Christina Köß über ihren Beruf als Religionslehrerin

"Kein Ringelpiez mit Anfassen"

Veröffentlicht am 03.11.2015 um 00:01 Uhr – Von Julia-Maria Lauer – Lesedauer: 
Serie: Berufe in der Kirche

Bonn ‐ Ursprünglich wollte Christina Köß gar nicht Lehrerin werden. Den Religionsunterricht, den sie selbst als Schülerin hatte, fand sie lange "miserabel". Nach einem Erweckungserlebnis in der Oberstufe kam jedoch alles ganz anders.

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Christina Köß ist Religionslehrerin an einem Gymnasium in der Nähe von Düsseldorf. Heute steht für die Siebtklässler das Thema "Flucht" auf dem Plan. Ohne lange Umschweife verdunkelt die Lehrerin den Raum und projiziert zwei Bilder an die Wand. Auf dem einen Gemälde sieht man Abraham unter einem Sternenhimmel, auf dem anderen Bild Menschen, die an einem Strand ihre Handys in den dunklen Nachthimmel strecken. Es sind Flüchtlinge auf der Suche nach Empfang. Nach einer Phase der Stille haben die Schüler Gelegenheit, zu beschreiben, was sie sehen. Manche fangen schon an zu interpretieren. "Der breitet die Arme aus, als würde er beten", sagt ein Mädchen. Eine andere Schülerin ergänzt: "Er fleht, als ob sein Leben davon abhängen würde." Anschließend teilt Köß die Klasse in zwei Gruppen, die sich anhand von Arbeitsaufträgen eigenständig mit jeweils einem Bild auseinandersetzen sollen.

Erweckungserlebnis in der Oberstufe

"Früher wollte ich gar nicht Lehrerin werden", berichtet die 37-Jährige mit dem blonden Kurzhaarschnitt. "Am Anfang stand einfach nur das Interesse an meinen beiden Fächern Religion und Deutsch." Schon als Jugendliche war sie aktiv in der kirchlichen Jugendarbeit, leitete eine Kindergruppe und fuhr als Begleiterin bei Sommerfreizeiten mit. "Aber ich hatte einen miserablen Religionsunterricht", sagt die Pädagogin. In der Oberstufe geschah dann, was sie heute als "Erweckungserlebnis" bezeichnet. Ein neuer Religionslehrer vermittelte das Fach in einer völlig anderen Weise. "Er hat immer wieder Exkurse in die Literatur und in die Kunst gemacht", erzählt sie begeistert.

Religionslehrerin Christina Köß
Bild: ©katholisch.de

Christina Köß ist Religionslehrerin aus Überzeugung. Literatur und Kunst liegen ihr für die Vermittlung des Glaubens besonders am Herzen.

Inspiriert vom guten Unterricht ihres Lehrers entschloss sich Köß für ein Studium der Fächer Religion und Deutsch an der Universität Bonn. Doch im Theologiestudium kamen schon bald erste Zweifel auf. "Spätestens bei den dogmatischen Fächern dachte ich, wie menschengemacht das doch alles war. Wieviel an diesen Glaubenssätzen ist aus einer Abwehrhaltung gegenüber so genannten Ketzern und Häretikern entstanden", gesteht die Religionslehrerin. Es kam zu einer Studienkrise, aus der eine Glaubenskrise wurde: "Ich wollte alles an den Nagel hängen und etwas ganz Anderes machen."

Aufgrund ihres Engagements in der Katholischen Hochschulgemeinde hatte die Studentin viele Ansprechpartner, die sie in dieser Situation auffangen konnten. Nach zahlreichen Gesprächen mit Priestern und Geistlichen fand sie wieder zurück zum Glauben. "Bei der spirituellen Begleitung habe ich gemerkt, dass Wissen und Glauben zusammengehören und natürlich vereinbar sind. Den Riss, den ich gefühlt hatte, konnte ich so überwinden", erklärt die Lehrerin. Sie entschloss sich endgültig, das Studium durchzuziehen, Examen zu machen und ins Referendariat zu gehen.

Bibel ist Grammatik der Religion

Für ihren Unterricht nimmt sich Köß immer viel vor. "Ich denke, Religion ist ein schwieriges Fach", zeigt sich die junge Lehrerin überzeugt. "Das ist kein Ringelpiez mit Anfassen und Abraham-Bildchen zum Ausmalen." Ganz wie ihrem früheren Religionslehrer liegen Köß Kunst und Literatur besonders am Herzen. Um den Kindern einen Zugang zur Bibel zu ermöglichen, greift sie gerne auf Rollenspiel und szenische Bilder zurück. Immer geht es darum, dass die Schüler sich selbst in die handelnden Figuren hineinversetzen. "Bibel lesen und dann ein bisschen drüber reden, das geht natürlich nicht", erläutert sie. Den Stellenwert der Bibel für den Religionsunterricht vergleicht Köß mit der Grammatik für die deutsche Sprache: "Die Bibel ist das Fundament. Daran kommt man nicht vorbei."

Beauftragt, um zu unterrichten

In der Regel läuft es so: Wer später ein bestimmtes Fach unterrichten möchte, der absolviert ein Studium, erhält nach den Abschlussprüfungen sein erstes Staatsexamen und kann das Referendariat antreten. Doch bei künftigen Religionslehrer gelten andere Regeln.
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Lehrerin Christina Köß erklärt, warum Religion ein besonderes Fach ist.

