Ein Besuch im "Suppenhimmel" in Bonn-Bad Godesberg

Suppenküche ohne Suppe: Wie eine Pfarrei Bedürftigen hilft

Veröffentlicht am 06.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Themenwoche

Bonn ‐ Durch Corona und die Preissteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs haben sich soziale Härten verschärft. Viele Menschen sind inzwischen auf kostenlose Mahlzeiten angewiesen. Eine Pfarrei in Bonn-Bad Godesberg hilft Bedürftigen bereits seit einigen Jahren mit einer Suppenküche. Ein Besuch.

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Ein sonniger Herbsttag in der Innenstadt von Bad Godesberg. Es ist Mittagszeit und die Tische der Eiscafés an dem kleinen Platz zwischen Kirche und Einkaufszentrum sind gut besetzt, obwohl das Wochenende noch etwas entfernt ist: Einige Menschen machen Mittagspause und essen eine Kleinigkeit, andere besprechen Geschäftliches bei einer Tasse Kaffee, Gruppen von Senioren erzählen einander von ihren Enkeln – und lachen dabei lauthals. Ein ganz normaler Tag in dem im Süden von Bonn gelegenen Stadtteil. Normalität ist in Bad Godesberg wie in vielen anderen Orten Deutschlands aber auch das, was nur etwa 50 Meter von den Café-Besuchern entfernt geschieht.

Von den meisten Passanten kaum beachtet, bildet sich etwas abseits des Platzes langsam eine Schlange vor einem unscheinbaren Ladenlokal. Nach und nach kommen immer mehr Menschen hinzu, sodass sich gegen 12.30 Uhr knapp 40 Frauen, Männer und Kinder vor einer etwas trist wirkenden Schaufensterscheibe mit der Aufschrift "Suppenhimmel" angesammelt haben. Die Einrichtung des Katholischen Gemeindeverbands Bad Godesberg liegt etwas nach hinten versetzt an der Seitenwand der Filiale eines internationalen Modekonzerns. Ganz leicht steigt der modrige Geruch der Mülltonnen in die Nase, die hier ebenfalls ihren Platz gefunden haben. Eine Suppenküche im Schatten der Shopping Mall – die Symbolik passt, denn die Wartenden stehen am Rand der vor allem auf Konsum und wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten deutschen Gesellschaft: Sie sind auf eine kostenlose Mahlzeit angewiesen und warten auf den Beginn der Essensausgabe in einer Viertelstunde.

Der "Suppenhimmel" in Bad Godesberg
Bild: ©katholisch.de

Kleine Plastikkörbchen gefüllt mit Lebensmitteln warten darauf, an die Gäste des "Suppenhimmels" ausgegeben zu werden.

Sehr unterschiedliche Menschen haben sich in der Schlange versammelt: die Seniorin, deren Rente nicht bis zum Monatsende reicht; der sichtbar vom Leben auf der Straße gezeichnete Obdachlose; die junge Mutter aus der Ukraine mit zwei kleinen Kindern, die nur gebrochen deutsch spricht; der Mann mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung, der etwas abseits der großen Gruppe steht. Nicht allen sieht man an, dass sie regelmäßig zu einer Suppenküche gehen – einige der Wartenden sehen verwahrlost aus, andere sind einfach, aber adrett gekleidet. Die meisten von ihnen möchten nicht angesprochen werden oder ihren Namen im Internet lesen. Bei nicht wenigen hängt es auch mit der Scham zusammen, die mit sozialer Not verbunden ist.

Bei Alla Schelakewa ist das anders: Die Frau in der abgetragenen Jacke ist Anfang 70 und spricht freimütig über ihre Situation. "Ich bin schon lange arbeitsunfähig und habe nur wenig Geld zur Verfügung", sagt sie mit osteuropäischem Akzent. "Da sind eine kostenlose Mahlzeit und die Lebensmittel, die ich hier bekomme, eine große Hilfe." Als arm will sich Schelakewa aber nicht verstanden wissen. "Ich habe drei Kinder und acht Enkel, für die ich sehr dankbar bin", sagt sie. "Die Kleinen wollen natürlich auch Geschenke haben. Da hilft es mir sehr, dass ich etwas Geld spare, wenn ich hierher zum Essen komme." Die Seniorin hat bereits viele Menschen aus ihrer Nachbarschaft und Geflüchtete aus der Ukraine auf Angebote wie den "Suppenhimmel" aufmerksam gemacht. "Viele haben große Probleme damit, über Runden zu kommen", berichtet sie, "gerade jetzt, wo alles teurer wird".

Der "Suppenhimmel" in Bad Godesberg
Bild: ©katholisch.de

Fünf der fast 60 Freiwilligen des "Suppenhimmels" in Bonn-Bad Godesberg. Verena Veit (2. von links) ist auch Mitglied im Leitungsteam der Suppenküche.

