Serie: Deutschland, deine Kathedralen – Teil 14

Kölner Dom: Ein Jahrhundertprojekt und die vollkommene Kathedrale

Veröffentlicht am 24.10.2020 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Wer sich Köln aus einer beliebigen Richtung nähert, kommt an seiner Silhouette nicht vorbei: Der Kölner Dom strahlt weit über die Domstadt hinaus – und hat doch eine an Brüchen, Konflikten und Engagement reiche Geschichte aufzuweisen.

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Nicht nur aus katholischer Sicht ist Köln ein altes Pflaster: Schon 313 ist in der Stadt am Rhein ein Bistum nachweisbar und um das Jahr 800 wird an der Stelle des heutigen Domes eine karolingische Kirche gebaut, der Alte Dom. Sie befindet sich an dem Ort am Rand der ehemals römischen Stadt, in dem sich die Christen schon seit Jahrhunderten treffen. Doch 1164 kommt ein besonderer Schwung in die Domstadt: Als Kriegsbeute gelangen die Gebeine der heiligen drei Könige aus Mailand an den Rhein. Köln wird so zu einem der bedeutenden europäischen Pilgerorte. Das veranlasst etwa schon Erzbischof Engelbert II. (1185-1225), über den Bau eines neuen, größeren und prächtigeren Domes nachzudenken, der das bisherige in vorromanischer Gedrungenheit gehaltene Gebäude ablösen soll. Er denkt im Geist seiner Zeit: Die zahlreichen anderen Stifts- und Klosterkirchen Kölns werden Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts entweder neu gebaut oder tiefgreifend umgestaltet – dagegen sieht der Dom etwas altbacken aus. Ein neuer Dom gäbe den Kölner Erzbischöfen – in dieser Zeit immerhin sehr einflussreiche Reichsfürsten, die den Kaiser mitwählen – zudem Gelegenheit, sich zu profilieren.

Es ist wohl eine Kombination all dieser Phänomene, die dazu führt, dass Mitte des 13. Jahrhunderts zunächst der Ostteil des alten Domes durch ein kontrolliertes Feuer abgerissen wird. Das gerät jedoch – typisch Köln – außer Kontrolle und zerstört fast den ganzen Dom. Nur in letzter Minute kann der Dreikönigenschrein aus den Flammen gerettet werden. Den Westteil der Kirche repariert man wieder notdürftig, um auch während der Bauzeit des neuen Doms eine funktionierende Kathedralkirche zu haben.

Mit dem Bau des Chores zu beginnen, ist eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung: Hier wird schließlich Liturgie gefeiert und der Schrein hat dort seinen Platz. Die Dimensionen des 1322 geweihten Chores müssen für die Menschen des Mittelalters überwältigend gewesen sein. Allein der neue Chor besaß in etwa die Fläche des Alten Doms, war aber deutlich höher und imposanter. Bald ziehen der Schrein und alle Altäre in den Neubau um.

Ein Langhaus auf über 15 Metern

Nun wird auch der Rest des alten Doms abgerissen und zunächst im Süden weitergebaut – auf der Nordseite lag die Straße, auf der die Baumaterialien herantransportiert werden. Es entstehen nun das Langhaus des Doms mit einer Höhe von etwa 15 bis 20 Metern und die beiden ersten Geschosse des Südturms, auch Glocken werden aufgehängt. Langhaus und Chor trennt allerdings noch eine Mauer. Der Baukran auf dem Turmstumpf wird für Jahrhunderte das Wahrzeichen Kölns, sogar der US-Schriftsteller Herman Melville erwähnt ihn in seinem Roman "Mobby Dick" als Symbol dafür, dass die wahrlich großen Werke der Menschheit viele Generationen brauchen, um vollendet zu werden.

Bild: ©picture alliance / imageBROKER / Martin Jung

Der Krahn auf dem unfertigen Dom wurde für Jahrhunderte das Markenzeichen Kölns.

Um 1520 kommt der Dombau dann zum Erliegen. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden: Aus Italien wird die Renaissance als Kunstrichtung langsam auch in Deutschland en vogue, mittelalterliche Architektur gilt als veraltet und minderwertig. Zudem kommt das Geld für den Bau bisher fast ausschließlich durch sogenannte Heiltumsfahrten zusammen, bei denen Priester mit Reliquien durch das Land ziehen, Felder segnen und Almosen einsammeln – eine dem Ablasshandel recht ähnliche Praxis, die nicht zuletzt durch Martin Luther auch in katholischen Kreisen in Verruf gerät. Doch es liegt auch am Dom selbst: Denn schließlich ist der Chor bereits so groß wie der alte Dom. Eine deutlich größere Kirche ist wohl nicht notwendig. Nicht zuletzt deswegen schwindet der Elan zum Weiterbau.

