"Gott ist auch unsere Mutter"

Wie Annette Jantzen die Sprache der Liturgie verweiblichen will

Veröffentlicht am 02.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Sprache der Liturgie sei patriarchal geprägt: Das meint die Theologin und Frauenseelsorgerin Annette Jantzen. Sie bietet auf ihrem Blog "Gotteswort weiblich" Texte und Gebete für Frauen an, die die Sprache in der Liturgie "verweiblichen" sollen. Im katholisch.de-Interview spricht sie darüber.

  • Teilen:

"Gott ist mehr als Herr und Vater" meint die Theologin Annette Jantzen aus Aachen. Die Seelsorgerin für Frauen übersetzt Bibeltexte, Gebete und Psalmen "weiblicher" und stellt sie für die Gestaltung von Liturgie und Andacht zur Verfügung. Warum "weibliche" Gottesbilder auch eine kirchenpolitische Bedeutung haben können, erklärt Jantzen im Gespräch mit katholisch.de.

Frage: Frau Jantzen, Sie haben vor drei Jahren den Blog "Gotteswort, weiblich“ gestartet. Wie kam es dazu?

Jantzen: Immer wieder fällt mir in Gottesdiensten auf, wie einseitig männlich und patriarchal die Sprache in der Liturgie geprägt ist. Hier ist von Gott als Herr, als Herrscher und als Allmächtiger die Rede. Vielen Frauen fällt das Beten mit solchen Sprachbildern schwer und als Frauenseelsorgerin ist es meine Aufgabe, Frauen das Gottesdienstfeiern so zu ermöglichen, dass sie gut ins Beten finden können. So entstand die Idee zu "Gotteswort, weiblich". Auf dieser Internetseite biete ich Übersetzungen von Bibeltexten, Auslegungen und Gebete an, die geschlechtergerechter sind. Gott hat ja viel mehr als nur männliche Seiten. Wir sollten nicht so gottprotzig sprechen, als wüssten wir alles von Gott.

Frage: Was meinen Sie mit "Gottprotzigkeit"?

Jantzen: Den Begriff habe ich von Hanneliese Steichele, die an der Katholischen Hochschule Mainz gelehrt hatte, und gemeint ist damit: Allzu oft wird liturgische oder theologische Sprache dazu benutzt, um über andere zu herrschen. Denn, wenn ich von Gott als Herrscher, König und Allmächtigen rede, dann wird dadurch eindeutig ein Gottesbild vermittelt, das alles weiß und nichts mehr fragt. Hinter solchen Sprachbildern stecken patriarchale Vorstellungen von Macht und Allmacht. Solche Texte betonen nicht nur autoritäre, sondern auch gewaltvolle Gottesvorstellungen. Aber wie stelle ich mir Gottes Wirken und Eingreifen vor? Ist er nicht auch wie ein liebender und schützender Vater oder wie eine sorgende Mutter?

Frage: Darf man die Worte der Bibel einfach so umformulieren und neu übersetzen? Es gibt doch bereits die Bibel in gerechter Sprache.

Jantzen: Genau diese Bibelübersetzungen verwende ich auch für meine Übertragungen. Ich schaue mir den Urtext allerdings nochmals genauer an und überlege, welche weiblichen Perspektiven lassen sich da entdecken? Was steckt an Weiblichem in diesem Text drin? Wir haben ein gigantisches Wörterbuch von Gott in der Bibel. Warum nutzen wir es nicht auch in der Liturgie? Im Laterankonzil (1213-1215) wurde es schon sehr klug formuliert: Alle Bilder von Gott sind Gott immer unähnlicher als ähnlich. Sie zeigen also immer nur einen kleinen Teil von Gott. Den größeren Teil von Gott treffen sie nicht. Also, ich verstehe es so: Je mehr ich mich auf wenige, immergleiche Gottesbilder beschränke, desto mehr verpasse ich von Gott. Ich versuche daher die Gottesbilder zu weiten. Die wenigen Gottesbilder, die wir derzeit in der Kirche verwenden, prägen unseren Glauben, und ein geprägter Glaube ist gut und wertvoll. Aber sie sind nicht alles, sie sind nicht Gott selbst. Einfach nur aus "Herr" eine "Herrin" zu machen, ist zu wenig. Es lässt die Chance ungenutzt, andere Seiten Gottes zu entdecken.