Seit einigen Monaten warnen Sozialverbände davor, dass derzeit viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft in die Armut abrutschen könnten. Menschen, die bislang mit ihrem Gehalt zwar ausgekommen sind, aber keine Ersparnisse zur Seite legen konnten, bekommen wegen der aktuell hohen Kosten in allen Bereichen ein großes Problem. Schuld sind die Inflation von 10 Prozent und die massiv gestiegenen Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Weitere Folgen könnten vermehrte Privatinsolvenzen oder sogar ein Anstieg von Obdachlosigkeit sein, worauf etwa die Diakonie im September hinwies. Die Tafel Deutschland bemerkt bei ihren Ausgabestellen aktuell eine wesentlich höhere Nachfrage als noch vor Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Etwa zwei Millionen Menschen kommen derzeit im Jahr zu den Tafeln – das sind 500.000 mehr als noch vor fünf Jahren.

Vor dem "Suppenhimmel" in Bad Godesberg versammeln sich seit einigen Monaten ebenfalls regelmäßig mehr Menschen als zuvor – auch wenn die Zahlen nicht besonders stark gestiegen sind. "Der Anstieg bei der Zahl unserer Gäste liegt vor allem an der Fluchtbewegung aus der Ukraine", weiß Verena Veit, die in dem kleinen Raum der Suppenküche an einem Tisch sitzt. Doch auch die gestiegenen Preise für Energie und in anderen Bereichen führen dazu, dass mehr Menschen auf eine Gratis-Mahlzeit angewiesen sind, sagt die 66-Jährige. Die gebürtige Österreicherin Veit gehört zum ehrenamtlichen Leitungsteam der Suppenküche. An diesem Tag ist sie – wie etwa alle zwei Wochen – mit vier weiteren Helfern für die Essensausgabe zuständig. Die Gruppe aus vier Frauen und einem Mann im Seniorenalter hat eine Stunde lang die Lebensmittelspenden geordnet, belegte Brote geschmiert und alles in kleine Plastikkörbchen gelegt: immer ein Butterbrot und einen Joghurt mit etwas Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln.

Veit kommentiert diese Art der Essensausgabe schmunzelnd: "Der Name 'Suppenhimmel' führt leider etwas in die Irre." Denn seit Corona gibt es in der Suppenküche keine Suppen, Eintöpfe oder anderen warmen Mahlzeiten mehr. "Schuld daran sind die hygienischen Bestimmungen und die Tatsache, dass viele unserer Gäste leider nicht geimpft sind." Daher erscheint es den Helfern sicherer, Lunchpakete auszugeben – ein Weg, den auch andere Suppenküchen gegangen sind. Auch wenn es zahlreiche Lebensmittelspenden von Supermärkten oder Einzelhändlern gebe, Privatleute Geld für die Kosten spenden und die Essensausgabe gut laufe, vermisse sie doch das Miteinander, das vorher im "Suppenhimmel" geherrscht habe, sagt Veit. "Da saßen wir alle zusammen an den Tischen und haben uns beim Essen unterhalten. Das fehlt nun völlig." Auch die Kontakte über soziale Grenzen hinweg finden nur noch in begrenztem Umfang statt: Früher kamen nicht nur Bedürftige, sondern auch etwa Geschäftsleute zum Essen in die Suppenküche und ließen eine Spende für die Mahlzeit da. Wie zum Ausgleich dieses Verlustes setzen sich die Helfer kurz vor Beginn der Essensausgabe an einem der Tische zusammen, der in dem karg eingerichteten Raum steht. Es ist noch erkennbar, wo die Theke für die Ausgabe der Suppe gestanden hat und wie die Tische für die Gäste aufgestellt waren.

Der "Suppenhimmel" in Bad Godesberg
Bild: ©katholisch.de

Vor der Corona-Pandemie wurde Suppe im "Suppenhimmel" ausgegeben. Heute sind es Lunch-Pakete. Die Körbchen vor dem Logo der Suppenküche in Bonn-Bad Godesberg zeugen davon.

Während draußen vor der Tür die Wartenden die Zeit bis zum Beginn der Essensausgabe totschlagen, besprechen die Helfer drinnen kurz die Lage. Zwischen Kaffee und kleinen Butterbroten, die sie aus den Randstücken der Brotlaibe geschmiert haben, unterhalten sie sich miteinander darüber, worauf bei der Ausgabe geachtet werden muss und welche Gäste bestimmte Vorlieben beim Essen haben. So möchte etwa der Gast Ali seine Käse-Brote ohne Butter und für Eltern mit Kindern gibt es mehr als nur einen Joghurt. Man merkt: Helfer und Gäste haben sich über die Jahre hinweg, die es den "Suppenhimmel" seit 2016 gibt, gut kennengelernt.

