Theologe Peter C. Düren erklärt den Sinn der Ablass-Praxis

"Ein Ablass ist eine Amnestie"

Veröffentlicht am 05.04.2016 um 00:01 Uhr – Von Janina Mogendorf – Lesedauer: 
Heiliges Jahr

Augsburg ‐ Im Heiligen Jahr durchschreiten Pilger Heilige Pforten, um ein Zeichen der Umkehr zu setzen und einen Ablass zu gewinnen. Was aber ist ein Ablass genau? Wieso kann die Kirche ihn gewähren? Der Theologe Peter C. Düren gibt Antworten.

  • Teilen:

Frage: Herr Düren, wieso gerade das Thema Ablass?

Düren: Als Theologe beschäftige ich mich gerne mit umstrittenen theologischen Fragen. Vielfach herrschen falsche Vorstellungen über den Ablass. Auch Katholiken lassen ihn gerne unter den Tisch fallen. Im alten Gotteslob wurde noch an drei Stellen auf den Ablass verwiesen, im neuen nicht mehr. Ich halte es für bedenklich, wenn man so mit Glaubenslehren verfährt, weil man mit ihnen nichts mehr anfangen kann.

Frage: Die Päpste halten allerdings an der Ablasspraxis fest…

Düren: Ja, auf diese Weise legen sie den Gläubigen dar, dass der Ablass etwas Besonderes ist, was sie wieder in ihre Frömmigkeit einbauen sollten. Wie seine Vorgänger hat nun auch Papst Franziskus ein außerordentliches Heiliges Jahr ausgerufen, das auf Vergebung der Sünden jedes einzelnen und den Nachlass der Sündenstrafen abzielt.

Frage: Was genau versteht man unter einem Ablass?

Düren: Vielfach wird angenommen, dass es sich bei einem Ablass um die Vergebung der Sünden handelt. Das ist aber ein Missverständnis. In der katholischen Lehre wird unterschieden zwischen der Schuld, die man durch eine Sünde auf sich lädt, und der Strafe, die der Sünder dafür erleiden muss. Bei der Beichte kann der Priester einen Menschen von der Schuld freisprechen. Trotzdem erhält dieser eine Strafe. Das ist vergleichbar mit dem Strafrecht: Wenn ein Bankräuber eine Bank ausraubt, kann er sich entschuldigen und das Geld zurückgeben. Seine Haftstrafe muss er trotzdem absitzen. Der Ablass ist also nicht Vergebung der Sünde, sondern ein Nachlass der ausstehenden Strafe für Sünden. Ein Ablass ist eine Amnestie: wie ein Strafgefangener vorzeitig aus dem Gefängnis, so kann auch ein Sünder vorzeitig aus dem Läuterungsort befreit werden.

Frage: Also die Vermeidung des Fegefeuers?

Düren: Ja, im Fegefeuer leiden die armen Sünder daran, dass sie Gott nicht schauen können, also unter seiner Abwesenheit, und unter sinnlichen Strafen, also Schmerzen der Seele. Während es in der Hölle keine Hoffnung auf Erlösung gibt, bedeutet Fegefeuer eine zeitlich begrenzte Entbehrung. Der vollkommene Ablass, den man im Heiligen Jahr täglich empfangen kann, erspart den Menschen das Fegefeuer.

Bild: ©privat

Peter Christoph Düren ist Theologischer Referent im Bischöflichen Ordinariat Augsburg.

Frage: Welche Schritte sind dazu notwendig?

Düren: Voraussetzung für den Jubiläumsablass ist, dass sich ein Sünder wirklich von seiner Sünde lossagt, also nicht vorhat, nach dem Ablass fröhlich weiter zu sündigen. Außerdem legt er die Beichte ab und empfängt die Heilige Kommunion. Der Gläubige sollte ein Gebet in den Anliegen des Papstes sprechen, in der Regel "Vaterunser" und "Ave Maria". Und man durchschreitet eine Heilige Pforte, betet das Glaubensbekenntnis und meditiert eine gewisse Zeit über die Barmherzigkeit Gottes.

Frage: Man kann alternativ zum Gang durch eine der Heiligen Pforte auch ein barmherziges Werk tun...

