Serie: Die Kirche und... – Teil 7

Die Kirche und die Mission: Anmerkungen zu einem wenig geliebten Wort

Veröffentlicht am 23.08.2020 um 12:45 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mission – dieses Wort hat heute meist einen negativen Klang. Viele denken dabei wohl zuerst an Intoleranz und Gewalt, Zwang und Unterdrückung. Doch das ist falsch, erläutert unser Autor Josef Bordat. Das zeige etwa der Fall des Dominikaners Bartolomé de Las Casas.

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In Kirchenkreisen nehmen wir das Wort nicht mehr oft in den Mund – und dann auch nicht besonders gerne: Mission. Wir denken an Intoleranz und Gewalt, Zwang und Unterdrückung. Wir liegen damit falsch.

Was ist Mission?

Mission ist zunächst der völlig legitime Versuch, Andere vom Wert der eigenen Überzeugungen zu überzeugen. Da Menschen, die Überzeugungen vertreten, davon ausgehen, dass diese wahr sind, dient Mission in ihren Augen stets der Verbreitung der Wahrheit. Mission ist nicht auf Religionen beschränkt – missionarischen Eifer findet man auch dort, wo es darum geht, Menschen für bestimmte Weltanschauungen und politische Ansichten zu gewinnen, und zeigt sich nicht zuletzt in der Reklame für Produkte und Dienstleistungen.

Den Anspruch, die eigene Überzeugung Dritten zu vermitteln, hat wohl jeder, der überhaupt von etwas überzeugt ist. Von einer Sache überzeugt zu sein und davon zu reden, bedeutet nicht automatisch, dem Gegenüber mit Intoleranz zu begegnen, auch nicht, wenn es bei dieser Sache um den eigenen weltanschaulichen Standpunkt geht und man von dessen absoluter, universeller Geltung überzeugt ist. Im Gegenteil: Wer eine Position vertritt, von der er glaubt, sie sei wahr, unabhängig von Zeit und Raum, von Kultur und Situation, kann besser verstehen, dass auch der andere eine Position vertritt, die er für wertvoll und wichtig hält, die aufzugeben ihm daher sehr schwer fallen muss. Wer hingegen Beliebiges für möglich hält, wird ungeduldig, wenn der andere an etwas Bestimmtem festhält. Der Wahrheitsanspruch unterläuft nicht die Toleranz, die zum Respekt vor der Ernsthaftigkeit wird, mit der der andere seinen Glauben oder seine Haltung lebt.

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Video: © Mediaplus X und Bernward Medien

Ein Beitrag der Serie "Katholisch für Anfänger". Die Zeichentrickserie erklärt auf einfache und humorvolle Art zentrale Begriffe aus Kirche und Christentum. In dieser Folge geht es um Mission und ihre Bedeutung im christlichen Glauben.

Mission – Warum und wie?

Die katholische Kirche ist apostolisch, also missionarisch, das heißt, sie ist darauf ausgerichtet, die Botschaft ihres Gründers, Jesus Christus, allen Menschen zu verkünden. Den Auftrag zur Mission erhält sie dabei von Christus selbst: "Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28, 18-20). Dass Mission nicht mit Zwang einhergehen darf, macht Christus in seinen "Anweisungen für die Mission" (vgl. Mt 10, 5-15) deutlich, die den Missionsauftrag an Bedingungen knüpft (Friedfertigkeit der Glaubensweitergabe, Freiwilligkeit der Glaubensannahme). Jesus fordert eine Mission in Liebe und durch Überzeugung, die ihre Abbruchbedingung im freien Willen des zu Missionierenden findet. Jesus trug seinen Jüngern auf, ohne materielle Ansprüche in völliger Bedürfnislosigkeit, friedlich und in Toleranz gegenüber Andersgläubigen zu missionieren und dabei heilende, pflegerische und seelsorgliche Arbeit zu leisten. Es ist eine Mission der Tat, wie später Franz von Assisi, Gründer eines der bekanntesten Missionsorden, feststellte: "Verkündet das Evangelium – zur Not auch mit Worten!"

Die Annahme des christlichen Glaubens kann in jedem Fall nur freiwillig erfolgen, erzwungen werden kann allenfalls die formale Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft, also: in der Kirche, durch eine "Zwangstaufe". Da diese wertlos ist, soweit und solange die innere Haltung zum Glauben fehlt, hat die Kirche ihre Vornahme verboten. Die Argumente dafür waren biblischer, theologischer und naturrechtlicher Provenienz. Es galt der Grundsatz "Ad fidem nullus est cogendus", der auch in das um 1130 zusammengestellte Decretum Gratiani Eingang fand (p. II, c. 23, q. 5, c. 33) – "Zum Glauben ist niemand zu zwingen".