"Damals wurde der 'Suppenhimmel' in den Räumlichkeiten der alten Pfarrbücherei gegründet, um eine Antwort auf die Not der Flüchtlingswelle aus Syrien zu geben", erinnert sich Veit, die von Anfang an dabei ist. Angestoßen wurde die Suppenküche vom damaligen Pfarrer Wolfgang Picken gemeinsam mit der Kirchengemeinde. Heute sind etwa 60 Freiwillige dort engagiert, meist handelt es sich bei ihnen um "rüstige Rentner", schallt es lachend durch das Ladenlokal. "Die meisten bringen sich bei uns ein, weil sie Zeit haben und etwas Gutes tun wollen", sagt Veit. Das trifft auch auf sie selbst zu.

Während der Lagebesprechung kommen immer wieder Besucher in die Suppenküche: Einmal ist es die Mitarbeiterin eines Teegeschäfts, die Kekse als Spende abgibt. Ein anderes Mal ist es einer der Gäste. "Hallo Kyros", begrüßt das Helfer-Team ihn. Der aus dem Iran stammende ältere Herr wirkt sehr agil, fast aufgedreht. "Braucht Ihr noch Hilfe bei der Essensausgabe", fragt er. Veit verneint höflich und bittet ihn darum, lieber in der Schlange vor der Tür für Ruhe zu sorgen. Denn: "Es gibt manchmal Gäste, die problematisch sind und sich vordrängeln." Die Helfer stellen nun einen Tisch in die Eingangstür des "Suppenhimmels", über den das Essen ausgegeben wird.

Der "Suppenhimmel" in Bad Godesberg
Bild: ©katholisch.de

Die Essensausgabe im "Suppenhimmel" in Bonn-Bad Godesberg findet wegen der Corona-Pandemie an der Tür des Ladenlokals statt.

Pünktlich um 12.45 Uhr geht die Tür auf und die Essensausgabe beginnt: "Käse oder Wurst?" Begleitet von dieser Frage wird jedem Gast ein Körbchen mit Lebensmitteln hinübergegeben, dessen Inhalt er am Tisch in eine selbst mitgebrachte Tasche füllt. Danach ist der nächste dran. Ein paar Mal gibt es ein kleines Gerangel darum, wer vor wem in der Schlange stand und nun an der Reihe ist. Der Tisch in der Eingangstür ist nicht nur eine Hilfe für die Ausgabe, er wirkt auch wie eine Barriere zwischen zwei Welten: drinnen und draußen, Helfern mit Designer-Pullovern und mit abgetragenen Jacken bekleideten Gästen, freiwillig Engagierten und auf ein kostenloses Mahl Angewiesenen – eine Grenze zwischen Wohlstand und Armut. Doch beide Sphären sind durch Hände, die über den Tisch gehen, und Lächeln drinnen und draußen miteinander verbunden.

Nach knapp 20 Minuten ist die Essensausgabe vorbei. 40 Körbchen hatten die Helfer vorbereitet, alle wurden ausgegeben und keiner der Gäste ist leer ausgegangen – einige durften sich sogar ein zweites Mal anstellen. Vor dem Suppenhimmel stehen einige Gäste im Schatten des Einkaufszentrums und sind miteinander im Gespräch oder tauschen Lebensmittel untereinander aus, für die sie keine Verwendung haben. Alla Schelakewa ist zufrieden mit der heutigen Gabe, zu der bei ihr auch ein Strauch Basilikum gehört. "Das benutze ich gerne zum Kochen", sagt sie. Einem Bekannten, der auch in der Schlange stand, gibt sie noch Ernährungstipps, bevor sie geht. Auch die anderen Gäste sind schon gegangen, nur wenige bleiben für einen Plausch.

Im "Suppenhimmel" reinigen die fünf Helfer die Plastikkörbchen mit Desinfektionsmittel. Einmal wird noch durch den Raum gefegt und die übriggebliebenen Lebensmittel im Kühlschrank verstaut, schon ist die Arbeit des Tages getan. Verena Veit schließt das Ladenlokal ab und ist zufrieden: "Heute war ein ruhiger Tag." Alle verabschieden sich und gehen über den kleinen Platz nahe der Pfarrkirche im Zentrum von Bad Godesberg heim – so wie vor ihnen auch schon die Gäste. Am morgigen Tag ist es die Aufgabe von anderen Helfern, den "Suppenhimmel" mit Leben zu füllen, an einem weiteren ganz normalen Tag.

Von Roland Müller

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Armut – fünf Buchstaben, die wohl jedem Angst machen und die in Zeiten von Energiekrise und allgemeiner Inflation bedrohlich an Bedeutung gewonnen haben. Die Preissteigerungen der vergangenen Monate treffen viele Menschen in Deutschland; die immer länger werdenden Schlangen vor den "Tafeln" sind ein alarmierendes Anzeichen dafür. Mit einer Themenwoche blickt katholisch.de vom 3. bis 9. Oktober in Artikeln und Videos aus christlicher Sicht auf das Thema.