Audio: © Julia-Maria Lauer

Besonders zu kämpfen hat die Pädagogin mit festgefahrenen Meinungen der Schüler. Diese seien vor allem in der Mittelstufe ausgeprägt. "Die Jugendlichen kommen und sagen, was in der Bibel steht, sei nicht wahr", erzählt Köß. Als Beispiel führten sie die Schöpfungserzählung an. "Ich bin dann immer fassungslos. Wer sagt ihnen heute noch, dass die Welt in sieben Tagen entstanden sei?" Es sei dann unbedingt nötig, bei den jungen Leuten ein Symbolverständnis zu entwickeln. "Sie müssen lernen, zwischen die Zeilen zu blicken und zu sehen, worin die Wahrheit der Siebentagesschöpfung besteht. Die Bibel erzählt nicht das Wie, sondern das Warum", erklärt Köß. Auch andere Themen wie beispielsweise Homosexualität seien in der Pubertät äußerst heikel. Sie würde dann mit den Schülern darüber reden: "Ich mache den Schülern klar, dass homosexuelle Menschen in der Kirche genauso willkommen sein sollten wie alle anderen und dass ich das aus meiner Heimatgemeinde auch so kenne."

Mit der ganzen Person Zeugnis ablegen

Das Schöne am Fach Religion sei eben, dass es so sehr den Menschen betreffe, sagt Köß begeistert. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen fällt es ihr leicht, den Schwierigkeiten der Jugendlichen einfühlsam zu begegnen. Dabei müsse man als Lehrerin manchmal einen Spagat zwischen dem Verständnis für die kirchliche Lehre und der eigenen Meinung bewältigen. "Wenn ich von einem Schüler nach meiner persönlichen Überzeugung gefragt werde, dann sage ich diese auch. Denn als Religionslehrerin soll ich mit meiner ganzen Person hinter dem Fach stehen und Zeugnis ablegen", so Köß. Allerdings ist es ihr wichtig, dabei immer loyal gegenüber der Kirche zu bleiben.

Für viele Schüler sei diese Kirche weit weg, so Köß weiter. Sie würden zwar an Gott glauben, vielleicht auch irgendwie an Jesus. Die Institution Kirche fänden sie aber überflüssig. "Doch ohne Kirche geht es nicht", zeigt sich die Theologin überzeugt. Denn zum christlichen Glauben gehörten gewisse Grundlagen, denen jeder Christ zustimmen sollte. "Das Christentum ist eine Glaubensgemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird in der Eucharistie zusammengehalten, die wir zusammen mit dem Priester feiern. Ohne das wäre es nur ein diffuser Gottesglaube." Von einem Versagen der Kirche will Köß nicht sprechen. Sie sieht die Verantwortung eher bei den Jugendlichen: "Von kirchlicher Seite gibt es eine breite Palette an Angeboten. Jetzt ist es an den jungen Menschen, sich aufzumachen. Kirche und Schule können Möglichkeiten schaffen und den Horizont öffnen, aber auf den Glaubensweg begeben muss sich letztlich jeder selbst."

Religionslehrerin Christina Köß im Unterricht
Bild: ©katholisch.de

In der siebten Klasse behandelt Christina Köß das Thema "Flucht". Das haben sich die Schüler gewünscht.

Für Köß ist Glauben eine Haltung, die das ganze Leben eines Menschen betrifft. Glauben bedeute vor allem Vertrauen auf Gott und Vertrauen darauf, dass die Dinge gut werden. Verstehbar und tragbar würde dieser Glaube durch die Person Jesu Christi. "Er macht durch seine ganze Person, durch sein Leben, Sterben und Auferstehen diesen Gott verständlich", fährt sie fort. Zum Glauben gehört für die Mutter von zwei Kindern das Engagement. Sie selbst ist aktiv in ihrer Heimatgemeinde in Köln. Zusammen mit anderen bereitet sie Kindergottesdienste vor, liest die Lesung und teilt Kommunion aus. Obwohl es manchmal nicht leicht ist, Engagement, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, würde sich Köß immer wieder für ihre Arbeit als Religionslehrerin entscheiden: "Der Lehrerberuf macht mir große Freude. Ich stehe unglaublich gerne vor der Klasse."

"Flucht" ist schon Thema in der Bibel

Mittlerweile haben die Schüler ihre Arbeit in den Gruppen beendet. Mit roten Wangen stürmen sie zurück in den Klassenraum. "Wer ist bereit, seine Gedanken zum Abraham-Bild zu präsentieren?", fragt Köß. Einige Schüler melden sich. Während die Schüler reden, hält sich die Lehrerin zurück. "Gott hat Abraham beschützt und ihm ein Kind geschenkt, damit er viele Nachkommen haben wird", trägt Karl* vor. Eine andere Gruppe hat sich mit der wirtschaftlichen Situation der ostafrikanischen Länder auseinandergesetzt, aus denen am meisten Flüchtlinge nach Europa kommen. "Was könnte in den Flüchtlingen auf dem Bild vorgehen?", fragt Köß wieder. "Sie sind verzweifelt und haben Angst", denkt ein Mädchen. Niklas* sagt: "Oft fliehen die jungen Leute. Sie machen sich Sorgen um ihre Eltern und ihre kleineren Geschwister, die zurückgeblieben sind."

Da erklingt der Gong. Mit einem Schlag setzen Geschrei und Gewusel ein. Heute wird es nicht mehr darum gehen, dass "Flucht" schon in der Bibel ein großes Thema ist und dass man Abraham als ersten Flüchtling ansehen kann. Der Lehrerin gelingt es noch, eine Hausaufgabe aufzugeben. "Verfolgt bitte bis nächste Woche die Nachrichten!", ruft sie, bevor die Jungen und Mädchen mit ihren Schulranzen aus dem Klassenzimmer stürzen. Auch Köß hat es nun eilig. Denn zuhause wartet ihre jüngste Tochter in der Kita.

* Namen von der Redaktion geändert

Von Julia-Maria Lauer

Dossier: Berufe in der Kirche

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