Superfrommen eingehalten werden können. Außerdem kamen Fragen, was eigentlich die Jungfrauengeburt bedeutet, wie Jesu Wunder heutzutage zu verstehen sind oder wie Jesus die Kirche von heute betrachten würde. Zu Gott kamen Fragen wie: Ist Gott allmächtig? Wo ist Gott, wenn Menschen etwas Schlimmes passiert oder sie sich schreckliche Dinge antun? Das sind dann auch Fragen, die ans Eingemachte gehen.

Frage: Gab es denn Fragen, die Sie besonders überrascht oder besonders bewegt haben?

Freytag: Besonders bewegend finde ich immer die Fragen, die sich im Raum der Theodizee-Frage bewegen: Wo ist Gott im Leiden der Menschen und warum hat er das nicht verhindert, wenn er doch allmächtig ist? Es passiert auch im Leben der Schülerinnen und Schüler immer wieder, dass ein Freund, ein Geschwisterkind oder Elternteil stirbt. Dann kommen solche Fragen auch im Religionsunterricht auf und das sind auch die Fragen, die mich am meisten aufwühlen.

Frage: Sie sagen, dass die Bücher gut für den Religionsunterricht geeignet sind. Inwiefern?

Freytag: Die Bücher sind natürlich auch nicht das einzige Unterrichtsmaterial. Jetzt gerade gehe ich mit einem Oberstufenkurs das Jesus-Buch Kapitel für Kapitel durch, lasse sie zu entsprechenden Bibelstellen arbeiten und schaue dann in einem zweiten Schritt, was Eugen Drewermann zu dem einen oder anderen Problem zu sagen hat. Dabei arbeite ich natürlich nicht nur mit Drewermann, sondern auch mit anderen Positionen. Es soll ein gewisses Konzert von Stimmen zusammenkommen. Ich habe aber schon den Eindruck, dass die Bücher gut bei den Schülerinnen und Schülern ankommen, weil es an manchen Stellen ausführlichere Erklärungen gibt, die man so nicht in den Religionsbüchern findet. Auch ich habe bei der Arbeit an den Büchern sehr viel dazugelernt.

Frage: Was heißt das?

Freytag: Man ist gerade als Religionslehrer mit seinen Schülerinnen und Schülern in einer stetigen Suchbewegung. Ich bin manchmal auch von deren Fragen und Antwortversuchen überrascht. Man ist immer zusammen auf der Suche, kommt dabei manchmal auch auf Altbewährtes zurück, aber kein Kurs läuft wie der andere und keine Frage und keine Antwort ist wie die andere. Deswegen ist das eine ständige Suchbewegung und das ist gerade das Spannende am Fach Religion.

Von Christoph Brüwer

Zur Person

Martin Freytag unterrichtet die Fächer Katholische Religion und Deutsch am Gymnasium Remigianum im münsterländischen Borken. Gemeinsam mit Eugen Drewermann hat er zwei Bücher veröffentlicht:

Eugen Drewermann/Martin Freytag: Das Geheimnis des Jesus von Nazareth. Eugen Drewermann antwortet jungen Menschen. Patmos Verlag 2019, 144 Seiten, ISBN: 978-3-8436-1080-3, 12 Euro.

Eugen Drewermann/Martin Freytag: Gott, wo bist du? Eugen Drewermann antwortet jungen Menschen. Patmos Verlag 2021, 176 Seiten, ISBN: 978-3-8436-1210-4, 12 Euro.