Franziskus überlässt die Messe aller Zeiten nicht den Traditionalisten

Aus für "Summorum Pontificum": Die wahre Tradition bestimmt der Papst

Veröffentlicht am 17.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit seinem neuen Motu Proprio hat Papst Franziskus die Feier der Alten Messe massiv eingeschränkt. Für Felix Neumann liegt in der Entscheidung ein klares Bekenntnis zur fortschreitenden Dynamik der Tradition: Der Weg der Kirche liege nicht darin, das Wahre im Gestern zu suchen. Eine Analyse.

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Selten hat Papst Franziskus so deutlich von seiner päpstlichen Vollmacht Gebrauch gemacht wie mit seinem Motu Proprio "Traditionis Custodes". Wächter der Tradition ist er, der Papst, in Gemeinschaft mit den Bischöfen – und nicht die traditionalistische Bewegung. Was die "Messe aller Zeiten" ist – ein Schlagwort der Traditionalisten –, das bestimmt der Papst. Das Narrativ der Tradition lässt sich der Pontifex nicht aus der Hand nehmen: "Wer mit Hingabe nach früheren Formen der Liturgie feiern möchte, findet im reformierten Römischen Messbuch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil alle Elemente des Römischen Ritus, insbesondere den Römischen Kanon, der eines seiner prägenderen Elemente darstellt", schreibt er kühl in seinem Begleitbrief – und das werden künftig wohl auch viele machen müssen: Die ohnehin bei einigen Bischöfen ungeliebte Parallelkirche, zu der sich die Gemeinden der Alten Messen oft entwickelt haben, hat es künftig schwerer. Sie steht deutlicher unter der Autorität des Ortsbischofs; junge Priester müssen große Hürden überwinden, wenn sie in der alten Form zelebrieren wollen; neue altrituelle Gemeinden sind schwerer zu errichten, und aus den Pfarrkirchen wird die Alte Messe gleich ganz verbannt.

Zugleich nimmt Franziskus in einem Nachsatz noch eine sinnvolle kleine Modifikation im Ritus vor: Das unwürdige Schauspiel, dass die Lesungen erst feierlich auf Latein vorgetragen werden, um dann noch einmal schnell-schnell vor der Predigt in Volkssprache heruntergelesen zu werden, hat ein Ende. Das Wort des lebendigen Gottes wird nun immer in einer lebendigen Sprache vorgetragen – seine Macht hat es durch den Inhalt, nicht durch eine magisch überhöhte Sprache, die nicht einmal die Sprache des Urtextes ist.

Die Alte Messe fahrtüchtig halten

Das ist bereits die zweite Verheutigung der älteren Form, die Franziskus vorgenommen hat, nachdem vor kurzem neue Heilige und neue Präfationen aufgenommen wurden. Doch er macht auch klar: Eine bloße Modernisierung des Alten ist seine Sache nicht. Das sind notwendige Korrekturen, um die Liturgie in der Spur der Kirche zu halten. Aber es sind nur Reparaturen, die die Fahrtüchtigkeit erhalten. Sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Liturgie der Gegenwart und der Zukunft die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßene der von ihm als unumkehrbar bezeichneten paulinischen Liturgiereform ist – das allerdings in ihrer Fülle. Gleichzeitig bleibt die klare Absage für allzu kreative Abweichungen vom Ritus bestehen, durchaus in Kontinuität mit Benedikt, leider auch mit der unkritischen und unreflektierten Verwendung des Wortes "Missbrauch" für die ungewünschten Abweichungen. Auch weiterhin kann der Papst nicht als Gewährsmann für ein liturgisches "anything goes" herangezogen werden.

Bisher war es die Methode Franziskus, vieles im Ungefähren und Testballons steigen zu lassen, Entwicklungen abzuwarten und nur gelegentlich vorsichtig wieder einzufangen. Das kann man jesuitisch nennen: mit Indifferenz an eine Sache herangehen, sie einer sorgfältigen Unterscheidung unterziehen, vielfältige Stimmen hören. Nun also ein Machtwort, mit dem deutlich wird, was das Primat des Papstes in seiner Fülle bedeutet: "Summorum Pontificum", eines der großen Vermächtnisse seines Vorgängers Benedikts XVI., wurde einfach kassiert, unzeremoniell und ohne viel Federlesen in der Schlussbestimmung außer Kraft gesetzt, ohne es dabei auch nur beim Namen zu nennen. Auch das ist jesuitisch: Nach Indifferenz und Unterscheidung kommt die klare Entscheidung – und zwar von oben.

Dass etwas dräut, war lange klar. Auf Anweisung des Papstes hin hatte die Glaubenskongregation – nicht die noch damals unter Leitung des Freundes der Alten Messe, Kardinal Robert Sarah, stehende Liturgiekongregation – 2019 die Bischöfe der Welt nach ihren Erfahrungen befragt. Schon da ahnten ihre Befürworter nichts Gutes, Fürsprecher wie Sarah wurden in Stellung gebracht, eigene Umfragen in Auftrag gegeben, der Alten Messe der Spin einer die Jugend begeisternden Form mitgegeben. Dass die Entscheidung aber so klar und so verheerend für die Alte Messe ausfallen würde, ist eine große Überraschung. Nach der zunehmenden Liberalisierung erst durch Papst Johannes Paul II., der das Schisma der Lefebvristen abwenden wollte, dann durch Benedikt XVI., der die Alte Messe mit echter Zuneigung und Sehnsucht betrachtete, greift Franziskus weiter zurück in der Tradition und stellt sich in eine Reihe mit Papst Pius V. und der tridentinischen Liturgiereform, die Riten ohne 200-jährige Tradition klar abgeschafft haben.