Die Bronzestatue zeigt einen Mann mit Vollbart, die Kaiserkrone auf dem Kopf, Zepter in der rechten, den Reichsapfel in der linken Hand. Im Hintergrund weht die EU-Fahne.
Bild: ©KNA

Die Statute Karls des Großen vor dem Aachener Dom.

Zwang in Glaubensfragen – großer historischer Irrtum

Dennoch kamen Zwangstaufen vor. Fälschlicherweise werden sie heute der Kirche zur Last gelegt, obwohl sie keine religiöse, sondern eine politische Funktion hatten und nur dort aufgetreten sind, wo die Kirche als weltliche Macht wirkte. In den ersten drei Jahrhunderten ihrer Geschichte gab es keine Zwangstaufen und keine Schwertmission. Die Menschen entschieden sich freiwillig und oft unter Einsatz ihres Lebens für die Nachfolge Christi. Im Kern ihrer Begründung ist die Kirche dementsprechend nicht durch Gewalt vorbelastet. Nach der Konstantinischen Wende, als das Christentum Staatsreligion des sich auflösenden Römischen Reiches wurde, wandte es in dieser Funktion Zwangsmittel an, um Heiden zu "christianisieren".

In dem Maße, in dem die Kirche eine staatstragende Rolle übernahm (und Kirchenvertreter als weltliche Herrscher fungierten), wurde sie mit der machtpolitischen Forderung nach Zwangstaufen konfrontiert. Dabei wurden die von weltlichen Herrschern angeordneten Formen intoleranter Mission seitens prominenter Kirchenvertreter kritisch gesehen. Zwei bedeutende Beispiele dafür sind die Zwangstaufen, die Karl der Große Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts unter den Sachsen vollziehen ließ, und die Mission in Lateinamerika im Auftrag der spanischen Krone während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In beiden Fällen waren es weltliche Herrscher, die Mission als Mittel der Machtpolitik einsetzten. Die Kritik an diesem Ansinnen kam aus Kirchenkreisen, von Hofpredigern und Ordensleuten, die mit biblischen, theologischen und natur-, später auch (proto)völkerrechtlichen Argumenten opponierten.

Zehn Jahre nachdem Karl der Große gegen die Sachsen in den Krieg gezogen war, erließ er 782 in der "Capitulatio de partibus Saxoniae" Vorschriften zur Todesstrafe für alle, die sich nicht taufen lassen wollten. Der theologischen Rechtmäßigkeit der Alternative "Taufe oder Tod" hat sein Hoftheologe Alkuin entschieden widersprochen. Als die Reyes Católicos, die Katholischen Könige, ab 1510 Amerika eroberten und die autochthone Bevölkerung von den Conquistadores im Rahmen einer gewaltsamen Kolonisation nebenbei "christianisiert" werden sollte, stieß dies bei den Missionaren auf massiven Widerspruch, für den vor allem der Dominikaner Bartolomé de Las Casas steht.

Linktipp: Pater Wallner wünscht sich "Mission statt Frustration"

Der österreichische Ordensmann Pater Karl Wallner hat an die Christen in Europa appelliert, stärker missionarisch tätig zu werden. Angesichts einer schrumpfenden Kirche müsse aktiv "für die Schönheit des Glaubens" geworben werden. (Artikel von Oktober 2019)

Las Casas zeigt, wie es geht

Nach anfänglicher indirekter Beteiligung an der Kolonialisierung (unter anderem als Feldkaplan bei der Eroberung Kubas) verweigert sich Las Casas nach einem Bekehrungserlebnis ab 1514 allen militärischen Maßnahmen und kämpft bis an sein Lebensende gegen den Krieg und für die Menschenrechte der Indios, als Missionar, später als Bischof, vor allem aber als juristisch und theologisch gebildeter Verfasser zahlreicher Eingaben an den spanischen Hof. Nicht zuletzt auch als empathischer Seelsorger, der Beispiel gab für friedliche Überzeugungsarbeit im Geiste christlicher Mission und der damit zahlreichen Ordensbrüdern Vorbild war.

