Himmelklar – Der katholische Podcast

Traditionalisten-Aussteiger: Sehe zunehmende Radikalisierung

Veröffentlicht am 06.03.2024 um 00:30 Uhr – Von Renardo Schlegelmilch – Lesedauer: 

Köln ‐ Der Papst vertritt Irrlehren, die Bischöfe sind keine legitimen Amtsträger: Das sind Ansichten vieler Traditionalisten, zu denen auch Mike Lewis Jahrzehnte gehörte – bis zur Wahl von Papst Franziskus. Er erklärt im Interview seinen Ausstieg – und warum er den Synodalen Weg kritisch sieht.

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Bis zur Wahl von Papst Franziskus zählte Mike Lewis zu den überzeugten Traditionalisten, die die Legitimität der Bischöfe und des Papstamtes anzweifeln. In diesen Kreisen sieht der amerikanische Katholik eine zunehmende Radikalisierung. Heute betreibt er die Online-Plattform "Where Peter is" und leistet Aufklärung über Traditionalisten in der Kirche. Er beobachtet: Einige Katholiken befinden sich de facto im Schisma. Die Reformen des Synodalen Weges sieht er allerdings auch teils kritisch – aus bestimmten Gründen. 

Frage: Sie sind Aussteiger aus der katholischen Traditionalistenszene in den USA, die die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils sehr kritisch sieht und zum Teil auch die Legitimität des Papstes anzweifelt. Heute betreiben Sie die Plattform "Where Peter is", die über diese Kreise aufklären will. Ihr Ausstieg aus dieser Szene hatte viel mit der Wahl von Papst Franziskus 2013 zu tun. Wie kam es dazu?

Lewis: Ich glaube, der eigentliche Wendepunkt kam schon vor der Wahl des Papstes. Er hat aber eine sehr große Rolle dabei gespielt, dass ich meinen heutigen Standpunkt gefunden habe.

Ich bin in einer sehr traditionell katholischen Familie aufgewachsen. Ich war eines von vier Kindern. Meine Mutter war von Geburt an katholisch, mein Vater war konvertiert. Der Glaube meines Vaters war sehr pragmatisch. Nach der Hochzeit hat er sich entschieden, dass es doch gut wäre, wenn die Eltern der Familie die gleiche Konfession haben. Meine Mutter ist in einem typisch amerikanischen Haushalt der 1950er aufgewachsen. Typische Vorstadtgemeinde. Wir sind auch als Familie in meiner Jugend in eine ganz normale katholische Alltagsgemeinde gegangen. Wir waren aber die einzige Familie der ganzen Gemeinde, die Mundkommunion statt Handkommunion empfangen hat. In meiner Teenagerzeit habe ich sehr viel gelesen, über die Freimaurer, die die Kirche infiltrieren, über die Pläne der Kommunisten und der liberalen Katholiken, die Glaubenslehre auszuhöhlen.

Irgendwann in meinen Zwanzigern, als ich geheiratet und selbst Kinder bekommen hatte, begann ich das zu hinterfragen. Ich hatte als Erwachsener andere Probleme: Finanzen, Zukunftsfragen und sowas. In Krisenzeiten sagt man ja immer, dass der Glaube einem Halt geben soll. Mir ist aber aufgegangen, dass nichts an meinem eigenen Glaubensansatz mir jemals Halt, Kraft oder Freude gegeben hat. Liebe, Gnade, all die Werte, die sich durch die Evangelien ziehen. In meinem traditionell katholischen Leben haben diese Dinge nie eine Rolle gespielt. Ich habe mich dann auf eine persönliche Sinnsuche begeben. 2010 war das, da war Benedikt XVI. noch Papst. Ich war auf der Suche nach mehr, nach der Wurzel meines katholischen Glaubens.

„Die Traditionalisten haben eine grundsätzliche Angst, einen Argwohn gegenüber dem Lehramt.“

Frage: Und da haben Sie den Traditionalisten den Rücken zugewendet?

