Wie die Bischofssynode über Missbrauch, Frauen und Sexualmoral spricht

Erzbischof: Priesterweihe der Frau ist Pausen-Thema bei Weltsynode

Veröffentlicht am 24.10.2023 um 14:16 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 

Rom ‐ Spielt Missbrauch bei der Weltsynode eine Rolle? Wie wird die "Frauenfrage" behandelt? Und was hat sich seit vergangenen Synoden verändert? Im katholisch.de-Interview gewährt Erzbischof Ladislav Nemet einen Blick hinter verschlossene Synodentüren.

  • Teilen:

Ladislav Nemet ist seit 2022 Erzbischof von Belgrad. Im katholisch.de-Interview spricht der Steyler Missionar über seine Erlebnisse bei der Weltsynode: Spielt Missbrauch eine Rolle? Wie wird über Frauen gesprochen und was hat sich im Vergleich zu vergangenen Synoden geändert? Zudem äußert sich der stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Bischofskonferenz zu einem möglichen Zusammenschluss der Bischofskonferenzen in Europa.

Frage: Herr Erzbischof, wie haben Sie die bisherigen Wochen in der Synodenaula erlebt?

Nemet: Es war eine neue Erfahrung für mich. Ich war schon einige Male bei Bischofssynoden in Rom und muss zugeben, dass die Atmosphäre total anders ist. Es macht viel aus, wie wir uns hier treffen und wie die Sitzungen aussehen. Das Beste für mich ist, dass wir ohne Soutane teilnehmen können. Früher waren wir in einem großen Hörsaal in Aula, und dort waren die Sitze irrsinnig unbequem. Darauf mussten wir jeden Tag sitzen, vormittags und nachmittags in der Soutane. Und die Klimaanlage war schwach. Das war ganz schrecklich. Ich freue mich, dass es physisch jetzt besser ist. Die runden Tische haben eine andere Atmosphäre geschaffen. Man sieht die Personen und schaut nicht nur in Richtung des Präsidiums. Auch das ist sehr schön. Ich genieße die Zeit und die Gespräche. Es ist gut, dass wir über alles reden können. Die Themen sind wirklich authentisch. Es sind Themen, die wir schon bei der Kontinentalversammlung in Prag besprochen haben.

Frage: Sie sind Vizepräsident der Europäischen Bischofskonferenz. Wie präsentiert sich Europa in der Aula?

Nemet: Europa hat eine klare, gute Stimme. Ich würde sagen, dass viele Delegierte und Eingeladene hoch ausgebildete Theologen und Laien sind, die in der Kirche sehr engagiert sind. Deswegen kann ich sagen, dass die Stimme Europas merkbar in der Halle vertreten ist. Man weiß, worüber man redet. Aber nicht jede oder jede hat die Möglichkeit, wirklich so viel Zeit mit Theologie und Kirchenrecht zu verbringen. Mir fällt auf, dass die Delegierten aus Europa in dieser Hinsicht sehr viel Wissen haben. Die Vorbereitungen, die wir in Europa getroffen haben, scheinen jetzt die Früchte zu bringen.

Frage: Der Papst hat den Synodalen Weg in Deutschland als zu akademisch kritisiert. Sie loben jetzt die akademischen Aspekte der Weltsynode. Wie passt das zusammen?

Nemet: Rein akademisch wäre es auch nicht gut. Aber es reicht nicht, nur über Erfahrungen und schöne Sachen in der Kirche zu reden. Das würde keine Früchte bringen. Wir brauchen eine gute Mischung aus Erfahrung, aus Wissen, aus Theologie und Kirchenrecht, damit wir das alles zusammenstellen können. Wir haben ein Team von Experten, die eine sehr wichtige Arbeit machen. Aber das sind Sachen, die im Hintergrund passieren. Im Saal ist es wichtig, dass wir nicht nur über das christliche Leben schwärmen, sondern auch an Themen arbeiten.

Bild: ©picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Andrew Medichini

Die Bischofssynode zur Synodalität findet anders als bisherige Synoden an runden Tischen statt.

Frage: Dann schauen wir mal auf Themen. Sie haben in Prag über Missbrauch in Osteuropa gesprochen. Welche Rolle spielt Missbrauch in der Aula?

Nemet: Es überrascht mich, dass das Thema nicht so oft angesprochen wird. Ich habe damit gerechnet, dass wir diesem Thema mehr Zeit widmen werden, weil es bei den Vorbereitungen der Weltsynode ein größeres Thema war. Das Leid der Opfer kommt auch zur Sprache, das ist ganz klar. Man redet aber mehr über die Prävention. Die Lage bei dieser Sache ist in der Kirche sehr angespannt, weil wir so viele Opfer haben und Jahrzehnte nichts gemacht worden ist. Als wir angekommen sind, hatte jeder einen Brief der Kinderschutz-Kommission erhalten. Aber da müssen wir weiter gehen. Das ist nicht genug. Viele sagen natürlich auch, Missbrauch sei nicht alles in der Kirche. Es gibt so viel Gutes.

Frage: Sie haben Prävention angesprochen. In Studien wurden katholische Spezifika herausgearbeitet, die Missbrauch in der Kirche begünstigen. Sprechen Sie auch über Sexualmoral und Geschlechterbilder?

