Interview mit Strafverteidiger zu Ermittlungen gegen "queer.de"

Nach Benedikt-Nachruf: Wann ist Beleidigung Verstorbener strafbar?

Veröffentlicht am 13.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach seinem Tod hatte das Online-Magazin "queer.de" Benedikt XVI. als einen "der größten queerfeindlichen Hetzer" bezeichnet – und damit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgelöst. Im Interview ordnet Jurist Tommy Kujus die Hintergründe ein.

  • Teilen:

Was darf man über Verstorbene sagen? Und was nicht? Damit ist derzeit die Berliner Staatsanwaltschaft in einem prominenten Fall befasst. Sie ermittelt gegen "queer.de" wegen eines Nachrufs auf Benedikt XVI., der in dem Online-Magazin an Silvester nach dem Tod des früheren Papstes erschien. Grundlage ist der Paragraf 189 des Strafgesetzbuches zur "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener". Das Magazin hatte Benedikt XVI. als einen "der größten queerfeindlichen Hetzer" bezeichnet, dessen "Markenzeichen Homohass" gewesen sei. Im Interview spricht der Leipziger Strafverteidiger Tommy Kujus über die rechtlichen Grundlagen einer solchen Anzeige.

Frage: Herr Kujus, was ist eine "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener"? Und wie oft kommt eine Anzeige wegen eines solchen Sachverhalts vor?

Kujus: Eine solche Tat liegt vor, wenn der Täter vorsätzlich das Andenken eines Verstorbenen herabwürdigt oder eben "verunglimpft". Eine solche Anzeige kommt sehr selten vor. Es gibt es zwar oft, dass in der Bevölkerung über Tote hergezogen wird und dieser Straftatbestand also vorliegt. Aber es wird fast nie angezeigt.

Frage: Wann ist die "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" strafbar?

Kujus: Wenn die Menschenwürde des Verstorbenen verletzt wird, die ja über den Tod hinaus besteht, oder wenn das Pietätsempfinden der Angehörigen verletzt wird. Um sich nach Paragraf 189 des Strafgesetzbuches strafbar zu machen, muss die Missachtungsbekundung schwerwiegend sein. Eine einfache Beleidigung eines Toten reicht in der Regel nicht aus. Und der Täter muss die Verunglimpfung vorsätzlich, das heißt "bewusst", begangen haben.

Frage: Wie ist es bei einer Person des öffentlichen Lebens, also etwa dem Papst?

Kujus: Als Person des öffentlichen Lebens muss man mehr in Kauf nehmen und auch übersteigerte Kritik gegebenenfalls aushalten. Das gilt auch nach dem Tod. Die Grenze ist dann erreicht, wenn unsachliche Kritik einen schwerwiegenden beleidigenden Charakter hat.

„Nicht jede übersteigerte oder unangebrachte Kritik stellt eine Straftat dar.“

—  Zitat: Strafverteidiger Tommy Kujus

Frage: Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen das Magazin "queer.de", weil es in einem Nachruf Papst Benedikt XVI. als einen "der größten queerfeindlichen Hetzer" mit dem "Markenzeichen Homohass" bezeichnet hat. Wie schätzen Sie den Sachverhalt ein – zumal sich Papst Benedikt XVI. ja tatsächlich kritisch gegenüber homosexueller Lebensweise geäußert hat?

Kujus: Ich glaube nicht, dass die Anzeige große Auswirkungen hat. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei maximal um ein Delikt am unteren Rand einer Strafwürdigkeit, wie alle Beleidigungsdelikte. Hinzu kommt, dass auch die Presse- und Meinungsfreiheit beachtet werden muss. Nicht jede übersteigerte oder unangebrachte Kritik stellt eine Straftat dar.

Frage: Wer kann eine solche Anzeige machen?

Kujus: Anzeige erstatten kann zunächst jeder. Auch stellt die Abgabe des Verfahrens durch die Polizei an die Staatsanwaltschaft den üblichen Verfahrensgang dar. Einen Antrag auf Strafverfolgung hingegen, der zum Ziel hat, dass die Staatsanwaltschaft die weiteren Ermittlungen führen muss, können bei einer Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nur dessen Angehörige stellen.

Frage: Wie wird ein solches Delikt bestraft?

Kujus: Die konkrete Strafe hängt im Einzelfall von der Art der Tatbegehung ab. Dabei kann es zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe kommen. Im Idealfall erzielt man eine außergerichtliche Einigung: Das Verfahren könnte etwa durch die Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Organisation eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft verzichtet in diesem Falle auf die Anklage, der Angeklagte verzichtet auf einen möglichen Freispruch.

Von Nina Schmedding (KNA)