Lewis: Eine der Sachen, die ich damals verstanden habe, ist folgende: Die Traditionalisten haben eine grundsätzliche Angst, einen Argwohn gegenüber dem Lehramt. Es ist eine Angst, dass der Papst gegen die wahren Ziele der Kirche arbeitet. Damals habe ich für die US-Bischofskonferenz gearbeitet. In der Mittagspause habe ich mal einen unserer Priester gefragt: Woher weiß man eigentlich, ob die Lehren des Papstes häretisch sind, oder nicht? Der hat mich nur mit offenem Mund angeguckt. "Was meinst du damit?" Ich habe erzählt, dass ich gerade ein Dokument vom Zweiten Vatikanischen Konzil lese und nicht weiß, ob es einfach fehlerhaft ist oder falsche Lehre verkündet. Der hat mit dann erst mal so richtig erklärt, welche Rolle der Papst und die Bischöfe für uns spielen und auf welche Weise wir das katholische Lehramt definieren. Davon hatte ich zu dem Zeitpunkt absolut kein Konzept, das hat mir einen komplett neuen Horizont eröffnet. Ich und wir hatten zwar immer irgendwie Respekt für die Päpste, aber die Bischöfe haben wir nie wirklich ernst genommen.

Das ist die Denke der Reaktionären, Konservativen, Traditionalisten in der katholischen Kirche. Zuallererst haben sie Misstrauen. Wenn man dann einen anderen Bischof irgendwo entdeckt, der deine Ansichten vertritt, egal ob in einem anderen Bistum, emeritiert oder sogar in einem anderen Land, dann wird das zumindest in deiner Überzeugung automatisch dein Bischof. Dessen Lehren folgt man. Das sehen viele heute noch sehr viel stärker, als es damals war.

Ich hatte also meine persönliche Bekehrung. In dieser Zeit habe ich auch Freunde gefunden, die auf allen Ebenen des katholischen Spektrums unterwegs waren. Viele von ihnen haben viel mehr Wert auf das soziale Engagement der Kirche gelegt, zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge und Immigration, Sorge für die Armen, Gesundheitsversorgung, Bildung, Umweltschutz. Das sind alles Themen, die für die Traditionalisten keine große Rolle spielen. Sie machen sich sogar eher drüber lustig. Wenn Papst Franziskus über die Bewahrung der Schöpfung redet, ist das für sie ein Signal, dass er nicht der wahren kirchlichen Lehre folgt und kein vertrauenswürdiges Oberhaupt ist.

Ich habe in dieser Zeit ein größeres, ganzheitliches Bild der Würde des menschlichen Lebens gewonnen. Eine ganz andere katholische Ethik. Und das hat auch viel mehr zu dem gepasst, was mir mein eigenes Gewissen gesagt hat. Wenn wir allen Menschen Güte und christliche Nächstenliebe zeigen sollen, selbst unseren Feinden, wie kann dann Krieg, Folter oder Todesstrafe in irgendeiner Form gerechtfertigt sein?

Von diesem Punkt an habe ich mir mehr und mehr Fragen gestellt. Und als Franziskus dann 2013 zum Papst gewählt wurde und selbst absolut radikal nach diesen Ideen und Prinzipien gelebt hat, war ich einfach nur umgehauen. Eine arme Kirche für die armen Menschen. Ich gebe zu, in den ersten 30 Jahren meines katholischen Lebens war das ein völlig neues und fremdes Konzept für mich. Aber dann habe ich mehr und mehr in die Evangelien geguckt und meinen Standpunkt geändert.

Gleichzeitig habe ich aber auch mehr und mehr Widerstand gegen Franziskus erlebt. Damals war ich noch bei der Bischofskonferenz. Das hat mich schockiert. Da habe ich verstanden, wie tief doch die Vorbehalte und die Opposition gegen Franziskus in diesen Kreisen gehen. Ich habe aber auch gesehen, dass das viel mehr mit Ideologie und Politik zu tun hat, als mit persönlichem Glauben. Im Sinne von: "Ich weiß, wie die Kirche aussehen soll, und wenn der Papst das anders sieht, dann ist er ein Häretiker."

Bild: ©privat

Mike Lewis konnte genau beobachten, wie die Traditionalisten in den USA sich entwickelt haben.

