Spiegel kirchlicher und gesellschaftlicher Realitäten

Warum so wenige Deutsche zum Weltjugendtag nach Lissabon reisen

Veröffentlicht am 01.08.2023 um 20:23 Uhr – Von Nicola Trenz (KNA) – Lesedauer: 

Lissabon ‐ Im Vergleich zu Lissabon haben bei früheren Weltjugendtagen auf europäischem Boden doppelt so viele junge Menschen aus Deutschland teilgenommen. Die Gründe dafür liegen irgendwo zwischen Corona-Pandemie, Kosten und Kirchenkrise. Eine Spurensuche.

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Rund 8.300 Jugendliche und junge Erwachsene reisen in diesen Tagen nach Lissabon zum katholischen Weltjugendtag (WJT). Doppelt so viele waren es bei früheren dieser Großereignisse auf europäischem Boden; etwa 2016 in Krakau oder 2011 in Madrid.

Weltjugendtage finden in aller Regel im Hochsommer statt. Eine Ausnahme wegen des tropischen Klimas war der WJT in Panama im Januar 2019. Da er außerhalb der deutschen Schul- und Semesterferien und sehr weit entfernt stattfand, lassen sich die 2.300 deutschen Teilnehmenden hier nicht gut vergleichen.

Gefragt nach den Gründen für die relativ geringen Zahlen nennt die Deutsche Bischofskonferenz an erster Stelle die Kosten der Reise. "Nach Krakau konnten viele mit dem Auto oder Zug aus Deutschland anreisen", hieß es. Für Portugal entschieden sich viele Bistumsgruppen aus Klimaschutzgründen für eine Bus-Anreise; gestiegene Benzinpreise tun ihr übriges. Die Kosten für die WJT-Pilgerreisen liegen demnach diesmal zwischen 800 und 1.500 Euro.

Zweiklassengesellschaft unter Teilnehmenden

Das Problem höherer Kosten beobachten auch Bistums-Organisatoren der Fahrten. Marianne Bauer verantwortet die Fahrt für rund 300 Jugendliche aus dem Erzbistum Köln, deutlich weniger als bei den vergangenen Fahrten: "Bei der Teilnahme der Fahrt erleben wir immer mehr eine Zweiklassengesellschaft. Es gibt Jugendliche, die es sich absolut nicht leisten können; und es gibt Familien, die die Summen gerade so aus der Hand schütteln."

Gleichzeitig, so Bauer, wägten Jugendliche ihr Urlaubsbudget genau ab zwischen WJT und anderen Reisen, etwa mit Freunden. In Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis sei ein Weltjugendtag mit Massenunterkünften schwierig zu vermitteln.

Ähnliche Überlegungen kennt Michael Langer, verantwortlich für das Bistum Mainz. Gerade junge Arbeitnehmer zögerten wegen ihrer Urlaubstage. Die Bus-Pilgerfahrt des Bistums Mainz dauert 19 Tage. Mehrfach habe Langer rückgemeldet bekommen, dass man den großen Teil des Jahresurlaubs dafür nicht einsetzen möchte. Nun reisen junge Leute aus dem Bistum Mainz auch noch mit einer Gruppe per Flugzeug. Zeitlich und finanziell konkurriert der WJT also mit vielen anderen Freizeitmöglichkeiten, teils auch noch mit Prüfungszeiten an Hochschulen.

Jugendbischof Wübbe: Weltjugendtag wegen Kirchenkrise umso wichtiger

Der Weltjugendtag in Lissabon geht endlich los. Vertreter der Deutschen Delegation haben zum Auftakt betont, welche Bedeutung dieser angesichts der Krise der Kirche hat. Gleichzeitig wollen sie Missstände in Kirche und Gesellschaft ansprechen.