Was am Rhein nun steht, ist ein fertiger Chor und ein zwar nur provisorisch überdachtes, aber dennoch nutzbares Langhaus. Die Wand zwischen beiden macht das Langhaus allerdings unattraktiv, es wird nur mäßig genutzt. Im Chor können Pilger durch den Kapellenkranz um den Dreikönigenschrein herumwandeln, das Domkapitel feiert hier die Hochämter. Die Pfarrgottesdienste finden in der angrenzenden Pfarrkirche St. Maria im Pesch auf der heutigen Nordseite statt.

Als Köln 1794 wie das gesamte Rheinland von französischen Truppen besetzt wird, wird der Dom wie zahlreiche andere Kirchen geschlossen und unter anderem zum Gefangenenlager umfunktioniert. Er verfällt langsam – Quellen berichten von Bäumen und Sträuchern im Mauerwerk. Außerdem werden bei antiklerikalen Festen unter anderem Bischofsgräber aufgebrochen und geplündert sowie manche Stücke wie etwa die Wappenschilder aus Holz öffentlich verbrannt – als Zeichen, dass die alte Zeit endgültig vorbei ist.

Eine Gegenbewegung im Verlust

Doch gerade in dieser Zeit entsteht auch eine Gegenbewegung: Während viel mittelalterliche Kunst zerstört und viele Kirchen abgerissen werden, entdecken so manche auch deren Wert. Darunter ist auch ein Kölner Kunstsammler, Sulpiz Boisseré (1783-1854). Gemeinsam mit seinem Bruder Melchior versucht er, so viel alte Kunst zu retten wie nur möglich. Boisseré ist vom Kölner Dom begeistert: Er versucht sogar noch, Kaiser Napoleon für die Idee eines Weiterbaus zu gewinnen.

Als Köln und das gesamte Rheinland an Preußen fallen, lässt Boisseré Zeichnungen anfertigen, die zeigen, wie der Dom aussehen würde, wäre er im Mittelalter fertig gebaut worden. Er ist nicht ganz unschuldig daran, dass der originale Entwurf für die Doppelturmfassade – der sogenannte Fassadenriss F – wiedergefunden wird. Jetzt hat Boisseré Material, mit dem der Dom tatsächlich in seinen mittelalterlichen Formen vollendet werden könnte – und sucht Mitstreiter: Unter anderem in Johann Wolfgang von Goethe und dem preußischen Kronprinzen wird er fündig.

Bild: ©jotily - stock.adobe.com

Der Kölner Dom ist für die Stadt bis heute ein Identifikationsort - das hat auch mit der Geschichte der Domvollendung zu tun.

Dieser Erfolg und Rückhalt hat nicht zuletzt mit einer Umdeutung des Doms zu tun, für die ein weiterer Aktivist verantwortlich ist, der katholische Publizist Joseph Görres: Er sieht den Dom nicht nur als Kölner Kathedralkirche, sondern als nationales Projekt der Deutschen, mit dem die in zahllosen Kleinstaaten verstreuten Menschen deutscher Zunge ein Symbol der Einheit erschaffen können – auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Der Dom taugt als Symbol im ehemals französischen Rheinland, gebaut im als damals typisch deutsch erachteten gotischen Stil.

Ein neuer Grundstein

1842 wird der Grundstein gelegt und es wird der Zentral-Dombau-Verein gegründet, der als einer der ältesten Vereine Deutschlands seitdem für das Weiterbestehen des Doms sorgt – als überkonfessionelle, bürgerliche Organisation. Nicht zuletzt durch eine große Lotterie kommt genug Geld zusammen, um den Dom fertig zu bauen. Als er dann 1880 eingeweiht werden soll, hat sich das Klima allerdings deutlich abgekühlt: Man weiß mittlerweile, dass die Gotik in Frankreich entwickelt wurde, zudem gibt es im Kulturkampf erhebliche Spannungen zwischen Kirche und Staat. Die katholische Kirche boykottiert deshalb das große Fest bei der Feier zur Domvollendung. Der extra aus Berlin angereiste Kaiser Wilhelm I. besucht das Kircheninnere nur etwa zehn Minuten, hört kurz das angestimmte Te Deum und wechselt einige eher giftige Worte mit dem Weihbischof – Erzbischof Paulus Melchers (1813-1895) ist zu der Zeit im Exil in den Niederlanden. Das große Fest ist nicht in, sondern vor dem Dom; dort findet ein prächtiger Festumzug mit Motiven deutscher und Kölner Geschichte statt, der heutige Besucher wohl an einen Rosenmontagszug erinnert hätte.

