Studie zu sexualisierter Gewalt in der Diözese Essen

Soziologin: "Ringtausch" von Missbrauchstätern unter Bistümern

Veröffentlicht am 23.06.2022 um 13:04 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Soziologin Helga Dill ist an der Missbrauchsstudie für das Bistum Essen beteiligt, die im Januar erscheinen soll. Sie sagt: Zwischen Diözesen habe es teils einen "regelrechten Ringtausch" auffällig gewordener Priester gegeben.

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Die Münchner Soziologin Helga Dill sieht systemische Ursachen für Missbrauch in der katholischen Kirche. Manchmal habe es zwischen Bistümern einen "regelrechten Ringtausch" auffällig gewordener Priester gegeben, sagte die Geschäftsführerin des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag) in Essen. Die sozialwissenschaftliche Einrichtung erarbeitet derzeit eine Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Essen, die im Januar präsentiert werden soll.

Dill nannte den Fall des Priesters Peter H., der in den 1970er-Jahren im Bistum Essen als übergriffig auffiel. In den 1980er-Jahren wurde er ins Erzbistum München und Freising versetzt und beging dort weitere Missbrauchstaten. Der Fall H. spielt eine größere Rolle im Münchner Missbrauchsgutachten. In diesem Monat wurde der Priester aus dem Klerikerstand entlassen.

Kirche als völlig geschlossenes System

"Der zentrale Punkt ist, dass Kirche sich als ein völlig geschlossenes System präsentiert", so Dill weiter. "Solche geschlossenen Institutionen können Gewalt und Missbrauch begünstigen." Die klerikale Macht der Bischöfe und Priester sei zudem unanfechtbar gewesen. "Das ist eine gefährliche Mischung", sagte die Soziologin.

Die seit März 2020 laufende Studie zeigt laut Dill auch, welche Auswirkungen Missbrauch auf Pfarrgemeinden hatte. Wenn ein Fall bekannt geworden sei, hätten Gemeindemitglieder häufig den beschuldigten Priester verteidigt. So sei es zu Spaltungen in Pfarreien gekommen, die zum Teil bis heute nachwirkten. "Manche Menschen plagen noch heute Schuldgefühle, weil sie früher geschwiegen oder gar den Täter verteidigt haben", sagte Dill.

Das Bistum Essen hatte die Studie in Auftrag gegeben und dem IPP gleichzeitig Unabhängigkeit zugesichert. Laut Dill haben die Forschenden bereits die Akten aller beschuldigten Geistlichen ausgewertet und sechs Beispielfälle ausgewählt. Durch Interviews mit Betroffenen, Gemeindemitgliedern und Zeitzeugen zeichne das Team die Vorgänge nach. In einigen Fällen würden auch Täter befragt. Zudem analysierten die Forschenden Prozesse in den Kirchengemeinden und den Umgang mit Sexualität in Kirche und Priesterausbildung. (tmg/KNA)