Interview mit Rottenburg-Stuttgarter Priesteramtskandidat Patrick Wende

Seminarist: Kann mir Priester mit Familie gut vorstellen

Veröffentlicht am 25.02.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ "Ich möchte mich für eine Kirche einsetzen, die nach den Maßstäben und Werten Jesu Christi lebt und handelt", sagt Patrick Wende. Der 27-Jährige ist Priesteramtskandidat und spricht im katholisch.de-Interview auch darüber, warum er den Zölibat kritisch sieht, sich aber trotzdem darauf vorbereitet.

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Unter den Sprechern der unterschiedlichen Priesterseminare gebe es große Einigkeit, dass man weiter für eine zölibatäre Lebensform sei, sagte Marvin Schwedler, der Vorsitzende der Deutschen Seminarsprecherkonferenz, kürzlich in einem Interview. Patrick Wende kann sich dem allerdings nicht anschließen und hat deshalb die Redaktion von katholisch.de kontaktiert. Der 27-Jährige ist Priesteramtskandidat in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und absolviert aktuell sein Gemeindepraktikum. In Interview spricht er darüber, warum er Priester werden möchte und warum er sich auch Diakoninnen in der Kirche wünscht.

Frage: Herr Wende, der Vorsitzende der Deutschen Seminarsprecherkonferenz, Marvin Schwedler, hat in einem Interview gesagt, er nehme wahr, dass Priester heute massiv unter Generalverdacht stünden und kritisch beäugt würden. Nehmen Sie das auch so wahr?

Wende: "Generalverdacht" ist aus meiner Sicht ein schwieriger Begriff. Ich höre auch Aussagen wie: "Du willst in der heutigen Zeit Priester werden? Was willst du da? Schäm dich!" Aber solche Aussagen kommen nicht nur im Alltag vor, sondern auch in den eigenen Reihen in der Kirche, wenn manche Menschen erfahren, dass man sich für Reformen und eine innere Erneuerung der Kirche einsetzt. Entscheidend ist aus meiner Sicht aber, wie ich auf diese Fragen reagiere und wie ich meinem Gegenüber begegne. Wenn ich offen für andere bin, authentisch bleibe und zeige, wofür ich brenne, dann kommen die Menschen auch mir mehr entgegen und verstehen trotz ihrer Fragen, warum ich diesen Weg gehen möchte.

Frage: Mussten Sie sich in Ihrer Familie und vor Ihren Freunden dafür rechtfertigen, dass Sie Priester werden wollen?

Wende: Rechtfertigen musste ich mich dafür nicht. Zu Beginn kam allerdings schon die Frage auf, warum ich gerade diesen Beruf ergreifen möchte. Ich habe dann aber mit meiner Familie und meinen Freunden ausführlich darüber gesprochen und ihnen meine Entscheidung erklärt. Wenn sie mich jetzt beispielsweise in der Kirchengemeinde oder im Gemeindepraktikum erleben, wie es mich erfüllt und mir Spaß macht, dann bekomme ich ihre volle Unterstützung. Selbst wenn ich mal einen Tag habe, wo ich selbst zweifele, kann ich mich an meine Familie und meinen Freundeskreis wenden und mit ihnen reden. Sie sind eine sehr große Stütze und Bereicherung für mich.

Frage: Warum wollen Sie angesichts der Skandale in der Kirche überhaupt Priester werden?

Wende: Nach den jüngsten Skandalmeldungen schäme ich mich immer mehr für die Kirche als Institution. Aber ich bleibe dennoch, weil ich die Hoffnung in mir verspüre, dass dieses beschämende und verletzende System in sich zusammenbricht. Ich möchte mich für eine Kirche einsetzen, die nach den Maßstäben und Werten Jesu Christi lebt und handelt und nicht nach den Werten von irgendwelchen Vertuschern.

Ein Mann wird zum Priester geweiht
Bild: ©KNA/CIRIC/Corinne Simon (Symbolbild)

Vor seiner Familie und seinen Freunden musste Wende sich nicht dafür rechtfertigen, dass er Priester werden möchte – erklären musste er seine Entscheidung aber doch. "Sie sind eine sehr große Stütze und Bereicherung für mich", sagt er.