Der nun fertiggestellte Dom ist ein Mischprodukt: Für die Türme gibt es die Pläne aus dem Mittelalter, die Seitenfassaden entwirft der Dombaumeister und Schinkel-Schüler Ernst Friedrich Zwirner (1802-1861) aus den vorhandenen Bauformen am Dom. Architektonisch bleibt der Dom trotz seiner nationalen Vereinnahmung ein katholisch geprägtes Bauwerk, der Figurenschmuck beschreibt ein sehr katholisches Bildprogramm.

Bild: ©epd/akg-images GmbH

Der Dom ragt 1945 aus dem kriegszerstörten Köln auf.

Der Dom muss sich in der Folgezeit noch einige Male bewähren: Teile der Innenausstattung werden erst 20 Jahre nach der Einweihung fertig, im Zweiten Weltkrieg rettet der im 19. Jahrhundert gegen Proteste von Konservativen eingebaute Dachstuhl aus Walzeisen den Dom vor der kompletten Zerstörung. Die Bilder des (nur scheinbar) beinahe unversehrten Doms inmitten eines Kölns, das ein einziges Trümmerfeld mit nur noch einem winzigen Bruchteil seiner ursprünglichen Bevölkerung ist, machen bis heute Eindruck.

Kunstwerke von Weltrang

Trotz seiner bewegenden Geschichte haben sich im Dom Kunstwerke erhalten, die weltweit ihresgleichen suchen: Da ist zunächst der Dreikönigenschrein, eine der bedeutendsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters. Der Dom wurde für ihn gebaut – im Mittelalter waren die Säulen und Gewölbe im Chor sogar ockerfarben bemalt, um an das Gold des Schreins zu erinnern. Ebenso wie beim Gerokreuz aus dem 10. Jahrhundert handelt es sich hier um Ausstattungsstücke, die noch den alten Dom geziert haben.

Weiterhin ist das mittelalterliche Chorgestühl im Dom mit seinen 104 Sitzen das größte seiner Art in Deutschland, zahlreiche der Chorfenster sind noch Originale aus dem Mittelalter, das älteste stammt aus dem Jahr 1260. Überhaupt ist der Dom mit seinen 10.000 Quadratmetern eine der Kirchen mit der größten Fensterfläche der Welt. Zudem erwähnenswert ist der Altar der Stadtpatrone, der aus der ehemaligen Ratskapelle in den Dom "eingewandert" ist. Die sogenannten "Bayernfenster", im 19. Jahrhundert in München entstanden, stehen für hochwertige Glasmalerei ihrer Epoche. Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf Ewald Mataré neue Domportale, die ebenso als Gewinn für die Kirche gelten. Nicht zuletzt hat mit dem unter Konservativen (einer ihrer Wortführer war der damalige Kardinal Joachim Meisner) umstrittenen, aber weithin geachteten Fenster im Südquerhaus vom in Köln lebenden Künstler Gerhard Richter das 21. Jahrhundert im Dom Einzug gehalten. Es sitzt im Fenster mit der größten Sonneneinstrahlung des gesamten Doms, das Muster der 11.263 Farbquadrate spinnt sich so auf Säulen, Wänden und Boden weiter. Es gäbe zahlreiche weitere erwähnenswerte Kunstwerke, die allerdings in der schieren Masse bedeutender Kunst aller Jahrhunderte zum Teil unterzugehen drohen.

Der Kölner Dom ist heute eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Deutschlands. Seine Architektur nimmt gotische Formen auf und entwickelt sie weiter, vervollkommnet sie zu einer besonderen Eleganz, die selbst Kenner gotischer Kathedralen überraschen kann. Es gibt Menschen, die den Kölner Dom eine "vollkommene Kathedrale" nennen. Doch selbst ohne diesen Titel gibt er Zeugnis über das Engagement ungezählter Menschen in allen Jahrhunderten, die aus der Kathedrale des Erzbistums Köln nicht nur einen Ort des Glaubens, sondern auch ein Symbol der Identifikation geschaffen haben – für Köln und darüber hinaus.

Von Christoph Paul Hartmann