Düren: Ja, wer die Heilige Pforte nicht durchschreiten kann oder will, hat sieben geistliche oder leibliche Werke der Barmherzigkeit zur Auswahl. Zum Beispiel einen Trauernden trösten, einen Lästigen ertragen, einen Fremden aufnehmen, einen Hungernden speisen oder einen Kranken besuchen.

Frage: Gibt es auch andere Möglichkeiten, einen Ablass zu gewinnen?

Düren: Natürlich. Zu den täglichen Ablässen gehört das Beten des Rosenkranzes in der Kirche oder in Gemeinschaft und die halbstündige Eucharistische Anbetung. Zu den wiederkehrenden Ablässen im Kirchenjahr zum Beispiel das "Urbi et Orbi" des Papstes an Ostern und Weihnachten. Das Heilige Jahr hebt die Glaubenspraxis des Ablasses besonders hervor. In der Wertigkeit unterscheiden sich diese Ablässe aber nicht.

Frage: Wie kann die Kirche einen Ablass gewähren?

Düren: Die Kirche besitzt einen Schatz, der aus den guten Taten Christi und der Heiligen besteht. Aus diesem Gnadenschatz kann die Kirche Nachlässe der Sündenstrafen an Lebende verteilen, aber auch fürbittweise den Verstorbenen zuwenden.

Bild: ©picture-alliance/akg-images

Papst Clemens VII. und Ablasshändler auf einem Holzschnitt von Hans Holbein d.J. (um 1497-1543): Die Protestanten übten Kritik am Ablasshandel.

Frage: Ein protestantischer Kritikpunkt an der Ablasslehre ist, dass sich die Kirche dieses administrative Recht zuspricht …

Düren: Dass die Kirche den Gnadenschatz verwalten darf, liegt in ihrer Schlüsselgewalt begründet. Jesus sagt zu Petrus: "Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein." (Mt 16,19) Diese Vollmacht geht über die Grenze des Todes hinaus. Luther verurteilte in seinen Thesen vor allem den Gedanken, dass man sich durch Verrichtung bestimmter Werke ewiges Heil erkaufen kann. Protestanten beten aber auch nicht für Verstorbene, weil sie sagen, der Mensch kann nichts für das Heil der Verstorbenen tun.

Frage: Das sieht die katholische Kirche anders?

Düren: Katholiken sehen sich als Gemeinschaft, zu der die Heiligen des Himmels, die armen Seelen im Fegefeuer und die Gläubigen auf Erden gehören. Die eine Gruppe kann für die andere eintreten. Die Lebenden können für die Verstorbenen beten oder einen Ablass für sie gewinnen. Man beichtet die eigenen Sünden und widmet den Ablass dem Verstorbenen, um dessen Zeit im Fegefeuer zu erleichtern oder zu verkürzen.

Frage: Gibt es Sünden, die so schwer sind, dass sie nicht vergeben und auch die Sündenstrafe nicht gemildert werden kann?

Düren: Wer vor seinem Tod aus Liebe zu Gott seine Sünden aufrichtig bereut, dem werden sie vergeben, egal wie schwer sie wiegen. Das zeigt uns Jesus, der am Kreuz dem reuigen Schächer vergibt und ihm den sofortigen Eintritt in das Paradies zusagt (Lk 23,43). Ablass heißt im Lateinischen "Indulgentia". Das kann mit "Nachsicht" übersetzt werden oder auch mit "Zärtlichkeit". Gott will nicht, dass Seelen nach dem Tod gequält werden, sondern er will ihnen seine Liebe zuwenden.

Zur Person

Peter Christoph Düren (Jg. 1964) stammt aus Düren im Rheinland. Er studierte in Bonn Philosophie und Theologie und promovierte an der Universität Augsburg. Seit 1989 ist Düren Theologischer Referent im Bischöflichen Ordinariat Augsburg (Grundsatzfragen: Glaube und Lehre - Hochschule - Gottesdienst und Liturgie). Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von "Der Ablass in Lehre und Praxis", das in seinem Dominus-Verlag erschienen ist.
Von Janina Mogendorf