Frage: Können Sie also nachvollziehen, wenn es Menschen gibt, die es vielleicht nicht verstehen können, dass Sie jetzt Priester werden wollen?

Wende: Das kann ich komplett nachvollziehen. Es ist ja nicht üblich, dass ein junger Mann im 21. Jahrhundert Priester wird. Und ich kann es auch komplett nachvollziehen, wenn es Menschen gibt, die mit der Kirche nichts mehr anfangen können, die mit ihr hadern und austreten.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie sich manchmal auch für Ihre Kirche schämen. Was müsste sich denn aus Ihrer Sicht ändern, damit das nicht mehr so ist?

Wende: Ich schäme mich für meine Kirche, weil sie in vielen Dingen verlernt hat, menschlich zu sein. Dabei möchte ich nicht alles schlecht reden. Es gibt viele Gemeinden in unserem Land und auch anderswo, die das Gegenteil beweisen – zum Beispiel meine Heimatgemeinde, die ich als menschennah, bunt, offen und kreativ erlebe. Ändern sollte sich aus meiner Sicht aber, dass das nicht nur in einzelnen Gemeinden praktiziert wird, sondern auch von der Kirche als Institution umgesetzt werden sollte. Dazu sollte sich vor allem durchsetzen, was Jesus uns vorgelebt und aufgetragen hat: Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Annahme und Akzeptanz aller Menschen. Kirche sollte ein Ort der Vielfalt sein. Nach dem Evangelium zu leben, bedeutet auch, die Würde jedes Einzelnen zu achten.

Frage: Um das Leben von Priestern heute geht es auch beim Synodalen Weg. Wie blicken Sie denn auf die Diskussionen, die dort beispielsweise um das Priesterbild geführt werden?

Wende: Ich freue mich sehr über die letzten Entscheidungen, die beim Synodalen Weg getroffen wurden. Ich finde es wichtig, dass über den Zölibat und die Lebensform des Priesters gesprochen und darum gerungen wird. Das sind ganz wichtige Themen, die nicht vernachlässigt werden sollten. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass man die Priesteramtskandidaten, die sich auf diesen Weg vorbereiten, mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen mehr beim Synodalen Weg einbezieht.

„Natürlich gibt es viele Berufe, in denen man verkündigen kann, aber wenn man für den Dienst als Priester brennt, dann arrangiert man sich auch mit dem Zölibat.“

—  Zitat: Priesteramtskandidat Patrick Wende

Frage: Wie beurteilen Sie den Zölibat?

Wende: Ich möchte nicht sagen, dass ich den Zölibat verurteile, denn ich bereite mich auf diese Lebensform vor und finde sie in manchen Situationen auch bereichernd. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass Priester in Zukunft eine Familie haben können. Aus meiner Sicht geht es darum, die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen und nicht darum, in welcher Lebensform ich lebe. Ich erlebe schon, dass manche Priesterkandidaten während ihres Studiums aufgrund dieser Lebensform ihre Berufung sausen lassen, weil sie sagen, dass sie nicht zölibatär leben können.

Frage: Auf der einen Seite stehen Sie dem Zölibat also kritisch gegenüber, auf der anderen Seite verpflichten Sie sich als Priester dazu, ihn für den Rest Ihres Lebens einzuhalten. Wie halten Sie diesen Widerspruch aus?

Wende: Ich hinterfrage den Zölibat wie auch andere Dinge in meinem Studium und auch in der Kirche als Institution. Das gehört für mich zur persönlichen Reifung dazu. Ich verpflichtete mich als angehender Priester zwar zu diesen und anderen Dingen, es ist mir aber auch erlaubt, sie kritisch zu hinterfragen und meine Sichtweise anzusprechen. Einfach zu sagen, dass es eben so ist, ist aus meiner Sicht nicht richtig. Den Widerspruch halte ich durch meinen Glauben aus. Wenn man für etwas richtig stark brennt, kann ich persönlich auch bei den einen oder anderen Dingen Abstriche machen. Was mich trägt ist aber nicht nur das spirituelle Leben, sondern sind auch Freundschaften und meine eigene Familie. Das sind besondere, bereichernde Beziehungen für mich.

