Interview mit griechisch-orthodoxem Erzpriester Miron

ACK-Vorsitzender zum Ukraine-Krieg: Front verläuft durch unsere Kirche

Veröffentlicht am 23.04.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Brühl ‐ Im Ukraine-Krieg sieht der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Erzpriester Radu Constantin Miron, auch eine "ökumenische Herausforderung". Im katholisch.de-Interview spricht er über den Konflikt und darüber, ob er die Einheit der orthodoxen Kirche in Gefahr sieht.

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Radu Constantin Miron ist griechisch-orthodoxer Erzpriester und seit 2019 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Im katholisch.de-Interview spricht er über Spannungen in der Orthodoxie und darüber, welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg auf die Ökumene hat. 

Frage: Herr Erzpriester Miron, seit Wochen herrscht Krieg in der Ukraine und immer wieder wird – vor allem hier im Westen – der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. kritisiert, weil der sich auf die Seite Putins stellt und den Krieg sogar religiös legitimiert. Wie geht es Ihnen als orthodoxem Geistlichen, wenn Sie solche Wortmeldungen hören?

Miron: Sie können sich vorstellen, dass das die schlimmsten Momente im Leben eines orthodoxen Christen und eines Geistlichen sowieso sind. Die Front verläuft mitten durch unsere Kirche, das muss man so sagen. Ich bin im Westen Deutschland geboren und aufgewachsen und wir hatten immer die Schwierigkeit, dass ein Teil unserer Kirche in der Unfreiheit lebt und sich entsprechend nicht äußern konnte oder sich anders äußern musste, als man es erwartet. Eigentlich dachte ich, dass diese Zeit vorbei ist. Ich erlebe es jetzt sehr schmerzhaft, dass das nicht so ist.

Frage: Sie sagen, dass die Front durch Ihre Kirche verläuft. Wie würden Sie die Stimmung in der orthodoxen Kirche insgesamt gerade beschreiben?

Miron: Sie ist von großer Ungleichzeitigkeit geprägt. Viele meiner orthodoxen Mitchristinnen und Mitchristen leben hinter dem neuen Eisernen Vorhang der Informationsunfreiheit und konsumieren die Nachrichten so, wie sie serviert werden und das ist schon sehr schwierig nachzuvollziehen. Wir leben hier Gott sei Dank in einer Gesellschaft, die zwar auch mit Fake News konfrontiert wird, aber wir können sie wenigstens als solche identifizieren.

Ein Kreuz mit einem Panzer im Hintergrund
Bild: ©picture alliance / AA / Ali Atmaca

Spannungen in der orthodoxen Kirche habe es auch schon vor dem Ukraine-Krieg gegeben, sagt Erzpriester Radu Constantin Miron. "Es ist also sicherlich keine neue Entwicklung, aber sie ist sicherlich unerwartet in ihrer Schärfe und ihrer immer offensichtlicher werdenden religiösen Pointierung."

Frage: Gab es diese Spannungen schon länger oder sind das neue Entwicklungen?

Miron: Es gibt dieses Narrativ der sogenannten russischen Welt: "Russkij Mir". Übersetzt kann das auch "russischer Friede" bedeuten und klingt dann noch zynischer. Seit einigen Jahren wird die Schaffung dieser "russischen Welt" damit propagiert, dass die russischen Staatsmedien eine Opferhaltung herbeikonstruieren: Wir werden nicht verstanden, wir werden nicht akzeptiert, wir müssen unsere Werte verteidigen. Ganz offensichtlich gibt es Kreise in Russland, die dieses Narrativ jetzt erst recht für anschlussfähig halten. Es ist also sicherlich keine neue Entwicklung, aber sie ist sicherlich unerwartet in ihrer Schärfe und ihrer immer offensichtlicher werdenden religiösen Pointierung.

Frage: Sehen Sie die Einheit in der Orthodoxie insgesamt in Gefahr?

Miron: Natürlich haben wir eine Krise in der Orthodoxie, die schon seit einigen Jahren herrscht. Sie hat mit der offensichtlich politisch motivierten Absage der russisch-orthodoxen Kirche und anderer Kirchen begonnen, am Großen und Heiligen Konzil von Kreta 2016 teilzunehmen. Das war damals sehr überraschend und im Nachhinein versucht man natürlich, die Dinge zu verstehen und zu erklären. Dass hier eine politische Einflussnahme auf die Kirche insbesondere in Russland stattgefunden hat, kann man nach dem 24. Februar 2022 durchaus sagen, glaube ich. Ich glaube aber auch, dass die Orthodoxie mehr ist als das Fehlverhalten oder der Sonderweg einzelner Personen.