Frage: Wie kann denn die Idee, dass die Kirche für die Armen da sein soll, für einen überzeugten Katholiken häretisch sein, wenn doch Jesus in den Evangelien nichts anders sagt als das? Wenn man sich als Verfechter des christlichen Glaubens steht, müssten doch die Worte Jesu das oberste Dogma sein?

Lewis: Das sehe ich auch so. Bei den Traditionalisten stehen aber eher soziologische Argumentationen im Vordergrund. Es gab in den 1980ern und 1990ern koordinierte Bemühungen der Konservativen in den USA, Papst Johannes Paul II. auf der gleichen Linie wie die konservativen US-Republikaner zu portraitieren. Fragestellungen wie soziales Engagement, Wirtschaft und freie Marktwirtschaft sind das Stichwort. Seine Meinung dazu wurde bei uns in den USA gefiltert wiedergegeben. Sie wurden verdreht, um sie der republikanischen Plattform anzugleichen. Andere Themen wie Krieg oder die Todesstrafe – wogegen sich Johannes Paul II. ganz klar ausgesprochen hat – wurden einfach unter den Tisch fallen gelassen. Ebenso Themen wie die Migration und die Grenzsituation. Uns wurde immer gesagt, dass es da einfach unterschiedliche Ansätze gibt. Beim Thema Armut wurde von katholischer Seite infrage gestellt, warum denn unbedingt Steuergelder aufgebracht werden müssen, wenn Nächstenliebe doch eine private Angelegenheit für jeden Christen selbst ist. Unsere Gesellschaft ist durch und durch vom Unternehmergeist der freien Marktwirtschaft geprägt. Das findet ja auch große Kritik von Papst Franziskus.

Bei Papst Benedikt war es für konservative Katholiken ein wenig schwerer, ihn umzudeuten. Er hat regelmäßig über Klimawandel gesprochen, über wirtschaftliche Ungleichheit. Der konservative Papstbiograf George Weigel hat das immer so dargestellt, als ob diese Standpunkte nicht vom Papst, sondern aus der vatikanischen Hierarchie kommen. "Der wahre Benedikt denkt das, was wir denken."

Lexikon

Zweites Vatikanisches Konzil (1962-1965),

Auch: Vaticanum II, Zweites Vatikanum; von Papst Johannes XXIII. (1958-1963) einberufene und nach dessen Tod von Papst Paul VI. (1963-1978) fortgesetzte und beendete Bischofsversammlung in der Peterskirche, die vom 11. Oktober 1962 bis 8. Dezember 1965 stattfand. Dieses Konzil kann als das wichtigste kirchenpolitische Ereignis des 20. Jh. bezeichnet werden. Es steht für die Öffnung der Kirche gegenüber der modernen Welt und eine Neubestimmung ihres Verhältnisses zu den anderen christlichen Kirchen und den nichtchristlichen Religionen (Ökumene). Insgesamt nahmen an den vier Sitzungsperioden 2.850 Konzilsväter teil. Die Versammlung verabschiedete 16 Dokumente (zwei dogmatische und zwei pastorale Konstitutionen, neun Dekrete und drei Erklärungen); zu den wichtigsten gehören die vier Konstitutionen. In der dogmatischen Konstitution "Lumen gentium" wird das Bild der Kirche als pilgerndes Volk Gottes betont, in dem jeder Einzelne Verantwortung trägt. Die Konstitution über die hl. Liturgie ("Sacrosanctum Concilium") führte zu einer umfassenden Neuordnung der Feier der Gottesdienste; u. a. wurde Latein als Liturgiesprache zugunsten der Volkssprache zurückgedrängt. Die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung ("Dei Verbum") erkannte die Ergebnisse und Legitimität der wissenschaftlichen Erforschung der Heiligen Schrift an. Die weiteren Dokumente betonen u. a. die Menschenrechte und die Religionsfreiheit ("Dignitatis Humanae") sowie den verstärkten Dialog mit Andersgläubigen, beschäftigen sich mit einer Erneuerung des Ordenslebens, beschreiben Leben und Dienst der Priester und unterstreichen die Rolle der Laien in der Kirche.