Frage: Manche Menschen sagen, dass man den Zölibat freiwillig annimmt, wenn man Priester wird. Es gebe ja auch andere Berufe, in denen man das Evangelium verkünden und Seelsorger sein kann. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?

Wende: Aus dem Glauben heraus sagen wir ja, dass dieser priesterliche Dienst, eine Berufung ist. Ich bin berufen zu diesem Dienst und damit nehme ich ja von mir aus diese Lebensform an. Sie ist ein Kriterium dafür, dass ich diese Berufung ausleben kann. Natürlich gibt es viele Berufe, in denen man verkündigen kann, aber wenn man für den Dienst als Priester brennt, dann arrangiert man sich auch mit dem Zölibat.

Frage: Wie nehmen Sie die Debatte über dieses Thema unter anderen Priesteramtskandidaten wahr? Gibt es da eher Einigkeit, oder auch Streit?

Wende: Es gibt unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen. Die eine Gruppe sagt: Priester müssen zölibatär leben, weil das die Lebensform Jesu Christi war und uns die Kirchenlehre das so vorschreibt. Aber es gibt auch eine andere Gruppe, die fragt: Ist das noch zeitgemäß? Ist das noch das richtige? Diese zwei Gruppierungen stehen sich gegenüber.

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Frage: In Rom gab es am Wochenende eine Konferenz zum Priesterbild. Auch da wurde über den Zölibat gesprochen und er wurde eher gelobt als kritisiert. Wie viel Spielraum sehen Sie bei dem Thema überhaupt noch?

Wende: Ich glaube, dass sich da in den nächsten Jahren vermutlich nichts ändern wird. Bei diesem Treffen hat Papst Franziskus betont, wie wichtig es ist, als zölibatär lebender Menschen Freundschaften zu pflegen. Da würde ich ihm auch zustimmen, denn ohne Freundschaften und ohne den Kontakt nach außen vereinsamt man in dieser Lebensform. Ich würde mir wünschen, dass es eine Lockerung gibt, denn ich bin überzeugt, dass Jesus keine Unterschiede machen würde, ob jemand im Zölibat lebt oder eine Familie gründet, denn letztlich geht es um die Frohe Botschaft. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die vielen jungen Menschen, die ihrer Berufung nachgehen und an diesem Punkt stehen bleiben, gehört werden und man bewusster auf ihre Nöte und Sorgen eingeht. Auch denen, die eine Familie gründen möchten, sollte man die Möglichkeit anbieten, Priester zu werden.

Frage: Könnten Sie sich vorstellen, in Zukunft auch Priesterkolleginnen zu haben?

Wende: Ja, das könnte ich mir. Besonders den Diakonat der Frau finde ich sehr wünschenswert. Und da freut es mich sehr, dass wir mit Bischof Gebhard Fürst einen Bischof hier in Rottenburg-Stuttgart haben, der sich stark und offen für diesen Dienst einsetzt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich noch Diakoninnen erleben könnte.

Frage: Manche Theologen wenden hier ein, dass es ja auch andere Ämter für Frauen gibt, in denen sie das Evangelium verkünden und Seelsorgerin sein können ...

Wende: Im deutschsprachigen Raum kennen wir ja bereits Pastoralreferentinnen oder Gemeindereferentinnen, die ihre Arbeit mit Bravour meistern. Warum also nicht auch Diakoninnen? Als Antwort hören wir dann öfter, dass es andere Bereiche gibt, wie den Blumendienst, das Putzen in der Kirche, Katechese für Erstkommunion oder Firmung, Lektorin oder Kommunionhelferin. Und damit sollte langsam Schluss sein. Ich sehe das anders: Männer und Frauen haben in der Kirche das gleiche Recht an der Verkündigung – auch im Amt. Frauen sollten nicht nur als pastorale Ansprechpartnerinnen die Gemeinden leiten oder in Führungsämtern in der Kirchenverwaltung eingesetzt werden, sondern sie wollten auch als Diakonin in unserer Kirche ihren Dienst tun dürfen.

Von Christoph Brüwer