Bild: ©KNA

Bereits während der dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils feierte Papst Paul VI. 1964 mit Bischöfen aus fünf Erdteilen erstmals die Messe in Konzelebration.

Eine solche klare Abrogation alter Riten hatte auch Paul VI. mit seiner Liturgiereform im Sinn. Eine Hermeneutik der Kontinuität, wie sie Benedikt XVI. mit "Summorum Pontificum" und der Fiktion eines einheitlichen Ritus in zwei mehr oder weniger parallelen Formen vertreten hat, wäre Paul VI. nicht in den Sinn gekommen. Dem Konzilspapst war klar, dass die Bewegung Lefebvres nicht nur in der hergebrachten Form zelebrieren wollte. Sie wollte die Erkenntnisfortschritte des Konzils zurückdrehen. Nur auf den ersten Blick gehe es beim Liturgiestreit um eine Kleinigkeit, sagte er gegenüber dem Philosophen und Schriftsteller Jean Guitton. "Aber diese Messe, wie wir sie in der Ecône sehen, bekannt als die Messe des Heiligen Pius V., wurde zum Symbol der Verurteilung des Konzils. Ich werde jedoch unter keinen Umständen akzeptieren, dass das Konzil durch ein Symbol verurteilt wird", betonte der Papst: Wenn diese Ausnahme akzeptiert werde, werde zugleich das gesamte Konzil und seine apostolische Autorität erschüttert.

Paul VI. hatte die Alte Messe abgeschafft

Papst Franziskus stellt sich nun in diese tatsächliche Kontinuität und nicht in die fingierte Kontinuität von "Summorum Pontificum": Der Römische Ritus hat eine Form – und nicht zwei, eine ordentliche und eine außerordentliche. Die Feier der Messe in ihrer durch Paul VI. und Johannes Paul II. festgelegten Gestalt ist der "einzige Ausdruck der 'lex orandi' des Römischen Ritus", schreibt der Papst bis hin zu Wortwahl und Satzbau in direkter Konfrontation mit seinem Vorgänger, der die Alte Messe "als außerordentliche Ausdrucksform derselben 'Lex orandi' der Kirche" gelten lassen wollte.

Franziskus teilt auch die Befürchtungen von Paul VI., dass Liturgie nicht nur eine Frage der Ästhetik sei. Mit Verweis auf Pius V. betont Franziskus die Funktion der Liturgie für die Einheit der Kirche, und die Gefahr und die spalterischen Tendenzen, die von einem "Bi-Ritualismus" in der lateinischen Kirche ausgehen. Zwar sei die Offenheit seiner Vorgänger großzügig und auf den liturgischen Frieden hin ausgerichtet gewesen. Diese Großzügigkeit sei aber ausgenutzt worden, um zu spalten. Mit der Zurückweisung der neuen Liturgie ginge oft zugleich die Zurückweisung des Zweiten Vatikanums einher. Behauptungen, dass das Reformkonzil des 20. Jahrhunderts die Tradition und die wahre Kirche verraten würden, weist Franziskus klar zurück – der Pfad der Kirche müsse gerade gesehen werden in einer Dynamik der Tradition, von den Aposteln an.

Bild: ©KNA

Die traditionalistische Priesterbruderschaft Pius X. wurde 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre (Bild) in Ecône gegründet und versteht sich selbst als Bollwerk gegen die vermeintlichen Irrlehren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Mit den unerlaubten Bischofsweihen von 1988 begab sich die Gemeinschaft in das offizielle Schisma mit Rom. Äußeres Zeichen der Ablehnung ist unter anderem die Feier der sogenannten Tridentinischen Messe.

Das wiederum passt in die Spur anderer Entscheidungen im Pontifikat von Franziskus. So wie die Entdeckung des Gewissens und der Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanum nur durch ein dynamisches Verständnis von Tradition zu rechtfertigen ist, ist auch die zwar bei den Vorgängerpäpsten grundgelegte, aber mit Blick auf die Geschichte der Moraltheologie einen Bruch darstellende kategorische Verurteilung der Todesstrafe im Katechismus durch Papst Franziskus nicht mit einem Traditionsverständnis zu verbinden, das weder Entwicklung noch Lernfähigkeit kennt.

In der Spur von Franziskus' Pontifikat

Franziskus zeigt auch, dass er nicht zu Kompromissen bereit ist, die nur um eines falschen Friedens willen geschlossen werden. Das Motu Proprio ist eine klare Ansage: Der Weg der Kirche ist es nicht, im Heute nur Verfall zu sehen und das Erhabene und Wahre im Gestern. Der Weg der Kirche ist der einer dynamischen Tradition, die aus der Vergangenheit auf die Zukunft hin ausgerichtet ist.

Zuletzt hatten die Kardinäle Zen und Sarah "Summorum Pontificum" dafür gepriesen, einen schwelenden Konflikt beigelegt zu haben, Sarah nannte Benedikt XVI. einen "Papst des liturgischen Friedens". Schwingt in solchen Aussagen eine unterschwellige Drohung an Franziskus mit? Was werden die nun an den Rand und aus den Pfarrkirchen gedrängten Freunde der Alten Messe tun, wenn der immer noch hochverehrte "Papst des liturgischen Friedens" noch zu seinen Lebzeiten von seinem Nachfolger so vor den Kopf gestoßen und der große Kompromiss aufgekündigt wird? Die Liturgiereform hat schon einmal zu einem Schisma geführt. Franziskus scheint bereit zu sein, einige am Wegrand zurückzulassen, die seinen Weg einer dynamischen Tradition nicht mitgehen wollen.

Von Felix Neumann