Frage: Sie sind auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland. Die Mitgliederversammlung hat die russische Invasion in einer Erklärung deutlich verurteilt. Warum war das so wichtig?

Miron: Wir hatten ein sehr gutes und offenes Gespräch in der ACK. Es gab unterschiedliche Stimmen, was die Notwendigkeit einer Erklärung betrifft – nicht aber bei der Einschätzung der Situation allgemein. Manche haben gesagt: Ist das jetzt nötig, dass auch wir etwas verurteilen, was schon von so vielen Gremien und Stellen verurteilt wurde? Aber die einstimmig angenommene Resolution hat gezeigt, dass es auch das Privileg der Kirche ist, Zeugin der Wahrheit zu sein. Man kann solche grausamen Dinge nicht schönreden und Krieg, Invasion und Unrecht müssen namentlich benannt werden. Das haben die Kirchen getan – und gleichzeitig auch deutlich gesagt, dass wir die Türen zu unseren russisch-orthodoxen Geschwistern nicht zuschlagen. Sie sind Teil der Ökumene und wir schätzen sie als Gesprächspartner, weil wir davon ausgehen, dass sie zumindest hier im Westen frei sprechen können. Es ist immer leicht, aus der Wärme der Freiheit Ratschläge zu geben, aber es darf nicht sein, dass wir diese Solidarität mit unseren Geschwistern dahingehend auslegen, dass wir auch hier Denk- und Sprechverbote praktizieren. Natürlich sind wir als ACK aber auch gegen jede Form der Russenfeindlichkeit.

„Diese Zeitenwende ist für uns alle eine ganz neue Situation und betrifft alle Bereiche, ob es die Gasrechnung ist oder das Sonnenblumenöl im Supermarktregal.“

—  Zitat: Erzpriester Radu Constantin Miron

Frage: Gab es denn im Vorfeld Abstimmungsprobleme oder sogar Streit, bevor die Erklärung verabschiedet wurde? Zur ACK in Deutschland gehören ja auch die russisch-orthodoxen Kirchen, die dem Moskauer Patriarchat unterstehen …

Miron: Die russisch-orthodoxe Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört, ist Teil der Delegation der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD). Sie ist also kein eigenes Mitglied – und könnte daher übrigens auch gar nicht ausgeschlossen werden, was manche fordern. Seit 2018 nimmt diese russisch-orthodoxe Delegation aufgrund von innerorthodoxen Spannungen – Stichwort ist auch hier die Ukraine – nicht mehr an den Sitzungen der OBKD und der ACK teil. Sie ist allerdings weiterhin Mitglied der Orthodoxen Bischofskonferenz und es gibt auch weiterhin Gesprächsverbindungen mit den Vertretern. Wir sind nach wie vor eine Kirche.

Frage: Nehmen Sie denn wahr, dass der Ukraine-Krieg grundsätzlich Einfluss auf die Ökumene in Deutschland hat?

Miron: Diese Zeitenwende ist für uns alle eine ganz neue Situation und betrifft alle Bereiche, ob es die Gasrechnung ist oder das Sonnenblumenöl im Supermarktregal. Natürlich ist das gerade auch für die Kirchen, die sich sehr in der Friedensarbeit engagieren, eine ganz neue Situation und verändert auch die Beziehungen der Kirchen untereinander. Ich würde nicht sagen, dass sich die Beziehungen verschlechtert haben, aber man achtet mehr auf die Sprache und darauf, was man gemeinsam tun kann. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass wir die christliche und die ökumenische Solidarität neu entdecken. Ich habe noch nie so viele Anfragen bekommen, wo es orthodoxe Gottesdienste gibt, wie in den vergangenen Wochen.

Frage: Inwiefern können die christlichen Kirchen dazu beitragen, Konflikte zu überbrücken?

Miron: Ich kann für mich sagen, dass ich sehr daran interessiert bin, mit den Kirchen, die sich gerne als Friedenskirchen bezeichnen, ins Gespräch zu kommen. Es gibt gerade große friedensethische Diskussionen, egal, ob es um Waffen für die Ukraine oder um eine pazifistische Weltsicht geht. Wir haben im August und September die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Da wird die ganze Welt nach Karlsruhe kommen. Dort werden dann auch Kirchenvertreterinnen und -vertreter zusammenkommen, die zum Beispiel aus Ländern des globalen Südens kommen und eine ganz andere Sicht auf diesen Konflikt in Europa haben. Als Kirchen sind wir in diesem Konflikt besonders gefragt – das betrifft auch die römisch-katholische Kirche, die nicht Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen ist, sich aber natürlich auch friedensethisch und diplomatisch bemüht. Das ist eine ökumenische Herausforderung.

Von Christoph Brüwer