Christel Quiring organisiert zum fünften Mal für das Bistum Trier die Fahrt zum WJT. Sie sieht finanzielle Gründen eng mit den Folgen der Corona-Pandemie verknüpft: Viele Bistümer bieten Zuschüsse für Jugendliche, die sich das Pilgern sonst nicht leisten könnten. Quiring glaubt, dass sich nur wenige Familien damit direkt bei ihr melden. In früheren Jahren hätten dann Pfarrer oder andere Verantwortliche vor Ort vermittelt; solche Strukturen seien aber genauso wie viele Jugendgruppen in der Pandemie weggebrochen.

"Wenn sich Firmlinge nur digital kennenlernen, dann kann keine Gemeinschaft entstehen", beschreibt Quiring die Situation der vergangenen Jahre in vielen Pfarreien. Im Teilnehmerfeld der Trierer Gruppe spiegelt sich das: Waren bei vergangenen Fahrten viele bestehende Kleingruppen dabei gewesen, seien nun unter Quirings 274 Trierer Pilgerinnen und Pilgern vor allem Einzelreisende.

"Es spielt unterschwellig auch immer noch eine große Rolle, dass der Weltjugendtag so eine Massenveranstaltung ist", sagt Marianne Bauer aus Köln. Genau das hat in der Gruppe des Bistums Trier sogar zu mehreren Absagen nach dem Vorbereitungswochenende geführt. "Wir waren mit 200 Menschen in einer Schule zusammen, und es gab bei einzelnen Panikattacken", erzählt Quiring. "Durch die Pandemie haben die Jugendlichen ja etwas Ähnliches noch nicht erlebt, und mehrere haben gesagt: Das war mir zu viel." Bei der Normalität, mit der hier in Lissabon Menschenmengen zusammenkommen, wird leicht vergessen, wie drastisch die Pandemie insbesondere bei Jugendlichen Spuren hinterlassen hat.

Zahlen haben auch mit Vertrauensverlust der Kirche zu tun

"Anders als in anderen Ländern fand in Deutschland zur Pandemiezeit nahezu gar keine Jugendarbeit mehr statt", so die Bischofskonferenz. Der Blick auf die Teilnehmendenzahlen aus dem Ausland überrascht wenig, sind die Länder mit großer katholischer Bevölkerung und räumlicher Nähe zu Portugal gut vertreten: Allein aus Spanien werden rund 75.000 junge Menschen in Lissabon erwartet, 65.000 aus Italien sowie 40.000 aus Frankreich.

Einig sind sich Bistumsverantwortliche, Bischofskonferenz und auch der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ): Die geringen Zahlen haben auch mit Vertrauensverlust in die katholische Kirche zu tun. Immer weniger junge Menschen haben einen Bezug zu ihr, viele treten aus. "Die Kirche als Institution und auch der Papst sind für viele junge Menschen immer weniger glaubwürdig", sagt BDKJ-Bundespräses Stefan Ottersbach. Auch Marianne Bauer aus Köln hat solche Rückmeldung gerade von bisher kirchlich sehr aktiven Jugendlichen bekommen: "Manche sagten, es passe für sie gerade nicht, ein Friede-Freude-Eierkuchen-Glaubensfest in dieser Kirchenkrise zu feiern".

Fragt man deutsche Jugendliche in Lissabon, sagen viele eher das Gegenteil. Sie trennen ihren Glauben und die Institution Kirche. "Ich will die kirchenpolitischen Debatten hier mal außen vor lassen – es tut gut, hier das ins Zentrum zu stellen, was ins Zentrum gehört", sagt der 24-jährige Silas Müller aus Mainz. Ein Fakt aus den Statistiken kann auch nicht ganz außen vor gelassen werden: Der Anteil junger Menschen in Deutschland ist so klein wie noch nie. Und so sind die Gründe für die deutlich geringere Zahl letztlich nichts anderes als ein Spiegel kirchlicher und gesellschaftlicher Realitäten in Deutschland.

Von Nicola Trenz (KNA)