Nemet: Die Sexuallehre in der Kirche spielt in den Beratungen eine Rolle. Sie steht im Ruf eine Verbotsmoral zu sein. Wir sollten die neuesten Entwicklungen in der Gesellschaft beachten. Sexualität entscheidet aber über unsere Identität als Frau oder Mann. Das muss man ernstnehmen und das Positive sehen. Aber das bedeutet noch nicht, dass es das Hauptthema ist. In der Synodenaula sprechen wir vielmehr über die Frage des Glaubens, die Frage der Evangelisierung. Wir widmen uns ausführlich der Frage der Formation, also der Ausbildung von Priesterkandidaten …

Frage: Sie haben die Frauen angesprochen. Wie schätzen Sie die Stimmung bezüglich "der Frauenfrage" in der Aula ein?

Nemet: Es ist sehr positiv, dass über Frauen viel mehr geredet wird als je zuvor. Es gibt sehr viele positive Meldungen, die die Rolle der Frauen in vielen Bereichen sehr hochschätzen: in der Familie, im sozialen Leben, in der Politik und in karitativen Tätigkeiten. Es ist sicherlich auch sehr wichtig, dass die Rolle der Frauen aufgewertet wird. Man redet in der Aula über das Diakonat der Frau. Das sollte ernsthaft vorankommen. Das Diakonat könnte ähnlich den niedrigeren Diensten wie Akolyten und Lektoren für alle geöffnet werden. Diesen Dienst kennen wir als einer der ersten aus der Bibel und aus der Geschichte. Warum sollen wir nicht dazu zurückkehren? Das ist ein Thema, das noch nicht oft genug in der Kirche erwähnt wird. Es wird aber nicht überall darüber gesprochen. Ich habe in verschiedenen Teilen der Welt als Missionar gearbeitet und die Rolle der Frau hat nicht überall den gleichen Wert wie zum Beispiel im deutschsprachigen Raum oder Nordamerika.

„Beim Kaffee redet man über verschiedene Sachen“

—  Zitat: László Német

Frage: Spielt denn die Priesterweihe der Frau eine Rolle in der Aula?

Nemet: Jein. Nicht in den offiziellen Reden. Aber beim Kaffee redet man über verschiedene Sachen – da kommt auch das vor.

Frage: Sie haben gerade angesprochen, dass verschiedene Regionen verschiedene Themen haben. Zwischen Westeuropa und Osteuropa gibt es kirchlich und politisch Unterschiede. Wenn es jetzt bei der Synode auch um die Implementierung von Kirchenkonferenzen auf kontinentaler Ebene, verbunden mit dezentralen Lösungen geht: Halten Sie dieses Modell für sinnvoll?

Nemet: Es gibt Themen, die nicht regional entschieden werden können. Beispielsweise, wenn es um "theologische Wahrheiten" wie die Moral oder Kirchenlehre geht. Dort ist es schwierig zu sagen, etwas gelte nur für einen Kontinent und für einen anderen nicht. Aber in den Bereichen, in denen das möglich ist, müssen wir etwas tun, weil nicht in jeder Lokalkirche die gleichen Themen wichtig sind. Ich würde von einer Hierarchie der Wahrheiten sprechen: Es gibt die Hauptwahrheit oben, die kann man nicht antasten. Aber die Wahrheiten, die ein bisschen weiter weg vom Zentrum sind, könnte man schon unterschiedlich besprechen und sehen. Das hat mit der kulturellen Prägung zu tun. Natürlich ist immer die Angst da, ob wir dann noch eine Weltkirche bleiben. Bei den Kontinentalversammlungen zur Vorbereitung für die Synode haben wir aber gesehen, dass es verschiedene Themen gibt, beispielsweise wie man in verschiedener Weise Liturgie feiert. Warum nicht da ein bisschen mehr erlauben?

Frage: Wenn wir auf Europa schauen. Wie viele Kirchenkonferenzen bräuchte es, um einen Konsens zu bekommen?

Nemet: Ich glaube, dass wir in Europa bei einigen Fragen nicht zu einem Konsens kommen. Das liegt an der historischen Entwicklung Westeuropas und den ehemaligen kommunistischen Ländern. Die Demokratisierung ging in eine total andere Richtung. In den 90er Jahren gab es die Hoffnung, dass wir eine gemeinsame Kultur haben werden. Nach 30 Jahren sehen wir, dass wir uns viel weiter voneinander getrennt haben, als es früher war. Ich würde eine gemeinsame Konferenz – beispielsweise wie in Prag – vorschlagen, in der wir eine Aufgabenliste für Europa erstellen. Diese Fragen müssten dann aber in kleineren Kreisen gelöst werden: Beispielsweise in Zentraleuropa, in Osteuropa und in Westeuropa. Auch Südeuropa und Nordeuropa haben verschiedene Probleme, die andernorts weniger wichtig sind. Es ist wichtig, dass wir uns ein allgemeines Bild schaffen und dann Einzelfalllösungen für Regionen finden.

24.10.2023, 19.30 Uhr: Vierte und sechste Antwort präzisiert.

Von Benedikt Heider