Frage: Nun sprechen Sie hier aber über den konservativen Mainstream der US-Katholiken, wozu man ja auch die Bischofskonferenz zählen kann. Das ist noch mal was anderes, als die traditionalistischen Kreise, die das Konzil ablehnen, Franziskus als Häretiker betrachten und sich nun an polarisierende Figuren wie Bischof Strickland, Erzbischof Vigano oder Kardinal Burke hängen.

Lewis: Ich denke, Papst Franziskus hat da unfreiwillig zu einer weiteren Spaltung der konservativen Kreise beigetragen. Viele konservative Katholiken, die das Zweite Vatikanische Konzil akzeptiert haben, aber immer schon in Richtung rechts geschielt haben, war Franziskus von Anfang an sauer aufgestoßen, weil er sich so deutlich zu sozialen Fragen äußert.

Das ging schon in seinem ersten öffentlichen Moment los, als er einfach in weißer Soutane auf den Balkon des Petersdomes trat. Gründonnerstag hat er die Füße von Frauen und selbst Andersgläubigen gewaschen. Solche Sachen haben einen Nerv bei vielen Konservativen getroffen. Damit haben sie sich einfach nicht wohl gefühlt. Vor allem, wenn sie eine Affinität für die Rituale, die Liturgie, den traditionelleren Ansatz von Papst Benedikt hatten. Franziskus hatte eine ganze andere Persönlichkeit. Der hat Witze gemacht, war vorlaut. Benedikt war introvertiert und hat sehr überlegt gesprochen. In der breiten Öffentlichkeit kam Franziskus einfach besser an, bei den Traditionalisten sah es anders aus.

Und dann gibt es die Frage der Sexualität. Im Mainstream wird akzeptiert, dass es einfach Menschen gibt, die andere Neigungen und Bedürfnisse haben. Der katholische Standpunkt sieht anders aus. Franziskus ändert hier nicht die Lehre, aber er heißt die Menschen willkommen und zeigt ihnen, dass sie Teil unserer Gemeinschaft sind. Für die Katholiken, die sich in ihrem Traditionalismus immer mehr eingeigelt haben, die ihr ganzes Leben nach der Lehre ausgerichtet haben, ist das so, als würden wir unser gesamtes Glaubenskonstrukt verraten. Ich denke, das erklärt auch die harsche Reaktion auf das neue Segensdokument Fiducia supplicans. "Wie kann es sein, dass wir seit Jahrzehnten gegen diese Sünde kämpfen und dann knickt der Papst selbst ein?" Das ist für viele unvorstellbar. Das muss man auch unter psychologischen Gesichtspunkten betrachten.

Ein Kreuz steht bei einem Open-Air-Segnungsgottesdienst für Liebende vor der Kirche Christi Auferstehung. Im Hintergrund ist eine Regenbogenfahne zu sehen.
Bild: ©KNA/Michael Kinnen (Symbolbild)

Im Dezember 2023 hat der Vatikan überraschend die Erklärung "Fiducia supplicans" veröffentlicht. Die Kernaussage: Auch Paare in "irregulären Situationen" – etwa homosexuelle Paare oder wiederverheiratete Geschiedene – können gesegnet werden.

Frage: Nun gab es zu jedem Reformpunkt in der Kirche Gruppen, die sich abgespalten haben und das nicht mittragen konnten. Beim Ersten Vatikanischen Konzil gab es die Altkatholiken, beim Zweiten die Piusbrüder. Sind wir jetzt auch an diesem Punkt, wo die Traditionalisten im Schisma landen?

Lewis: Im ganz praktischen Sinne befinden sich einige Kreise der katholischen Kirche jetzt schon im Schisma. Ich denke, das würden sie auch selber so bestätigen. Das Kirchenrecht definiert Schisma als Ablehnung der Lehrautorität des Papstes. Nun würden aber Leute wie Strickland oder Burke sagen, der Papst selber ist Schismatiker und sie sind diejenigen, die die wahre Lehre vertreten.

Wir sehen auch mehr und mehr prominente Figuren, die sich in Richtung Sedisvakantismus bewegen, also einer Überzeugung, dass es im Moment keinen legitimen Papst gibt. Das betrifft auch Magazine und Webseiten, die mal der Lehre nach treu und ernst zu nehmen waren. Die rufen nun offen dazu auf, offizielle Lehrschreiben aus dem Vatikan zu ignorieren oder behaupten ganz offen, dass der Papst den katholischen Glauben untergräbt.