Bild: ©Ute Haupts

Dr. Annette Jantzen ist Theologin und Frauenseelsorgerin in Aachen. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

Frage: Welche weiblichen Anreden für Gott haben Sie denn neu gefunden?

Jantzen: In meinen Texten spreche ich Gott an mit "Gottheit", "Ewige", "Gott, die in allen mächtig bleibt", "Hirtin" und so weiter. Ich wünsche mir, dass den Leuten das Herz aufgeht, wenn sie diese Übersetzungen hören oder lesen. Und das ist gar nicht neu. Im Psalter zum Beispiel kommt das Bild von Gott als Vater überhaupt nicht vor, das Bild Gottes als Mutter hingegen sehr wohl. Warum verwenden wir solche Bilder nicht auch in der Liturgie oder im Gebet?

Frage: Wie wird Ihr Angebot "Gotteswort, weiblich" angenommen?

Jantzen: Ich bekomme sehr viel positive Rückmeldungen von Frauen, die sich nach so einer weiblichen Gebetssprache schon lange gesehnt haben. Es sind vor allem Multiplikatorinnen in den Kirchengemeinden, also Leiterinnen von Wortgottesfeiern oder Lektorinnen. Diese Frauen suchen sich auf meiner Internetseite die aktuellen Texte heraus und verwenden sie dann für ihre Gottesdienstvorbereitung. Natürlich gibt es auch Kritik. Manche finden diese Art der Gottesrede nicht brauchbar, aber ich zwinge sie ja auch niemandem auf. Auch manche Priester werden nervös, wenn zu viele weibliche Gottesnamen in der Liturgie verwendet werden. Meine Texte sind ein Angebot, das eigene Beten und Denken neu zu überdenken und neu zu formulieren. Denn ich bin davon überzeugt, dass die Sprache der Liturgie auch ein wichtiger Schlüssel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche sein kann. So viele Theologinnen haben schon vor mir ganze Kompendien an geschlechtergerechter, feministischer Theologie erarbeitet und Bibeltexte "weiblicher" übersetzt. Nur, es bleibt immer ein Sonderwissen. Es geht nicht in den Kanon der Forschung ein. Jede Generation von Frauen muss es sich nochmals mühsam aneignen. Die Schwerkraft des Patriarchats erdrückt diese Arbeit jedes Mal wieder.

„Der Segen Gottes-der-Heiligen richte euch auf und mache euch groß. Der Segen Gottes-der-Gerechten mache euer Herz weit, denn ihr seid vor Gott genug.“

—  Zitat: Annette Jantzen, "gotteswort_weiblich" auf Instagram

Frage: Müssten die Männer in der Kirche auch mehr einstehen - für die Frauen?

Jantzen: Ja. Ich kenne Priester, die es sich von Herzen wünschen, dass auch Frauen in dieser Kirche sakramental geweiht werden könnten. Nur, das wird kaum öffentlich. Wenn Männer, die in der Kirche Verantwortung übernehmen, offen sagen würden, dass es sie persönlich verletzt und es ihnen weh tut, dass Frauen von den kirchlichen Ämtern ausgeschlossen werden, wer weiß, vielleicht ändert sich dann etwas? Aber solange es die Männer mittragen, bleibt Geschlechtergerechtigkeit ein mühsames Geschäft für Frauen.

Frage: Kann eine "weiblichere" Sprache in der Liturgie daran etwas ändern?

Jantzen: Ja, das glaube ich. Wenn wir die kirchliche Ordnung ändern wollen, müssen wir auch an die symbolische Ordnung ran. Geschlechtergerechtigkeit bleibt immer nur bruchstückhaft, wenn die symbolische Ordnung weiterhin unhinterfragt patriarchal konstruiert wird. Solange Gott für uns nicht mehr ist als Herr und Vater, werden wir kaum zu echter Geschwisterlichkeit finden.

Von Madeleine Spendier