Die Vermittlung von Glaubensinhalten gelingt besonders in sakralen Räumen

Kirchenführer: Tabernakel stört es nicht, dass wir die Kirche erkunden

Veröffentlicht am 26.08.2023 um 12:00 Uhr – Von Lilli Feit – Lesedauer: 

Bonn ‐ Kirchenführungen bedeuten heute auch Transferarbeit, denn immer weniger Menschen haben eine Verbindung zu Glaube und Kirche. Neue Konzepte versuchen, dem Trend der Entfremdung zwischen Kirche und Gesellschaft entgegenzuwirken.

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Von Erstklässlern bis hin zu Bundeswehrgenerälen – Konstantin Manthey hat schon die unterschiedlichsten Gruppen durch die Berliner Kirchenlandschaft geführt. Seit 2017 engagiert er sich im Vorstand des Bundesverbandes Kirchenpädagogik und bildet als Referent an der Katholischen Akademie in Berlin auch selbst Kirchenführer aus. "Menschen sollen durch Kirchenführungen mit Glaubensinhalten in eine Auseinandersetzung treten", erklärt Manthey. Mit seinen eigenen Führungen versucht er, Menschen den Raum Kirche mit Kopf und Herz zu erschließen.

Die Arbeit mit Schulkassen gehört für Manthey zum Kerngeschäft. Bei Kindern und Jugendliche erlebt er dabei eine besondere Offenheit dafür, Kirchräume mit den Sinnen zu erfahren. Zum Beispiel indem sie den Weihestein im Gemäuer der Kirche suchen oder mit verbundenen Augen die fünf Weihekreuze auf dem Altar ertasten. Auch jede noch so kleine Kirche wird so zum spannenden Erlebnisraum, sagt Manthey. Besonders Heiligenstatuen sind für Kinder oft interessant. Bei Fragen über ihre Kleider wie den blauen Mantel Mariens und Attribute wie den Lilienstab des Josef kommen dann auch Glaubensinhalte zur Sprache. Jugendliche hingegen bringen oft eigene Fragen an den Glauben mit. Das hat Manthey zuletzt bei einer Führung mit einer Klasse erlebt, in der der Großteil der Schülerinnen und Schüler muslimisch geprägt war. "Die wollten alles über die Beichte wissen und waren fasziniert von diesem Modell von Vergebung", sagt der Kirchenführer. Die Fragen zur Beichte kamen den Jugendlichen durch Serien, in denen Menschen die Beichte ablegten.

Tanzend durch das Mittelschiff hüpfen?

Aber nicht nur Kinder und Jugendliche wollen den Kirchraum spielerisch erkunden. Mit einer guten Vertrauensgrundlage funktioniert das auch mit Erwachsenen, weiß Manthey. Tanzend durch das Mittelschiff hüpfen oder sich vor dem Altarraum flach auf den Boden zu legen, um das Kuppelgewölbe auf sich wirken lassen? Für den Kirchenführer gehört auch das zum didaktischen Repertoire. "Auf manch einen mag das befremdlich wirken, aber ich sage immer: Das Allerheiligste im Tabernakel stört es nicht, dass wir die Kirche erkunden", scherzt er. Trotzdem achtet er darauf, mit seinen Gruppen die Betenden nicht zu stören. "Mir ist aber noch keiner allein in den Altarraum vorgeprescht", betont der Kirchenführer. Den Grund für die Zurückhaltung sieht er besonders in den architektonisch-künstlerischen Raumgrenzen – zwischen Chor und Mittelschiff, zwischen Empore und Kirchenbank oder eben dem verschließbaren Beichtstuhl – die sich allen Menschen intuitiv erschließen würden.

Bild: ©

Der Speyerer Dom gilt als größte erhaltene romanische Kirche Europas.

Friederike Walter, Kultur-Managerin des Speyerer Doms, sieht in Kirchräumen neben einem Raum für Gottesdienste, das persönliche Gebet oder auch Konzerte zudem einen Lernort im interreligiösen Dialog. Mit einer Delegation der palästinensischen Stadtverwaltung aus Jericho erkundete sie jüngst das Hauptportal der Kathedrale. Die hier dargestellte Szene der Versuchung Jesu durch den Teufel soll im Wadi Qelt in der Nähe der Stadt Jericho stattgefunden haben. Gerade von muslimischer Seite nimmt Walter bei Führungen ein starkes Interesse an den Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum wahr. Sei es anhand der biblischen Orte oder der katholischen Heiligen wie Maria, die im Islam ebenfalls eine bedeutende Rolle einnimmt.

Auch bei interreligiösen Gruppen werden so Glaubensinhalte transportiert. "Den Dom kann man nicht areligiös erklären. Die ganze Architektur, die christliche Zahlensymbolik und das Bildprogramm ist ja Glauben pur", sagt Walter. Der Dom sei eben errichtet worden, um Glaubensinhalte erfahrbar, erkennbar und erlebbar zu machen.

Wachsende Aufgabe bei zurückgehender Kirchenbindung

Das ist eine Aufgabe, die heute umso wichtiger wird: Weniger als die Hälfte der Deutschen gehören einer der großen Kirchen an, auch das religiöse Vorwissen in der Bevölkerung nimmt stetig ab. Dass Kirchenführungen diesen Trend aufhalten können, glaubt Walter allerdings nicht. Als Reaktion auf die Säkularisierung empfiehlt sie statt missionarischen Eifers ein Gespür für die Bedürfnisse der jeweiligen Besucher. "Unsere Kirchräume bieten ein offenes Angebot an Orientierung, an Wissen und auch als Ruheoasen" – und das nicht nur für Kirchenmitglieder. Bei wem dann ein Gesprächsbedarf aufkomme, der finde vor Ort auch Kontaktmöglichkeiten zu Seelsorgerinnen und Seelsorgern.

Auch Konstantin Manthey sieht in Kirchräumen Orte der Orientierung für Menschen. Kirchenführer allein sieht er in dieser auch seelsorgerisch relevanten Funktion aber überlastet. Um die Fragen von Kirchenbesuchern aufzufangen, fordert er vielmehr eine umfassende kirchenpädagogische Ausbildung von Hauptamtlichen in Kirchräumen. Priester und Gemeindereferenten will er besser dafür rüsten, Menschen und ihre Biografien mit Kirchräumen in Beziehung zu setzten. Derzeit kommt dem Theologen und Kirchenhistoriker die Kirchenpädagogik in der Ausbildung der Hauptamtlichen aber noch deutlich zu kurz. "Dabei ist das wesentlich vielversprechender, als wenn sie noch einen Katechismus drucken."

Von Lilli Feit