Das betrifft allerdings eher die Kreise am Rand, nicht die Amtskirche in den USA. Jetzt, da Bischof Strickland aus dem Amt entfernt wurde, gibt es keinen amtierenden Bischof, der das Lehramt des Papstes infrage stellt. Ich glaube, auch keiner der anderen hat Fiducia supplicans in dieser Weise infrage gestellt. Einige haben Kritik daran geübt, aber sie haben es alle akzeptiert. Ich denke, die Amtskirche in den USA versucht das Schisma zu vermeiden.

Die große Frage ist, wie das in der Zukunft aussieht? Werden Strickland und seine Gefolgsleute zu einer neuen Piusbruderschaft? Wird sich eine Diözese aus der Gemeinschaft mit dem Papst lösen, weil ihr Bischof das Lehramt nicht akzeptiert? Ich denke, davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Der große Teil des Widerstandes gegen den Papst kommt aus dem Internet und den Sozialen Medien. Wenn man sich ansieht, wer sich allgemein am ehesten durch Internet-Propaganda radikalisieren lässt, sind das alleinstehende junge Männer. Und wer fällt in diese Gruppe? Seminaristen und junge Priester. Meine große Angst ist, dass diese Generation junger Priester irgendwann wichtige Funktionen in der Hierarchie als Bischöfe oder Prälaten übernimmt. Wie werden sie dann auf das Pontifikat von Franziskus zurückblicken? Und was passiert bis dahin? Werden sie Franziskus als Häretiker sehen? Wenn sie diese Mentalität in die Zukunft tragen, was heißt das dann für unsere Kirche? Katholiken, die ihren Glauben ernst nehmen, die die kirchliche Lehre hochhalten, werden von dieser Bewegung sicher mitgerissen.

Ich war vor kurzem auf einer Party mit anderen Eltern unserer katholischen Schule. Ich hatte fast Angst zu sagen, wer ich bin und was ich mache. Ich habe Kritik am Papst gehört, an Fiducia supplicans. Ich habe gehört, dass die Entfernung von Bischof Strickland ein großer Fehler war. Er sei der heiligste Bischof des Landes. So denkt man an der Basis bei uns. Ich glaube nicht, dass das den ganzen Journalisten, Amtsträgern oder auch den Leuten im Vatikan so bewusst ist. Die überzeugten Katholiken bei uns sind zum großen Teil sehr anti-Franziskus. Einen großen Teil haben auch die Pandemie und die Debatte um die Impfstoffe beigetragen. Nach meiner Erfahrung war Impfskepsis der absolute Mainstream oder die Meinung der überzeugten Laien in den USA. Ich weiß nicht, ob die Bischöfe das so mitbekommen haben. Ich vermute, einige sind auf der gleichen Linie. Und all das sollte dem Vatikan wirklich Sorgen bereiten.

Synodalversammlung
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Symbolbild)

Den Synodalen Weg sieht Mike Lewis trotz allem kritisch.

Frage: Am Ende noch ein Blick nach Deutschland. Wir haben nun viel über ein mögliches Schisma gesprochen, dabei ist das genau das, was konservative Kreise der Weltkirche Deutschland und den Reformideen des Synodalen Weges vorwerfen. Wie blicken Sie darauf?

Lewis: Ich denke, eine große Rolle spielt das Bild Deutschlands, dass in den konservativen US-Medien verbreitet wird. Wenn wir über die Abstrafungen für Burke oder Strickland sprechen, stellen die als erstes die Frage, was denn mit dem Jesuiten James Martin ist, der sich in New York für Homosexuelle einsetzt? Die zweite Frage ist: Was ist denn mit den Bischöfen in Deutschland? So wie ich das verstehe, spielt das progressive Laiengremium, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, eine sehr große Rolle. Seit Jahrzehnten schon setzen die sich für progressive Reformen ein. In der Vergangenheit waren es die deutschen Bischöfe, die den Widerstand für diese Reformen dargestellt haben. Der Synodale Weg hat das geändert. Der war ja eine Reaktion auf die Vertrauenskrise nach dem Missbrauchsskandal. Ich denke, die Bischöfe haben das erkannt und wollen als Reaktion nicht mehr im Weg stehen. Sie können keine moralische Autorität mehr darstellen, wenn die Kirche in Deutschland nicht mehr ernst genommen wird. Ich denke, deshalb gehen sie diesen Reformweg jetzt mit.