Unermüdlich schreibt er gegen den Eroberungskrieg seiner Landsleute, unablässig schickt er Eingaben, Denk- und Bittschriften – sogenannte Memoriales – an den spanischen Hof. Der Krieg gegen die Indios, so Las Casas, sei nicht nur grausam, sondern vor allem ungerecht. Er bezeichnet ihn sogar als "verwegen, frevelhaft und tyrannisch". Die schnellere und sicherere Verbreitung des Christentums, die sein großer Gegenspieler, der Kolonist Juan Gines de Sepúlveda, durch eine Conquista previa gewährleistet sah, lehnt Las Casas strikt ab und versucht, die Pervertierung des christlichen Verkündigungsauftrags, die er in dieser Formel enthalten sieht, anhand des Neuen Testaments und des Naturrechts nachzuweisen. Er stellt fest, dass die Kernaussagen des Evangeliums und der Apostolischen Briefe dem Verhalten der Conquistadores diametral entgegenstehen. "Was hat die Gute Nachricht", so fragt Las Casas, "mit den Verletzungen, Gefangenschaften, Massensterben, Bränden, Zerstörungen der Städte und dem allgemeinen Übel des Krieges zu tun?" und fügt besorgt hinzu: "Was werden sie [die Indios] über den Gott der Christen denken?", um die erschreckende Antwort zu geben: "Ohne Zweifel werden sie glauben, die Spanier seien Söhne des Teufels und nicht Söhne Gottes oder Friedensengel". Der politisch und ökonomisch motivierten Unterdrückung setzt Las Casas die Befreiung "seiner" Indios durch eine evangeliumszentrierte Mission mit friedlichen Mitteln entgegen.

Bild: ©KNA/Hans Knapp

Bartolome de las Casas, Dominikaner und Bischof in den spanischen Kolonien.

Gewaltfreie Mission: ein Erfolgsmodell

In der Praxis wirkt sich die gewaltfreie Mission positiv auf die Verwaltungsbelange aus. Las Casas schreibt in den 1530er Jahren mehrmals an den Indienrat und berichtet über die Erfolge seines pazifistischen Vorgehens. Als es in einer problematischen Gegend Mexikos Aufstände gibt und die Region daraufhin den aztekischen Namen Tezulutlán (Kriegsland) bekommt, ist das für Las Casas eine gute Gelegenheit, die Wirksamkeit seiner Methode unter Beweis zu stellen. In einem Vertrag mit dem indiofreundlichen guatemaltekischen Gouverneur Alonso Maldonado vom Mai 1537 bittet er sich eine fünfjährige Frist aus, die kriegerische Bevölkerung mit seinen Mitteln zu befrieden und zur Anerkennung der spanischen Herrschaft und damit zu Tributzahlungen zu bewegen.

Zusammen mit seinem Weggefährten Rodrigo de Andrada beginnt Las Casas, ein Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung aufzubauen, was rasch gelingt, unter anderem auch deswegen, weil sich Las Casas für die Menschen interessiert und ihre Sprache lernt. Mehrere Pfarrkirchen werden errichtet und die Indios in sogenannten Reducciones untergebracht. Die Reducciones waren Dörfer, in denen die sonst sehr vereinzelt lebenden Indianer angesiedelt wurden, um gesellschaftliches Leben in überfamiliären Strukturen und eine wirkungsvollere Katechese zu ermöglichen. Besonders bekannt wurde in diesem Zusammenhang der Anfang des 17. Jahrhunderts in Paraguay errichtete Jesuitenstaat. Große Gebiete standen unter der Verwaltung von Missionaren, die das Alltagsleben wie in einer klösterlichen Gemeinschaft organisierten. Gemeinsame Bewirtschaftung der Felder, ergänzt um behutsame Glaubensunterweisung und einen religiös bestimmten Tagesablauf kennzeichneten dieses verheißungsvolle Experiment, das in so krassem Gegensatz zu der brutalen Explorationspolitik der Conquistadores stand und erst mit Übergabe der Gebiete an Portugal Mitte des 18. Jahrhunderts beendet wurde.

Auch Las Casas ist mit den Reducciones erfolgreich: In einem Brief an Karl V. schreibt er von seinen Erfahrungen und fährt im März 1540 nach Spanien, um am Hof für sein Konzept einzutreten und es für ganz Amerika durchzusetzen. In der Heimat nimmt man seine Vorstellungen mit Wohlwollen auf. Doch zu mehr als zu einem Katalog nie wirklich angewandter Sozialgesetze (Leyes nuevas, 1542) kann sich Spanien am Ende nicht durchringen.

Von Josef Bordat

Der Autor

Josef Bordat studierte Wirtschaftsingenieurwesen, Soziologie und Philosophie mit anschließender Promotion. Er arbeitet als freier Publizist in Berlin.