Ich denke aber auch, Papst Franziskus hat Recht, wenn er an den deutschen Reformen kritisiert, dass sie nicht wirklich synodal sind – und in Teilen auch ideologisch motiviert sind. Ich denke, da ist was dran, das ist nicht nur ein Argument der rechtskonservativen Kreise. Denken wir zurück zur Familiensynode und der Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Damals sind Konservative aus voller Überzeugung in die Synode gegangen und haben gesagt, es gibt absolut keine Option, daran etwas zu ändern. Auf der anderen Seite gab es Progressive, die sagten, die Kirche ist verloren, wenn sie hier nichts ändert. Papst Franziskus hat mit seinem Ansatz der Synodalität aber erreicht, dass eine Übereinkunft gefunden wurde. Ja, wir haben unterschiedliche Ansätze, aber wir stehen alle hinter der Kirche und wollen, dass sie sich in eine gute Richtung entwickelt. Es gibt unterschiedliche Meinungen, aber lasst uns durch Gespräch, Gebet und vor allem gegenseitigen Respekt einen gemeinsamen Weg finden. Oder kurz: Was will der Heilige Geist?

Nun kenne ich mich in Deutschland nicht so aus, aber ich habe den Eindruck, dass genau diese Geisteshaltung beim Synodalen Weg gefehlt hat. Es gibt Leute, die mit voller Überzeugung gewollt haben, dass sich konkrete Dinge ändern, und davon auch nicht abgerückt sind. Wir wissen aber, dass es natürlich einige Punkte gibt, bei denen es außer Frage steht, dass die Kirche sie nicht ändern kann. Zumindest nicht im Moment. Die katholische Kultur in Deutschland fordert aber Veränderungen ein, ohne Wenn und Aber. Ich sehe auch den Punkt, dass sich etwas an der Kirche ändern muss, weil sie sonst ihre moralische Glaubwürdigkeit nicht zurückgewinnen kann. Themen wie Frauenrechte oder LGBTQ-Fragen sind da zu nennen.

Irgendwie gibt es ein kompliziertes, unausgesprochenes Spiel im Vatikan, wenn es um die Gesten und Schritte des Papstes geht. Warum hat er dieses gesagt? Warum hat er jenes unterschrieben? Warum hat er anderes nicht gemacht? Das schafft schon eine Ungewissheit. Wenn wir uns aber seine konkrete Kritik am Synodalen Weg angucken, spricht die eigentlich ziemlich deutlich und für sich und sollte nicht ignoriert werden. Da fragt man sich doch, ob da bei einigen, die das tun, doch mehr Ideologie als Glaube im Vordergrund steht.

Der Papstbiograf Austen Ivereigh sagt immer, dass Franziskus das Ziel hat, Prozesse anzustoßen, nicht sie zu Ende zu führen. Ich weiß, die Deutschen sehen ein Problem und wollen eine Lösung. Die Amerikaner sind ähnlich, aber vielleicht nicht ganz so durchstrukturiert. Deshalb ist unser synodaler Prozess auch gar nicht recht ans Laufen gekommen. Die Deutschen sind vielleicht ein bisschen zu schnell und lösungsorientiert für ihr eigenes Wohl gewesen. Da gab es schon Antworten, bevor die Fragen wirklich formuliert waren.

Ich glaube auch, dass die Weltsynode nicht die großen Schritte und Lösungen bringen wird, eher Anstöße, mehr zu diskutieren, nachzudenken und zu beten. Vielleicht entsteht daraus dann auf lange Sicht etwas. Aber diese Art des Denkens ist sowohl für Deutsche als auch Amerikaner schwer nachzuvollziehen, das ist eher was lateinamerikanisches. Und ich denke, genau in diesen Unterschied liegt der Konflikt.

Von Renardo Schlegelmilch